Genderplays von Marie Høeg & Bolette Berg

Ausstellung „Like a Whirlwind“: Crossdressing im 19. Jahrhundert

12. Juni 2024 Carsten Bauhaus
Bild: Collection of Preus Museum
Marie Høeg und Bolette Berg in ihrem Fotoatelier in Horten.

Die Ausstellung „Like a Whirlwind“ zeigt die Fotografien von Marie Høeg und Bolette Berg, die zufällig in einer mit „privat“ markierten Kiste entdeckt wurden. Sie zeigen die Geschichte des Fotoateliers, das im 19. Jahrhundert ein sicherer und kreativer Raum für das Spiel mit Geschlechterrollen war

Die historische Fotografie zeigt ein Ruderboot im Atelier: links Marie Høeg als Ruderer in Macho-Pose, rechts Bolette Berg, wie hingegossen, den burschikosen Galan anschmachtend. Das spielerische und humorvolle Schwarz-Weiß-Bild, aufgenommen um die vorletzte Jahrhundertwende, ist eines von 60 Fotos, die die Geschlechterrollen der damaligen Zeit radikal und frech infrage stellen. Aufgenommen sind sie alle zwischen 1895 und 1903 im norwegischen Fotostudio des vermutlich lesbischen Fotografinnenpaares Marie Høeg und Bolette Berg. In ihrer Zusammenstellung und Art sind sie etwas sehr Besonderes: „Es gibt zwar ansonsten einzelne ähnliche Aufnahmen, meist übrigens von Männern als Crossdressern, aber als ein gesamtes Werk von Frauen ist es in dieser Form einzigartig“, so Katharina Mouratidi, die künstlerische Leiterin des f3 – freiraum für fotografie, wo digitale Reproduktionen dieser einmaligen Aufnahmen zum ersten Mal in Deutschland gezeigt werden.

Bild: Sammlung des Preus Museums
Marie Høeg, wie sie die Geschlechterrollen von damals frech in Frage stellt.

Der Nachlass des Paares wird vom Preus Museum und dem norwegischen Nationalmuseum für Fotografie verwaltet. Neben Aufnahmen von Landschaften und Reproduktionen von Kunstwerken fand man in den 1970er-Jahren in dem Konvolut auch zwei Kisten, die mit dem Hinweis „privat“ versehen waren: Darin lagen die besonderen Genderplay-Fotografien. Diese erzählen heute ihre eigene Geschichte – denn leider sind über das Leben und Lieben der beiden Fotografinnen nicht sehr viele Details überliefert. „Fest steht, dass sie sich über die fotografische Arbeit kennengelernt haben und seit der Eröffnung des gemeinsamen Fotostudios 1894 in der südnorwegischen Stadt Horten nicht nur zusammengearbeitet, sondern auch zusammengelebt haben,“ erzählt Mouratidi. Horten war Stützpunkt der norwegischen Marine und versorgte so das Fotostudio mit Aufträgen von Offizieren und Besucher*innen, die ein Erinnerungsfoto mit nach Hause nehmen wollten. Daneben verbesserten sie ihr Einkommen mit Landschafts-und Naturaufnahmen.

Feministischer Einsatz

„Horten war eine südnorwegische Kleinstadt, nicht gerade der Nabel der Welt“, erzählt Mouratidi. Das sollte sich mit der Eröffnung des Fotostudios Berg & Høeg ändern: „Der Titel ‚Like A Whirlwind‘ bezieht sich auf den Wirbelwind, als der Marie Høeg damals beschrieben wurde. Die quirlige energiegeladene Marie hat mit ihrem Aktivismus und ihrer Energie die verschlafene Kleinstadt aufgeweckt“, so Mouratidi.

„Die quirlige energiegeladene Marie hat mit ihrem Aktivismus und ihrer Energie die verschlafene Kleinstadt aufgeweckt.“

Das Paar hat sich auch für Frauenrechte eingesetzt, die gerade in ihrer Lebenszeit sehr stark im Wandel begriffen waren. So kämpften die beiden aktiv für das Frauenwahlrecht. Marie war außerdem maßgeblich an der Gründung mehrerer von Frauen geleiteter Organisationen beteiligt. Ihr Fotostudio wurde so nicht nur zu einem Treffpunkt dieser Vereine, sondern auch zu einer Art Safer Space, in dem mit Identität und Gendernormen experimentiert werden konnte. Wenn man die „privaten“ Aufnahmen mit den offiziellen Auftragsarbeiten vergleicht, wird deutlich, wie stark Marie von deren forcierter Repräsentation von Männlichkeit inspiriert war: Wir sehen Marie als ehrenwerten Bürger mit künstlichem Schnurrbart und Krawatte oder als frechen Naturburschen, barfüßig in einem Waldpanorama. Selbstbewusst nehmen die beiden Fotografinnen Stereotype der Zeit auf und verwandeln sie mithilfe von Requisiten und Kostümen in frech-frivole Fotografien: Bolette und Marie, mit drei weiteren Frauen wie eine menschliche Pyramide übereinandergeschichtet. Marie, in einen Anzug gekleidet, galant ihren Bruder am Arm führend: „Der Bruder tritt neben Marie in Frauenkleidern auf und auch ihre Schwester ist auf den Fotos zu sehen“, erzählt Mouratidi. „Sie haben also die ganze Familie und den Freundeskreis mit einbezogen.“ Das Fotoatelier wurde so offensichtlich zu einem queeren Freiraum der ersten Stunde.

SIEGESSÄULE präsentiert
Like a Whirlwind – Die Genderplays von Marie Høeg & Bolette Berg

Vernissage: 13.06., 19:00
14.06.–25.08.
Mi–So 13:00–19:00
f³ – freiraum für fotografie
Waldemarstr. 17, Kreuzberg

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