Interview

Ausstellung im Jüdischen Museum: Unorthodoxer Sex

30. Juli 2024 Manuela Kay, Kevin Clarke
Bild: Elinor Carucci Eran and I Midlife
Die Ausstel­lung „Sex. Jüdische Positionen“ spielt mit den verschiedenen Auf­fas­sungen von Sexua­lität im Juden­tum.

Mit „Sex. Jüdische Positionen“ setzt das Jüdische Museum Berlin einen deutlichen LGBTIQ*-Schwerpunkt und präsentiert vielschichtige, feministische und queere Perspektiven auf Sexualität aus mehreren Jahrhunderten jüdischer Geschichte in ihrer neuen Ausstellung

Viele werden über so viel Inklusion und Sichtbarkeit jubeln, während anderen der Fokus auf Sex in Zeiten des Gaza-Kriegs durchaus ungewöhnlich und eigenwillig vorkommen kann. SIEGESSÄULE sprach darüber mit Museumsdirektorin Hetty Berg und Miriam Goldmann vom Kurator*innenteam

Wie kam es zu dieser wirklich spektakulären Schau? Miriam Goldmann: Ausstellungen haben ja oft viele Impulse. In diesem Fall kam er vom Joods Museum. Wir in Berlin hatten uns auch schon in die Richtung bewegt, und so hat es sich glücklich gefügt, dass Hetty das Thema mitbrachte.

Es gibt also eine Amsterdam-Connection? Hetty Berg: Als ich 2020 nach Berlin kam, sprachen wir darüber, welche Themen wir in den nächsten Jahren gern präsentieren wollen. Da ich schon in meiner Zeit als Direktorin des Joods Museums in Amsterdam über eine Ausstellung zu Sex nachgedacht hatte, haben wir uns zusammengetan und wirklich gemeinsam mit den Kurator*innen in den Niederlanden diese Ausstellung konzipiert.

Offenheit im Umgang mit queeren Themen und Sexualität ist in der verklemmten deutschen Museumslandschaft eher selten. Ist man in den Niederlanden weiter? MG: Ich habe festgestellt – ohne jemandem zu nahe treten zu wollen –, dass die Niederländer auch nicht so frei mit diesem Thema umgehen, wie man meinen könnte. HB: Hier im Jüdischen Museum Berlin gab es niemals eine verklemmte Haltung. Es hat immer schon spannende und provokante Themen gegeben. Aber ich glaube, dieses Museum kann man nicht als repräsentativ für die gesamte deutsche Museumslandschaft sehen.

Wie reagiert denn das Publikum? HB: Ich habe nur von einem einzigen negativen Vorfall gehört: Ein 20-jähriger Amerikaner verließ mit Grausen unser Haus. Er hatte sich Gil Yefmans Kunstwerk „Tumtum“ im Innenhof angesehen – ein sehr spezielles Werk, mit tropfendem Sperma, Penissen, Vulven und Brüsten. Alles gehäkelt. Und riesig. Das fand er schrecklich. Und dann ist er hochgegangen in die Ausstellung und war nach 20 Minuten wieder draußen. Aber an sich haben wir überwiegend positive Reaktionen und eine sensationelle Presse bekommen.

Ich war erstaunt, wie queer die Schau ist. Man könnte fast sagen: überproportional. MG: Aus der queeren Szene kommt einfach so viel mehr interessantes visuelles Material, auf das man als Kuratorin gerne zugreift. Ich wünschte mir, dass es von den Orthodoxen ein bisschen mehr attraktive Kunst gäbe, die man zeigen könnte. Gibt es aber nicht, aus den naheliegenden und bekannten Gründen. Das andere ist, dass wir ja von der Gegenwart ausgehend zeigen wollen, was im Moment aktuell ist, was verhandelt wird und im Gespräch ist. Und die Diskussion der letzten Jahrzehnte kreist um mehr Freiheit und Offenheit, was auch in die religiöse orthodoxe Szene hineinfließt. So wie sich in der Vergangenheit der Feminismus von Religion abgewandt hat, weil diese als zu patriarchal und unterdrückend gesehen wurde, stellt heute die Queer-Bewegung Orthodoxie und Tradition infrage beziehungsweise sucht einen eigenen Platz darin. Es gibt viele queere Juden, die ihre religiöse und sexuelle Identität in der Gemeinde leben wollen. Das geht an sich nicht und da sind die interessanten Reibungspunkte.

