Berliner Queerpolitik: Reaktionen auf den schwarz-roten Koalitionsvertrag
„Queerpolitischer Aufbruch" oder „autoritäre Polizeistaatsfantasie“? Der von CDU und SPD vorgelegte Berliner Koalitionsvertrag sorgt gleichermaßen für Lob und Kritik
Anfang der Woche legten CDU und SPD einen Koalitionsvertrag vor, der die Grundlage für eine gemeinsame Landesregierung in Berlin bilden könnte. Fragen nach Vielfalt, Gleichstellung und Teilhabe werden relativ zentral verhandelt, trotzdem die CDU sich im Wahlkampf noch extrem konservativ positioniert hatte. In der Debatte um die Silvesterkravalle in Berlin war der Partei sogar Rassismus vorgeworfen worden.
Unter der Überschrift „die Regenbogenhauptstadt“ finden sich zahlreiche queerpolitische Vorhaben wie z. b. die Weiterentwicklung der Initiative „Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz geschlechtlicher und sexueller Vielfalt“ (IGSV), die ursprünglich ein rot-rotes Projekt war. Darüber hinaus soll die Stelle eines/einer Queer-Beauftragten der Landesregierung Berlin für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt geschaffen und Hasskriminalität konsequent bekämpft werden. Dazu werde u. a. die bestehende Präventions-, Beratungs- und Antigewaltarbeit zum Schutz queerer Personen ausgebaut, eine Landesstrategie für queere Sicherheit und gegen Queerfeindlichkeit entwickelt und eine Studie zu trans*feindlicher Gewalt in Auftrag gegeben. Auch will der Senat einen Standort festlegen, wo ein Regenbogenhaus als Community Center realisiert werden könnte.
Lob vom LSVD
Der Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg (LSVD) nannte den Koalitionsvertrag einen queerpolitischen Aufbruch. Geschäftsführer Christopher Schreiber begrüßte ausdrücklich die Vorhaben von CDU und SPD für die verbleibende Legislaturperiode. Mit der Aufarbeitung des Sorgerechtsentzugs bei lesbischen Müttern, dem Preis für lesbische Sichtbarkeit oder der Weiterentwicklung des Queer History Month, hätten nicht nur alte Bekannte aus dem Koalitionsvertrag der noch regierenden Parteien SPD, Grüne und Linke Einzug in das Papier gefunden. Darüber hinaus betonte Schreiber, dass auch neue Pfade beschritten werden: „So soll queere Infrastruktur, vor allem für Jugendliche, in bisher unterrepräsentierten Stadtteilen sowie in den Außenbezirken gestärkt werden.“
Und auch das vom LSVD „bemängelte Fehlen einer kohärenten Strategie gegen queerfeindliche Hasskriminalität" sei im neuen Koalitionsvertrag in angemessener Weise adressiert: „Mit einer Landesstrategie für queere Sicherheit und gegen Queerfeindlichkeit und einem Runden Tisch ,Schutz vor queerfeindlicher Hasskriminalität' soll die Sicherheit queerer Berliner*innen zukünftig erhöht werden.“ In der Ankündigung eines Regenbogenhauses als LSBTI*-Community-Center sehe er sogar das Potenzial, Berlin zur Trendsetterin in Sachen Queerpolitik zu machen. Schreiber betonte, dass bei der Vielzahl an Vorhaben der Senat die Prioritäten nicht aus den Augen verlieren solle: Diese bestünde in der finanziellen Stärkung queerer Angebote und dem konsequenten Vorgehen gegen Hasskriminalität.
Kritik von Die Linke.queer
Deutlich kritischer zeigte sich Die Linke.queer in einer am Dienstag herausgegebenen Pressemitteilung. Das der schwarz-rote Koalitionsvertrag weiterhin die Handschrift der rot-grün-roten Vorgängerregierung trage, sei laut Magda Albrecht, Landessprecherin von DIE LINKE.queer Berlin-Brandenburg und Daniel Bache, Bundessprecher von DIE LINKE.queer, vor allem der Erfolg einer starken Stadtgesellschaft sowie von Rot-Rot-Grün. Die CDU traue sich ihnen zufolge nicht, „rhetorisch hinter die Errungenschaften der letzten Jahre zurückzufallen.“ Auch dass zentrale Projekte wie das Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) erhalten bleiben, sei eine verdiente Niederlage für die CDU. Diese hatte im Vorfeld der Wahl noch davon gesprochen, das Antidiskriminierungsgesetz abschaffen zu wollen.
