Filmrezension

„Barbie“: Feministisch oder nur neoliberal?

25. Juli 2023 Samu/elle Striewski
Bild: Courtesy Warner Bros. Pictures
Ryan Gosling (li.) und Margot Robbie in „Barbie“

„Barbie“ legt den erfolgreichsten Kinostart in Deutschland seit Beginn der Coronapandemie hin. In dem Film will Regisseurin Greta Gerwig die Kultpuppe, die für viele ein Symbol der weißen heteronormativen Schönheitsideale ist, auf den Kopf stellen. Mehr als ein oberflächlicher, feministischer Anstrich ist ihr jedoch nicht gelungen, findet SIEGESSÄULE-Autor*in Samu/elle Striewski

Seit letzter Woche ist „Barbie“ in Deutschland zu sehen und verspricht laut zahlreicher begeisterter Kritiken ein feministisches Makeover für das dürre Plastikpüppchen, das eigentlich als Symbol weißer heteronormativer Weiblichkeit und problematischer Köpernormen gilt. Die Werbekampagne des Barbie-Konzern Mattel, im übrigen auch Co-Produzent des Films, machte sich genau diese Ambivalenz zu nutze: Ob du Barbie liebst oder hasst, „this movie is for you”, das verspricht der Trailer.

Doch wie steht es um das feministische Potenzial des Film? Sollten wir die Drehbuchautorin und Regisseurin Greta Gerwig für eine humorvolle und subversive Kritik an weiblichen Körperidealen feiern? Können wir überhaupt die Erwartung haben, dass ein von Mattel co-produzierter Film der Ausgangspunkt für eine Gesellschaftskritik sein kann?

Unter den meisten Kritiker*innen hat sich ein Konsens eingestellt: 89 Prozent der Reviews auf der Online-Plattform Rotten Tomatoes sind positiv und meinen, Barbie's „Metahumor komplementiere sich geschickt durch subversives Storytelling”. Humorvoll ist der Film ohne Frage, aber subversiv?

Margot Robbie spielt die Rolle der stereotypen Barbie in einer perfekten Barbie-Welt, in der es keine echten Probleme gibt. Doch eines Tages ändert sich das: Barbie denkt plötzlich über den Tod nach und muss die Barbiewelt verlassen. Zusammen mit Ken (Ryan Gosling) bricht sie aus ihrem pinken Parralleluniversum auf in die „reale Welt” des heutigen Los Angeles.

Für Ken bedeutet die Reise eine Befreiung aus seiner bisher eher schmückenden Nebenrolle. Zum ersten Mal genießt er männliche Privilegien, während Barbie ebenfalls zum ersten Mal Sexismus und Objektifizierung erlebt. Für manche US-Republikaner*innen mag diese wahrheitsgemäße Darstellung bereits zu viel „Feminismus” sein, weshalb der Film unter Konservativen eine Moral-Panik auslöste. Für die meisten FLINTA* ist das aber Alltag. Ist die simple Darstellung von Alltagssexismus schon subversiv?

Barbies gegen das Patriarchat?

Ken entdeckt in LA das Patriarchat und trägt es nun in die Barbie-Welt, die dadurch zum Kendom wird. Aber nun eilen die Barbie-Feminist*innen zur Stelle! Die Barbies, unter ihnen eine Schwarze Präsidentin und eine trans* Ärztin – beide ebenfalls normschön, zetteln eine kleine feministische Revolte gegen die Kens an. Kritiker David Fear spricht im Rolling Stone gar vom subversivsten filmischen Happening des 21. Jahrhunderts und dem Beginn eines „fourth-wave feminism“. Diese angebliche Subversion erreicht ihren Höhepunkt mit einer mageren Rede von America Ferrera in der Rolle der menschlichen (aber natürlich trotzdem perfekt aussehenden) Gloria. Sie war es, die der von Robbie gespielten Barbie mit ihren depressiven Gedanken den perfekten Tag in der Barbie-Welt versaute.

Nun gibt sie als hispanische Mutter ein paar „Feminimalforderungen”, wie Dietmar Dath sie in der FAZ nennt, zum Besten. Alle vom Patriarchat gebrainwashten Barbies werden dadurch sofort wieder woke. Schade nur, dass der Kommentar von Glorias Tochter Sasha (gespielt von der gerade mal 15-jährigen Ariana Greenblatt) über die Zusammenhänge zwischen Patriarchat, kapitalistischer Konsumgesellschaft und Rassismus vom Film als überemotionaler Gen-Z-Moment abgetan wird.

Zur Krönung betritt noch die vielfach ausgezeichnete Rhea Perlman als Ruth Handler, Erfinderin der Barbie, die Bühne. Die Mattel Big Mother entpuppt sich als harmlose, alte Frau. Wer könnte da Mattel noch böse sein? Gerwig geht schließlich kritisch mit dem Konzern ins Gericht, oder? Die CEO-Etage stellt sie als Horde geldgieriger Männer dar… keine Spur von Frauen in der Führungsebene. Allerdings wirken diese Männer übertrieben effeminiert und albern. Beinahe möchte ich sagen schwul. Hatten wir Disney nicht bis vor Kurzem noch dafür gerügt, seine Bösewichte mit queeren Attributen zu kodieren? Der Film lockt zwar viel mit angedeuteter Queerness, traut sich aber nicht aus der Heteronorm heraus.

Progressiver Neoliberalismus

Der echte Mattel CEO, Ynon Kreiz, übernahm übrigens 2018 die Führung und erreichte umgehend Rekordumsätze. Kreiz gibt stolz zu, dass der Film erst der Anfang einer breit angelegten Marketingkampagne ist, die Mattel von einer reinen Warenproduktionsfirma in eine „I.P. company” überführen soll. Franchise, Intellectual Property, Kultstatus, d. h. es geht ihm um den Markenwert und geistiges Eigentum, nicht bloß um Plastikpuppen. „Humans only have one ending. Ideas live forever”, sagt Barbie Mom Handler im Film so schön, „and produce even more money“, könnten wir ergänzen. Die Investition in den Film hat sich bereits bezahlt gemacht: Seit Kinostart meldete die Wall Street einen Anstieg des Mattel-Aktienkurses um 15 Prozent.

„Progressiver Neoliberalismus” – so nennt die Politikwissenschaftlerin Nancy Fraser die Allianz aus feministischen, queeren und anti-rassistischen Identitätspolitiken mit corporate America. Diverse Repräsentationspolitik ist okay, solange sie nicht wirklich systemkritisch ist. Ein paar subversive, feministische Kommentare im Drehbuch? Oberflächliche Kritik am Patriarchat ohne intersektionalen Weitblick? Super, immer her damit. Diese Mischung garantiert finanziellen Erfolg! Statt Barbie in die Vergangenheit zu verbannen, versucht der Film sie auf Gedeih und Verderb in die Moderne zu hieven. Durch die schein-feministische Kosmetikbehandlung ist Barbie auf jeden Fall massentauglich und beinahe kritikresistent geworden… aber nur beinahe.

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