Bambus und Kolonialgeschichte: Die Kunst von Esvin Alarcón Lam
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Der guatemaltekische Künstler Esvin Alarcón Lam behandelt ernste Themen wie Identität, Kolonialismus und Globalisierung mit einem queeren Augenzwinkern
Zurzeit widmen dir gleich zwei wichtige Kreuzberger Institutionen Soloschauen. Wie ergänzen sich die beiden Ausstellungen? In der daadgalerie liegt der Fokus auf meinen Werken zum Thema Intervention und öffentlicher Raum. Auch gebe ich erstmals Einblick in meine langjährige Recherche zu Bambus als kolonialisiertes Material, das in meinen Arbeiten ein poetisches Zeichen für Migration und Aneignung darstellt. Bei meinen Recherchen habe ich festgestellt, dass wie viele andere exotische Pflanzen und Früchte auch, Bambus erst von den US-Amerikanern aus Asien nach Mittelamerika gebracht worden war. Im Künstlerhaus Bethanien liegt der Fokus dann auf dem Einsatz von Bambus für militärische Zwecke während des Zweiten Weltkriegs, als GIs Bambusskistöcke einsetzten.
Migration und Globalisierung sind deine bevorzugten Themen. Du bist in Guatemala geboren, hast aber mütterlicherseits chinesische Vorfahren. In europäischen Ohren eine eher ungewöhnliche Migrationsgeschichte. Auch in Guatemala selbst ist die Geschichte der chinesischen Diaspora kein großes Thema. Es war mein Urgroßvater, der nach Guatemala gekommen ist. Wie viele der chinesischen Einwanderer wollte auch er wahrscheinlich eigentlich weiter in die USA. Sein Sohn, mein Großvater, hat dann in Guatemala ein Schneidergeschäft betrieben.
Und dieser spezielle Migrationshintergrund wurde auch zur Inspiration für dich? In Guatemala-Stadt habe ich mit der queeren Installation „Ruta de la Seda“, die in der daadgalerie zu sehen sein wird, an einen Bogen erinnert, der von der chinesischen Gemeinde errichtet, später aber abgerissen und vergessen wurde. Ich habe das Bauwerk mit 600 Second-Hand-Kleidungsstücken, die alle in Asien produziert worden sind, auf dem Boden nachgezeichnet. Die Leute konnten sich Kleidungsstücke aussuchen und mitnehmen, sodass der Bogen anschließend wieder verschwand. Mein Bauwerk steht nicht wie normalerweise stolz aufgerichtet, sondern liegt auf dem Boden, aus Stoff geschaffen, und ist auch bewusst nur transitorisch. Das ist sozusagen eine weichere, vielleicht weiblichere, queere Version eines Denkmals.
Gibt es Arbeiten, wo der queere Bezug offensichtlicher ist? Eine meiner liebsten Interventionen habe ich für einen öffentlichen Strand in Kuba geschaffen. „MARICAribe“ besteht aus pink getauchten Flaggen von acht karibischen Staaten, in denen damals Homosexualität kriminalisiert wurde. Neben dem Foto der Installation zeige ich in der daadgalerie die aktuelle Version, bei der es nur noch vier Flaggen sind. Vier der Staaten haben Homosexualität nämlich inzwischen entkriminalisiert.
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Deine ortsspezifischen Interventionen hast du etwa in Brasilien, Puerto Rico, Saudi-Arabien oder hier in Berlin realisiert. Was gibt dir das Selbstbewusstsein, in all diesen Orten künstlerisch zu intervenieren? Ich betrachte Ländergrenzen als nichts Festes, sie sind tatsächlich eher durchlässig, weshalb die daad-Schau auch den Titel „Intuitive Porosity“ trägt. Gerade Queerness bietet die Fähigkeit, alle Grenzen hinter sich zu lassen. Queer zu sein bedeutet mehr als zum Beispiel deutsch oder guatemaltekisch zu sein. Es ist etwas Übergeordnetes.
Und diese queere Perspektive hilft dir auch ernstere Themen wie Kolonialismus und Globalisierung zu verhandeln? Ich denke, wenn man diese Themen zu ernsthaft behandelt, wird es schnell langweilig. Ich bevorzuge eine poetische und humorvolle, also eine eher queere Annäherung an das Thema. Zur Kolonialgeschichte des Bambus etwa ziehe ich eine Parallele zur Haartransplantation, die durchaus auch humorvoll gemeint ist. Auch bei der Haartransplantation entwurzelt man Dinge, indem man Haare vom Hinterkopf nach vorne verpflanzt. Im Künstlerhaus Bethanien zeige ich Fotos meines eigenen Eingriffs, den ich, wie so viele Deutsche, in der Türkei habe vornehmen lassen. Natürlich werden dabei auch Themen angesprochen wie Eitelkeit, Oberflächlichkeit und das eigene Ego.
„Gerade Queerness bietet die Fähigkeit, alle Grenzen hinter sich zu lassen. Queer zu sein bedeutet mehr als zum Beispiel deutsch oder guatemaltekisch zu sein. Es ist etwas Übergeordnetes.“
Hast du den Eingriff aus künstlerischen Gründen vornehmen lassen? Viele fragen, ob die Motivation eher eine persönliche als eine künstlerisch-philosophische war. Tatsächlich war es wohl eine Mischung aus beiden. Jedenfalls habe ich auf dem Rückflug angesichts der vielen behandelten Kahlköpfe festgestellt, dass ich tatsächlich wohl auch nach Berlin gehöre.
Esvin Alarcón Lam: Intuitive Porosity,
noch bis 02.03., Di–So 12:00–19:00,
daadgalerie, Oranienstr. 161
The Practical Guide to Gardening:
noch bis 16.02., Di–So 14:00–19:00,
Künstlerhaus Bethanien, Kottbusser Str. 10
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