Berlins queere Communities brauchen endlich verbindliche Quoten!
Berlin plante im öffentlichen Dienst eine 35-Prozent-Quote für „Menschen mit Migrationsgeschichte“. Ein Vorhaben, das von der SPD am Wochenende gekippt wurde. Dirk Ludigs findet, dass solche Quoten auch für Berlins queere Organisationen verbindlich gelten sollten
Mitte Januar berichtete der Tagesspiegel, Berlin plane eine 35-Prozent-Quote für „Menschen mit Migrationsgeschichte“ im gesamten öffentlichen Dienst. Ähnlich wie das Merkmal „Frau“ oder „Schwerbehindert“ solle künftig auch „Migrationsgeschichte“ zu einem „positiven Einstellungsmerkmal“ werden.
Tatsächlich sah der Gesetzesentwurf aus dem Haus der Integrationssenatorin keine feste, sondern eine so genannte weiche Quote vor, was heißt: Der Anteil im öffentlichen Dienst hätte mindestens so hoch sein sollen, wie in der Berliner Gesamtbevölkerung und da liegt er, Stand Ende 2019, bei eben jenen 35 Prozent.
Am Wochenende war der Vorstoß schon wieder der Neuschnee von gestern. Die Berliner SPD (ich frage mich, wofür diese Partei eigentlich noch gut ist, für progressive Politik offensichtlich nicht) setzte sich gegen die Integrationssenatorin durch, die Quote im öffentlichen Dienst ist erst mal wieder vom Tisch.*
Quoten auch für die Privatwirtschaft und die queere Community
Dennoch ließe sich fragen, warum so eine Quote nur für den öffentlichen Dienst gut sein soll, wo der Anteil zurzeit bei rund zwölf Prozent liegt. Warum nicht auch in der Privatwirtschaft? Und wie sieht es, frech gefragt, eigentlich in der Community aus, die sich wie keine andere Vielfalt und Diversity auf ihre Regenbogenfahnen geschrieben hat?
Nur ein Beispiel: Als am 30. Januar die Online-Mitgliederversammlung des CSD e.V. stattfand – und aus anderen Gründen frühzeitig abgebrochen wurde – sickerte in den sozialen Medien das Bewerber*innenfeld für den neu zu wählenden Vorstand durch: Von acht Bewerber*innen erfüllte genau einer (!) die Definition des Berliner Senats zur „Migrationsgeschichte“: Der junge Aktivist Nasser El-Ahmad.
Das offensichtliche Scheitern eines Vereins, der wie kein anderer die Aufgabe hätte, Berlins queere Vielfalt auch in seinen Gremien abzubilden, führte immerhin zu heftigen Diskussionen auf Facebook. Leider ist ja schon die Debatte darüber ein seltener Glücksfall! Denn wie viele queere Institutionen, Gesellschaften, Stiftungen, Vereine, Medienunternehmen dieser Stadt bilden die Diversität unserer Communities genauso wenig ab, ohne dass sie damit auffallen? Stattdessen können sie munter in ihren Broschüren, Websites, Aktionen und Produkten „Diversity“ feiern und immer schön so weitermachen wie bisher. In der Regel reicht es völlig, wenn der Vorstand sonntags sein Bedauern äußert, dass die „Migrationsgeschichten“ draußen bleiben, obwohl die Tür doch angeblich sperrangelweit aufsteht.
Keine der Berliner queeren Organisationen, die sich nicht sowieso hauptsächlich mit Rassismus und Migration beschäftigen, würde meines Wissens derzeit die 35-Prozent-Quote des Berliner Senats in ihren Vorständen, Geschäftsführungen oder unter ihren hauptamtlichen Mitarbeiter*innen erfüllen. Viele scheitern selbst an dem 12-Prozent-Ist-Zustand im Berliner öffentlichem Dienst. Anders ausgedrückt: Berlins queere Organisationen sind bei Licht betrachtet ein akuter Fall von Woke-Washing, außen Regenbogen, innen weiß.
„Diversität ohne Inklusion ist nichts als weißer Käse!“
Zugegeben: Vor allem, wenn es um Ehrenämter geht, kann ich keiner Schwarzen oder Person of Color in Berlin verdenken, dass sie wenig Lust verspürt, sich in diesen Horten der weißheit zu engagieren, vor allem, weil ja weitgehend klar ist, dass es den Vereinen nicht ernsthaft um strukturelle Veränderungen geht, sondern in der Regel darum, so weiterzumachen wie bisher, nur jetzt halt in bunt.
Berlins queere Unternehmen, Redaktionen, Vereine, Stiftungen brauchen mindestens so dringend verbindliche Quoten, wie Berlins öffentlicher Dienst: 50 Prozent Frauen, 35 Prozent Trans*-Inter-Non-Binary, 35 Prozent BIPOC und Menschen mit Migrationshintergrund (Eigenbezeichnungen bevorzugt) und 10 Prozent Menschen, die behindert werden, Intersektionen erwünscht! Darüber hinaus braucht es klare Sanktionen, am Ende auch die Streichung von Staatsgeldern, wenn diese Quoten nicht wenigstens im hauptamtlichen Bereich und bei Führungspositionen verbindlich umgesetzt werden. Diversität ohne Inklusion ist nichts als weißer Käse!
Dazu gehört, dass weiße Platzhirsche weichen und den nötigen Raum schaffen. Das gilt auch für mich. Nachdem ich sieben Jahre lang in dieser Kolumne nicht nur, aber immer wieder gegen den Rassismus in unserer Community angeschrieben habe, wird es für mich Zeit, selbst Raum zu schaffen. Darum habe ich beschlossen, Mitte dieses Jahres den Bewegungsmelder zum letzten Mal zu schreiben. Ich freue mich schon darauf, an dieser Stelle künftig neue und andere Stimmen zu lesen. Berlin braucht Veränderung. Fangen wir an!
*Dieser Absatz war in der ersten Version des Textes noch nicht enthalten und wurde am 09.02. hinzugefügt.
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