Zu viele Besucher*innen

Ballermann am Teufelssee: Mehr Umweltschutz jetzt!

1. Aug. 2022 Christopher Hahn
Bild: canva
Teufelssee im Grunewald

Einer der queeren Hotspots ist seit jeher der Teufelssee im Grunewald, dessen Ufer vor allem in den vergangenen Pandemie-Sommern – ähnlich wie die Hasenheide – immer mehr zum Outdoor-Club mutierten. Eine Übernutzung des Geländes deutet sich an. Um diesen beliebten LGBTIQ*-Space zu erhalten, sollten gerade queere Menschen ihren Blick weiten und eine Awareness für Naturschutz mitbringen. SIEGESSÄULE-Autor Christopher Hahn erklärt, warum

Der Teufelssee ist seit jeher ein unter Queers beliebter Badesee mitten im Grunewald. Bereits seit den 1920er-Jahren wird an seinen Ufern nackt gebadet, und über die Jahrzehnte entwickelte sich die Liegewiese zu einem wichtigen nicht kommerziellen Begegnungsort, der schwerpunktmäßig von der queeren Szene Berlins genutzt wird. Unausgesprochen wurde der Teufelssee zu einem Safe Space und war bisher einer der wenigen Orte, an denen z. B. auch trans* Menschen nackt baden konnten, ohne Diskriminierung fürchten zu müssen. Die Badenden sind dabei so vielfältig wie Berlin, wobei alle eines gemeinsam haben: Sie suchen Erholung in der Natur.

In den letzten Jahren hat sich die Situation geändert. Seit ein paar Jahren geistert der Begriff der „Übernutzung“ durch die Medien. Berlin ist eine wachsende Stadt. Immer mehr Menschen teilen sich immer weniger öffentliche Freiflächen und Räume. Der Druck auf sogenannte Naherholungsgebiete steigt: Laut dem Berliner Forstamt zählt allein der Grunewald im Schnitt 100 Millionen Waldbesuche jährlich.

In Coronazeiten hat sich dieser Trend noch mal verstärkt. Mit Beginn der Pandemie und der damit verbundenen Schließung von Bars und Clubs verlagerte sich das Feiern nach draußen. Konflikte waren da vorprogrammiert. Wir alle haben noch die negativen Schlagzeilen über den „gefährlichen Party-Hotspot“ Hasenheide vor Augen. Was als kleines queeres Get-together im Park begann, endete in immer größeren Partys. Irgendwann lief die Situation aus dem Ruder und zurück blieben ein zerstörtes Areal und Polizeipräsenz in der Cruising Area.

Situation nicht mit der Hasenheide vergleichbar

Auch wenn die Situation am Teufelssee längst nicht mit der Hasenheide vergleichbar ist, lassen sich doch ähnliche Tendenzen feststellen. Im Zuge von illegalen Raves im Grunewald hat sich auch am See ein gewisser Partytourismus eingestellt, der letzten Sommer in Abifeiern von Schüler*innen am Ufer gipfelte. Zurück blieben zertretene Pflanzen, beschädigte Uferbereiche und zurückgelassener Müll.

Das Prinzip Eigenverantwortung zieht nicht mehr und es kommt vermehrt zu Konfliktsituationen. Das Bewusstsein für die Besonderheit des Ortes scheint zu schwinden und bei vielen Badenden steht die Erholung in der Natur nur noch bedingt im Vordergrund. Die klassische Spirale der Verdrängung hat eingesetzt – wobei die Situation ähnlich komplex ist wie in der Hasenheide und die Schuld sich natürlich nicht allein auf „die Heteros“ schieben lässt.

Naturschutzgebiet vs. Partytourismus

Dabei ist der Teufelssee kein Freibad, und anders als bei der Hasenheide kommt hier ein zusätzlicher Aspekt hinzu, der vielen nicht bewusst ist: Der Teufelssee ist Teil eines Naturschutzgebiets. Entstanden in der letzten Eiszeit, beherbergt der See eine einmalige Unterwasserfauna mit endemischen Muscheln und Fischen wie dem Bitterling. Auch über dem Wasser lassen sich seltene Arten wie der glitzernde Eisvogel beobachten, und direkt an den See schließt sich das Teufelsfenn an – ein Moor, das Lebensraum für verschiedene Amphibienarten ist und einen wichtigen CO2-Speicher darstellt.

Wie lassen sich also diese Konflikte entschärfen und Naturschutz und Nutzung in Einklang bringen? Derzeit versuchen die Berliner Forsten gemeinsam mit dem an den See angrenzenden Ökowerk eine Strategie zu entwickeln, um die Badegäste zu informieren und für das Naturschutzgebiet und den Wald zu sensibilisieren. Erklärtes Ziel ist es, auf Verbotsschilder oder eine verstärkte Polizeipräsenz zu verzichten.