Die Linke.queer geht dennoch nicht davon aus, dass eine mögliche Regierung aus Schwarz-Rot neue Impulse setzen und genügend finanzielle Unterstützung aufbringen wird: „Dass es bei dem großen finanziellen Engagement von Rot-Rot-Grün bleibt, die Förderstrukturen neu zu regeln und Träger zu entlasten – weg von kurzfristigen und hin zu langfristigen und verstetigten Förderungen — all das darf bei einer CDU-geführten Finanzverwaltung bezweifelt werden.“ Angesprochen wird auch das Thema der Wohnungslosigkeit bei LSBTIQ*: „Wer Wohnungslosigkeit bis 2030 beenden will, braucht auch gruppenbezogene Strategien. Dass davon bei Schwarz-Rot keine Rede mehr ist, lässt nichts Gutes ahnen – und kann als Hiobsbotschaft der investorenfreundlichen Betongold-Koalition verstanden werden.“
Von der Stelle eines/einer Queer-Beauftragten erwarte DIE LINKE.queer, dass diese so ausgestaltet wird, dass sie sich „unabhängig und offensiv für die Interessen der Communities“ einsetzen kann und „aus marginalisierten Communities heraus in einem transparenten Verfahren rekrutiert wird. Auch die Bezirke müssen finanziell in die Lage versetzt werden, eigene Stellen für Queerbeauftragte zu schaffen.“
Bekämpfung von Hasskriminalität
Bei der Bekämpfung von Hasskriminalität warnt Die Linke.queer davor, dass das Sicherheitsbedürfnis queerer Communitys nicht missbraucht werden dürfe, „um autoritäre Polizeistaatsfantasien voranzutreiben“. Denn diese Art der Politik richte sich letztlich gegen vulnerable Gruppen.
Die Linke.queer spielt dabei vermutlich auf die zahlreichen Vorhaben unter dem Punkt „Inneres, Sicherheit und Ordnung" im Koalitionsvertrag an, die mit einem Rot-Grün-Rotem Senat nicht umsetzbar gewesen wären. Philmon Ghirmai, Landesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen Berlin, kritisierte deswegen: „Statt eines Verbots von Racial Profiling, soll es neben kriminalitätsbelasteten Orten ominöse Messerverbotszonen geben. Statt Bürger*innen- und Freiheitsrechte zu stärken, sollen nach bayerischem Vorbild polizeiliche Befugnisse ausgeweitet und eine Dauerüberwachung eingeführt werden. Videoüberwachung, Online-Durchsuchungen, die Ausweitung von Telekommunikationsüberwachung oder der Einsatz von BodyCams in privaten Räumen: Schwarz-Rot is watching you. Mit ihrer Neuressortierung wird die wichtige Arbeit der Landesantidiskriminierungsstelle für das nächste Jahr gelähmt und die Antidiskriminierungsarbeit strukturell geschwächt."
Grüne: Einzelnes Regenbogenhaus wird nicht benötigt
Sebastian Walter, u. a. Sprecher für Queer- und Diversitätspolitik bei den Berliner Grünen, sagte via Instagram, er freue sich darüber, dass Schwarz-Rot sehr vieles aus dem rot-grün-roten Koalitionsvertrag von 2021 übernommen habe wie z. B. die Weiterentwicklung der IGSV-Maßnahmen. Dennoch scheine es dem Papier an einem tatsächlichen Verständnis für queerpolitische Anliegen zu fehlen. Unter anderen führte Walter an, dass die im Koalitionsvertrag versprochene Studie zu Transfeindlichkeit und Gewalt gegenüber trans Berliner*innen bereits im vergangenen Jahr aufwendig erarbeitet worden sei.
Auch seien Forderungen nach einem Queerbeauftragten oder einem Regenbogenhaus ohne weitere Erläuterung von Nutzen und Zweck erst einmal nur Symbolpolitik: „Berlin hat eine starke und gut vernetzte queere Infrastruktur von NGOs, die gerade kein einzelnes Regenbogenhaus benötigt. Benötigt wird hingegen ein verbindlicher und berlinweiter Ausbau der queeren Strukturen mit ihren vielen bereits bestehenden ,Regenbogenhäusern', nämlich den queeren Jugendzentren, den Regenbogenfamilienzentren oder von weiteren Beratungs- und Empowermentangeboten."
Mitgliedervotum der SPD
Ob Berlin allerdings eine schwarz-rote Regierung bekommt, hängt auch davon ab, wie das Votum der Mitglieder der Berliner SPD ausfällt. Bis zum 21. April stimmen sie über den Koalitionsvertrag ab. Die Entscheidung der SPD-Führung um Franziska Giffey mit der CDU in Berlin eine Regierung zu bilden, war von mehreren Kreisverbänden und der sozialdemokratische Jugendorganisation Jusos heftig kritisiert worden. Die Jusos starteten unter dem Titel „NoGroKo – Berlin geht nur mit links" eine Kampagne gegen eine Zusammenarbeit mit der CDU und forderten eine Fortführung der Koalition mit Grünen und Linken. Demzufolge hätte wohl ein Koalitionsvertrag, der deutlich konservativer und stärker von der CDU geprägt gewesen wäre, den Widerstand gegen eine GroKo unter den Mitgliedern der eher links geprägten Berliner SPD erhöht.
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