„Noch nie verliebt“: asexuell und aromantisch
Am 6. April 2021 findet zum ersten Mal der Internationale Tag der Asexualität statt. SIEGESSÄULE sprach mit Clara, Organisatorin eines deutschsprachigen „Aspec“-Forums. Clara ist selbst asexuell und außerdem aromantisch. Im Interview erklärt sie, was Aromantik bedeutet und inwiefern sie sich von Asexualität unterscheidet
Clara, du bist asexuell und außerdem aromantisch. Wann hast du das gemerkt? Ich identifiziere mich seit etwa 2014 als asexuell. Meine romantische Orientierung war zunächst nicht so ein Thema. Durch meine Asexualität erschien es mir sowieso zu kompliziert, zu daten – man muss schließlich erstmal jemanden finden, der oder die damit in Ordnung ist, dass ich kein Interesse an Sex habe. In den letzten zwei Jahren habe ich mich aber stärker auch mit Aromantik befasst und habe angefangen, mich persönlich an das Thema ranzutasten. Was es heißt, aromantisch zu sein, ist ja sehr individuell – es gibt ein „Spektrum“ mit unterschiedlichen Ausprägungen, ähnlich wie bei Asexualität. Inzwischen verwende ich für mich die Bezeichnung „arospec“ oder „auf dem aromantischen Spektrum“.
„Ich denke, dass ich noch nie verliebt im klassischen Sinne war“
Was bedeutet das konkret für dich? Ich denke, dass ich noch nie verliebt im klassischen Sinne war. Als Teenagerin gab es ein, zwei Situationen, in denen ich mich zu einer Person stark hingezogen gefühlt habe, mit ihr viel Zeit verbringen wollte. Ich dachte damals: okay, das muss Verliebtheit sein. Ein Schlüsselmoment kam dann, als ich vor ein paar Jahren umgezogen bin und neue Leute kennenlernte… unter anderem eine Freundin, mit der ich mich schnell super gut verstanden habe. Das hat mich überfordert, ich habe mich gefragt: was will ich von ihr, was genau empfinde ich für sie? Nach viel innerer Auseinandersetzung bin ich zu dem Ergebnis gekommen: ich will definitiv keine romantische Beziehung, sondern finde sie auf andere Art und Weise anziehend. Im Zuge dieses Prozesses habe ich die Situationen in meiner Teenagerzeit nochmal überdacht. Und festgestellt, dass das wohl auch keine romantische Anziehung war. Ich hatte einfach keine anderen Worte dafür – und nahm an, das wird schon das sein, was alle meinen, wenn sie von Verliebtheit reden.
Um es nochmal auf den Punkt zu bringen: für dich bedeutet aromantisch zu sein also, dass du dich nicht verliebst? Nicht Verliebtheit im klassischen, „körperlichen“ oder romantischen Sinne zumindest. Und es heißt für mich, dass ich kein großes Bedürfnis danach habe, eine Paarbeziehung einzugehen… vor allem nicht den Impuls, aktiv danach zu suchen.
Wie ist das für andere aromantische Menschen, die du kennst? Das entscheidende Kriterium – aber das muss jede Person für sich selbst wissen – ist, ob man den Eindruck hat, man hat diese romantische Anziehung schon mal erlebt oder eben nicht. Die allgemeine Definition von Aromantik ist ja recht weit gefasst: aromantisch sind Personen, die wenig oder keine romantische Anziehung erleben, die kein Interesse an romantische Beziehungen haben und/oder die Romantik als unangenehm empfinden. Es muss nicht immer alles davon zutreffen. Es gibt natürlich so „äußere“ Aspekte: würde ich mich wohl damit fühlen, mit einer anderen Person Händchen zu halten, oder wäre mir das unangenehm. Wie fühle ich mich dabei, jemanden zu küssen, und so fort. Das sind dann sehr individuelle Überlegungen, alles davon kann sich auf dem aromantischen Spektrum wiederfinden.
„Nur weil jemand asexuell ist, muss das nicht automatisch heißen, das die Person auch aromantisch ist. Und umgekehrt.“
Warum findest du es dennoch wichtig, dass es einen eigenen Begriff dafür gibt? Vor allen Dingen deshalb, weil durch die Unsichtbarkeit von aromantischen Menschen so viel Selbstzweifel entstehen. Wenn man sich gar nicht oder nur in negativer Weise repräsentiert findet, kann das Gefühl aufkommen, dass mit einem selbst irgendetwas nicht in Ordnung sei. Deswegen ist es für mich so wichtig, einen Begriff dafür zu haben, über den ich auch Gleichgesinnte finden und mich vernetzen kann.
Wissen um Asexualität ist zwar noch nicht sehr verbreitet – aber zumindest haben einige Menschen den Begriff schonmal gehört. Anders beim Thema Aromantik: hierzu gibt es noch sehr wenig Infos, eine deutschsprachige Community ist gerade erst am entstehen. Ja. Asexualität und Aromantik werden zwar oft zusammen genannt. Anders als viele glauben, stehen die beiden Identitäten jedoch getrennt voneinander. Nur weil jemand asexuell ist, muss das nicht automatisch heißen, das die Person auch aromantisch ist. Und umgekehrt. Bei mir trifft zufällig beides zu, aber bei vielen anderen, die ich kenne, eben nicht.