Wie schwierig es sein kann, wenn Institutionen sich einmischen, zeigt das Beispiel der Zürcher Werdinsel. Mitten in Zürich gelegen, besuchen im Sommer täglich mehr als 4.000 Menschen die kleine Badeinsel in der Limmat. Unterschiedlichste Vorstellungen von Freizeitgestaltungen treffen auf dem Areal aufeinander: Hundehalter*innen, FKK-Badestelle, Kleinfamilien, Jogger und ein schwuler Cruising-Spot. Irgendwann klappte es nicht mehr mit der Eigenverantwortung von Besucher*innen und es kam vermehrt zu Konflikten zwischen den verschiedenen Interessengruppen. Die Politik schaltete sich ein, und so kam es, wie es kommen musste: Ordnungswut und Grenzziehungen führten zum Abholzen der Cruising-Area und dem Aufstellen von Verbotsschildern. Ein Ergebnis, mit dem niemand zufrieden sein kann.

Queerer Naturschutz

Aber wie lässt sich ein solches Szenario am Teufelssee vermeiden? Die Berliner Umweltbildung hat bereits Konzepte, um bestimmte Bevölkerungsgruppen wie z. B. Kinder und Jugendliche oder Hundehalter*innen direkt zu adressieren; braucht es in diesem Fall eine Umweltbildung, die speziell auf Queers abzielt, um ein Bewusstsein für den Ort zu schaffen? Und wie würde die aussehen?

Naturbezug von Queers gibt es nicht erst seit Fire Island. Wir sind gern draußen, weil wir uns in den urbanen Räumen lange verstecken mussten. Natur fungiert als Safe Space und Begegnungsort in einem. Die Notwendigkeit, die Umwelt zu schützen, ist daher von besonderer Bedeutung für die queere Gemeinschaft, und ihr Naturbezug wird durch den grünen Streifen in der Rainbow Pride Flag symbolisiert.

Aber braucht es einen explizit queeren Naturschutz? Etablierte Umweltschutzorganisationen wie NABU oder BUND sind häufig sozial homogen und intersektionale Perspektiven werden selten mitgedacht. Das macht es für Mitglieder marginalisierter Gruppen schwierig, Zugang zu Umweltschutzthemen zu finden, da sie sich schlicht nicht adressiert fühlen. Das bestätigt im Gespräch mit SIEGESSÄULE auch Juri Juranek, Hobby-Ornithologe und Macher des erfolgreichen Podcasts „Gut zu Vögeln“. Am Beispiel der Vogelkundler erklärt er mir: Birding ist immer noch ein sehr privilegiertes Hobby – der typische Vogelbeobachter gilt immer noch als weiß, alt und aus der Mittelschicht stammend.

Doch langsam scheint ein Wandel einzusetzen und eine neue Generation organisiert sich in eigenen Gruppen wie dem Feminist Birding Club (USA) oder Flock Together, einem britischen Birdwatching-Kollektiv für People of Colour. Die Gruppen setzen neue Impulse, indem sie niederschwellige Angebote zur Vogelbeobachtung schaffen und Natur für Menschen zugänglich machen, die hier bisher unterrepräsentiert waren.

„There is no pride on a dead planet“

Mehr Queerness würde dem Naturschutz guttun – auch um mehr Umweltbewusstsein in queere Kontexte hineinzutragen. Queers for Future haben recht, wenn sie feststellen: „There is no pride on a dead planet“. Sie fordern die LGBTIQ*-Gemeinschaft dazu auf, bei Events wie dem Christopher Street Day auf mehr Nachhaltigkeit zu achten, und wünschen sich einen Pride ohne Trucks oder billig produzierte Wegwerfartikel mit Regenbogenaufdruck.

Ja, es ist an der Zeit, dass wir Umwelt- und Naturschutz viel stärker reflektieren und uns zu eigen machen. Es ist an der Zeit, queeres Bewusstsein und Umweltbewusstsein stärker zusammen zu denken. Wir müssen verstehen, wie unterschiedliche Betroffenheiten zusammenhängen, einander überschneiden und auch widersprechen. Es ist an der Zeit, dass wir mehr Präsenz zeigen, uns mehr engagieren und Verantwortung übernehmen. Auf lokaler Ebene bedeutet das: Der Grunewald steht uns allen offen! Wir sollten uns bewusst machen, über was für einen einmaligen Ort wir im Ballungsraum Berlin mit dem Teufelssee verfügen. Und es geht darum, den See als Safe Space zu erhalten. Und zwar nicht nur als Safe Space für uns Queers, sondern auch für den glitzernden Eisvogel und den sonderbaren Bitterling.

Mehr Infos:

oekowerk.de

nabu.de

bund.net

feministbirdclub.org

flocktogether.world

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