Bild: Jean Baptiste Carhaix Papers
Die Ausstellung präsentiert unterschiedliche, queer-feministische Perspektiven auf Sexualität.

Gab es von orthodoxer Seite Kritik? HB: Ich würde es gern sehen, dass orthodoxe Menschen zur Ausstellung kommen. Aber die kaufen sich bei einem solchen Ausstellungstitel erst gar kein Ticket.

Linke, queere Aktivist*innen werfen dem Staat Israel vor, eine liberale Haltung gegenüber Homosexualität zu benutzen, um arabische und muslimische Menschen zu dämonisieren. Diese Aktivist*innen würden Ihnen wahrscheinlich Pinkwashing mit der Ausstellung unterstellen ... HB: Wir zeigen ja den Kampf der Queers um Anerkennung, um ein selbstbestimmtes Leben. Wir sagen nicht, in Israel sei alles fabelhaft. Insofern sehe ich da auch kein Pinkwashing von unserer Seite, sondern eine Beschreibung des Status quo. Und das religiöse Establishment hält überhaupt nichts von LGBTIQ*.

Ein Exponat von Micha Kirshner mit dem Titel „Yona Wallach“ von 1982 zeigt, wie ein Gebetsriemen zum BDSM- Spielzeug wird. Ist das eine bewusst eingebaute Provokation gegen dieses religiöse Establishment? MG: Na ja, das ist eine künstlerische Arbeit. Aber dieser Bereich der Ausstellung mit dem Titel „Erotik und das Göttliche“ ist tatsächlich der provokanteste, weil wir davon sprechen, dass die Ausübung der Rituale, die einen sehr hohen Stellenwert im Judentum haben, auch eine sinnliche oder erotische Komponente haben kann.

Hätte es einen Unterschied gemacht, wenn das Kuratorium aus Männern bestanden hätte? MG: Vermutlich ja. Aber ich glaube, das trifft auf jede Teamkonstellation zu. Wir waren in der Tat drei Frauen und ein*e nicht binäre*r Kolleg*in.

Sie haben im Katalog ein ganzes Kapitel über Magnus Hirschfeld in der Abteilung „Sexualität und Macht“. War seine große Präsenz von Anfang an klar? MG: In der Entstehungsgeschichte unseres Konzepts hat uns dieses Kapitel am meisten beschäftigt, weil es am sperrigsten war. Aber dann war klar, dass zwischen den „Tabus“ und den „Sexuellen Identitäten“ eine Lücke klaffte. Das Naheliegende war, sich mit der Wissenschaft zu beschäftigen, und so haben wir uns für zwei Personen entschieden. Auf der einen Seite Sigmund Freud mit seiner wegweisenden Forschung, auf der anderen Hirschfeld. Dann haben wir noch Charlotte Wolff reingenommen, um mehr Gleichgewicht zu erzeugen.

Sie haben auch tolle Leihgaben von der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft. Das berühmte Dildo-Set bekommt jetzt noch mal neue Sichtbarkeit. MG: Das hätten Sie schon jahrelang bei uns sehen können. (lacht) Das war in unserer ersten Dauerausstellung sehr, sehr lange ausgestellt. Da hieß es auch noch „Dildos“. Inzwischen habe ich gelernt, dass es ein Kasten mit „Penisprothesen“ ist. Hirschfeld hat sie von seiner Japanreise mitgebracht, im erklärenden Text hieß es damals, dass es ein „Geschenk für eine Braut“ gewesen sei. Für mich macht daher „Dildo“ mehr Sinn.

Ist der Zeitpunkt der Ausstellung gezielt in die Pride-Zeit gelegt? MG: Das hat sich eher zufällig so ergeben.

Ist für die nächsten Jahre wieder etwas großes Queeres geplant? HB: Wenn jemand einen guten Vorschlag macht, dann nehmen wir den gerne in unseren Riesenpool von möglichen Ausstellungen auf. Dass da wieder etwas Queeres dabei ist, ist eigentlich selbstverständlich.

Sex. Jüdische Positionen
Noch bis 06.10.2024
Täglich 10:00–18:00
Lindenstr. 9–14, Kreuzberg
jmberlin.de

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