„Man kriegt vermittelt, dass man irgendetwas falsch mache, nur weil man keine Beziehung hat“
Ende Februar ist immer die Aromantic Spectrum Awareness Week – kurz nach dem Valentinstag. Ist das Datum absichtlich so gewählt? Genau. Der Valentinstag steht ja für ein bestimmtes romantisches Liebesideal. Dagegen richtet sich die Aromantic Spectrum Awareness Week – beziehungsweise gegen die Vorstellung, dass eine romantische Beziehung etwas ist, nach dem alle Menschen streben müssen. Und dass einem notwendigerweise etwas fehlt, wenn man das nicht hat oder nicht will. Das ist ja nicht nur für aromantische Menschen nervig, wenn man Single ist und bei jedem Familientreffen gefragt wird: hast du endlich mal einen Freund oder eine Freundin. Man kriegt vermittelt, dass man irgendetwas falsch mache, nur weil man keine Beziehung hat.
Findest du wirklich, dass dieses romantische Ideal noch so dominant ist? Mittlerweile gibt es doch einige Lebensentwürfe abseits der klassischen Paarbeziehung, die gesellschaftlich anerkannt sind und die auch gelebt werden. Einerseits ja. Andererseits finden wir, etwa in der Popkultur, oft noch eine Idealisierung der Zweier-Paarbeziehung. Immer noch finden in vielen Büchern oder Filmen die Held*innen am Ende die „wahre Liebe“. Die Menschen, die kein Interesse an einer Paarbeziehung haben, sind dagegen meist die Bösewichte, werden als zu machtgeil oder zu selbstbezogen dargestellt, um „Interesse an Liebe“ zu haben. Dreh- und Angelpunkt bei Harry Potter, um nur ein Beispiel zu nennen, ist, dass sein Antagonist Voldemort keine Liebe empfinden kann. Über solche einseitigen Darstellungen in den Medien bekomme ich als aromantische Person die Botschaft vermittelt, dass ich generell nicht liebes- oder empathiefähig sei, was natürlich Quatsch ist. Aber man kann diese Bewertungen nicht ganz von sich fernhalten. Das macht etwas mit der Psyche.
Es gibt ja auch das Bild: wer keine romantische Beziehung findet, werde früher oder später unter Einsamkeit leiden. Wie empfindest du das? Mir würden im Grunde meine Freundschaften, Familie und Bekanntschaften ausreichen, um das zu bekommen, was ich emotional brauche. In der Praxis ist das natürlich nicht immer leicht, was aber mit dem gesellschaftlichen Stellenwert von Freundschaft zusammenhängt. Die Zweier-Paarbeziehung wird als das non-plus-ultra betrachtet, Freundschaften erscheinen dagegen weniger wichtig. Sobald Leute verpartnert sind, haben deren Partner*innen häufig Priorität, und als befreundete Person kann man dann das Gefühl bekommen, sich dem unterordnen zu müssen. Ich selbst habe aber das Glück, in einem sehr queeren Freundeskreis zu sein, in dem eine große Offenheit da ist und wenig Druck, klassischen heteronormativen Bildern zu entsprechen.
„Ich freue mich über jedes schwule und lesbische Pärchen, über jede nicht binäre oder trans* Person, die mir in einer Fernsehserie begegnen. Aber ich würde mich da halt auch gerne selber wiederfinden“
Queers haben lange dafür gekämpft, ihre Sexualität und Beziehungen frei ausleben können. Begegnen dir als asexuelle und aromantische Person da auch manchmal Vorurteile, etwa von Schwulen oder Lesben? Bei mir persönlich bisher wenig. Aber es ist definitiv nicht selbstverständlich, dass aromantische oder asexuelle Menschen von der queeren Community mit offenen Armen aufgenommen werden. Und ich weiß auch, dass einige Aros (und Aces) sich selbst nicht als Teil der queeren Community sehen. Ich selbst sehe mich als queer und freue mich über jeden Erfolg, der in der Hinsicht errungen wird. Nur weil ich mir mehr Repräsentation von aromantischen und asexuellen Menschen wünsche, heißt das ja nicht, dass ich anderen Minderheiten etwas wegnehmen will. Ich freue mich über jedes schwule und lesbische Pärchen, über jede nicht binäre oder trans* Person, die mir in einer Fernsehserie begegnen. Aber ich würde mich da halt auch gerne selber wiederfinden.
Gruppen und Anlaufstellen zu Asexualität und Aromantik
AktivistA e. V. - Verein zur Sichtbarmachung des asexuellen Spektrums
Deutschsprachiger Verein zur Sichtbarmachung von Asexualität. Informationen, Veranstaltungen, Community Arbeit
Aven Forum
Deutsche Website des ältesten internationalen Netzwerks von und für a_sexuelle Menschen
Asex Web
Auflistung und Vernetzung regionaler Gruppen und Stammtische des asexuellen Spektrums
Aces NRW
Kollektiv asexueller Menschen in NRW
Aurea – Aromantic spectrum Union for Recognition, Education, and Advocacy
Forum für aromantische Menschen
Aspec*German
Discord-Community für Menschen aus dem asexuellen und aromantischen Spektrum
Ameisenbären
Community auf Facebook und WhatsApp für Menschen aus dem asexuellen und aromantischen Spektrum
International Asexuality Day (IAD)
Kampagne zum Internationalen Tag der Asexualität am 6. April
Ace Week
Ace Awareness Week, internationale Kampagne
Arospecweek
Aromantic Spectrum Awareness Week, internationale Kampagne
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