Ausstellung über queerfeindliche Plakatpropaganda in Ungarn
In Ungarn wird mit Plakatkampagnen Stimmung gegen Migrant*innen, Rom*nja oder queere Menschen gemacht. Die Ausstellung „Illiberal Realities – Alltag in Orbáns Ungarn“ in Berlin arbeitet Material von über zehn Jahren Propaganda auf. SIEGESSÄULE hat mit den Kurator*innen gesprochen
Ihr zeigt Plakate, wie sie in Ungarn fast an jeder Ecke zu sehen sind. Worum geht’s? Joanna Handzsieva: Es sind Plakate von Kampagnen der ungarischen Regierung, bezahlt vom Steuergeld. Die Plakate machen aus Geflüchteten, Juden, der LGBTIQ*-Community oder auch der EU Feindbilder.
Rob Somogyi: Sie sind überall, in der Stadt, auf dem Land, an der Autobahn und oft übergroß. Ich bin letzte Woche aus Ungarn zurückgekommen. Gegenüber der Wohnung meiner Familie gibt es jetzt ein neues Plakat: „99 Prozent der Ungarn sagen Nein zu Gender-Propaganda”.
99 Prozent?! Rob: Die Zahl stützt sich auf die nationalen Konsultationen. Das ist ein suggestives Befragungsinstrument, das von der Regierung durchgeführt wird. Die Fragen gehen per Post an alle Haushalte, die Teilnahme ist freiwillig. Die vorletzte nationale Konsultation beinhaltete zum Beispiel eine Frage in Richtung: „Möchten Sie, dass wir weiterhin Kinder vor Sexualisierung und vor der Popularisierung von Geschlechtsumwandlungen schützen. Ja oder nein?” Es gibt also keine wirkliche Antwortmöglichkeit. Mit den Auswertungen – auch wenn manchmal nur 18 Prozent antworten – stützt die Regierung dann ihre Gesetze. In diesem Fall ging es darum, das Kinderschutzgesetz vor Brüssel zu verteidigen.
Die EU hat das Kinderschutzgesetz von 2021 kritisiert, weil es LGBTIQ*-Personen diskriminiert. Es verbietet etwa queeres Lehrpersonal. Joanna: Die Befragungen sind also ganz klar auch ein Propagandainstrument. Zusammen mit der Kontrolle der Medien und den Informationskampagnen, wie den Plakaten, konstruieren sie Narrative. Rob: In den letzten Jahren greifen diese Kampagnen auch immer mehr ins Digitale über. Früher konnte man sich den Plakaten vielleicht noch entziehen, den Fernseher auslassen. Heute investiert die ungarische Regierung sehr stark in Online-Werbeflächen, sie produziert Spots auf YouTube oder Facebook.
„Früher konnte man sich den Plakaten vielleicht noch entziehen, den Fernseher auslassen. Heute investiert die ungarische Regierung sehr stark in Online-Werbeflächen, sie produziert Spots auf YouTube oder Facebook.“
Welche Narrative werden dort gegen LGBTIQ*-Personen geschaffen? Joanna: Da geht es vor allem um die Gleichsetzung von queeren Menschen mit Pädophilen und sie werden als Gefahr für Kinder dargestellt.
Wie passt das zu dem jüngsten Skandal? Die Justizministerin begnadigte einen verurteilten Verbrecher, der den sexuellen Missbrauch an Kindern in einem Heim vertuscht hatte? Rob: Wir wissen nicht, was dahintersteckt. Aber auch hier zeigt sich, wie die Regierung Narrative schafft. Konservative Medien und Politiker haben sofort angefangen den Missbrauchsskandal mit der queeren Community in Verbindung zu bringen. Anstatt die Wut der Bevölkerung aufzugreifen, die sich fragt, wie es sein kann, dass so eine Person ungestraft davonkommt, wurde darüber diskutiert, ob homosexuelle Menschen mit Kindern arbeiten dürfen.
Welche Auswirkung hat die queerfeindliche Propaganda? Joanna: Statistiken zeigen, dass die ungarische Gesellschaft gar nicht so queerfeindlich ist. Über die Hälfte der Bevölkerung unterstützt die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare und befürwortet auch, dass sie Kinder adoptieren können. Aber man sieht, dass im Alltag der Hass gegenüber queeren Menschen präsenter wird. Und institutionell hat es natürlich Auswirkungen: Die gleichgeschlechtliche Ehe ist verboten, trans* Personen können ihren Geschlechtseintrag nicht mehr ändern lassen, was früher möglich war, und Adoption ist zwar nicht verboten, aber in der Realität unmöglich.
„Man sieht, dass im Alltag der Hass gegenüber queeren Menschen präsenter wird.“
Rob: In meinem Umkreis gibt es eine Lehrerin, der gekündigt wurde, weil herausgekommen ist, dass sie lesbisch ist. Das Kinderschutzgesetz verbietet auch den Verkauf von Büchern mit queeren Inhalten an unter 18-Jährige, sie dürfen nicht einfach ausliegen. Als ich kürzlich das Kinderbuch „Märchenland für alle“ als Geschenk kaufen wollte, zog die Verkäuferin es aus einer Schublade unter der Ladentheke hervor.
Joanna: Das ist das eine. Die andere Auswirkung ist, dass die Opposition zu diesen queerfeindlichen Positionen der Regierung viel sichtbarer ist. Zum Pride kommen heute Hunderttausende Menschen, viel mehr als noch vor einigen Jahren, und es gibt auch Prides in anderen Städten. Ich sehe mehr queere Menschen auf den Straßen.
Rob: Ich sehe immer wieder, dass Leute die queerfeindlichen Plakate verunstalten oder abreißen. Es gibt organisierte Protestaktionen.
Illiberal Realities – Alltag in Orbáns Ungarn:
23.04.–16.05.,
Di–Fr 14:00–18:00,
August Bebel Institut,
Müllerstr. 163, Wedding
Vernissage: 23.04., 19:00
Finissage: 16.05., 19:00
Die Vernissage wurde vom 4. April auf den 23. April verschoben.
Mehr Infos findet ihr hier
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