Interview mit Eren Ünsal

Antimuslimischen Rassismus bekämpfen

16. Apr. 2021 Amanda Beser
Eren Ünsal, Leiterin der Landesstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung

Antimuslimischer Rassismus ist ein wachsendes Problem in Deutschland. Berlin hatte in diesem Jahr als erstes Bundesland eine Expert*innenkommission zum Thema eingeführt. Moderiert wird sie von Eren Ünsal, Leiterin der Landesstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung. SIEGESSÄULE sprach mit ihr u. a. über die Arbeit der Kommission

Frau Ünsal, wie sieht die Arbeit der neuen Kommission aus und warum wurde sie gegründet? Die Expert*innenkommission „Antimuslimischer Rassismus“ ist zunächst für ein Jahr gegründet worden und verfolgt drei wesentliche Ziele. Das eine Ziel ist, einen Überblick über den Forschungsstand zu antimuslimischem Rassismus zu erstellen und in dem Zusammenhang auch eine Definition zu erarbeiten. Auf der Basis dieser Vorarbeiten werden wir eine Arbeitsdefinition formulieren. Diese soll dann die Grundlage dafür bilden, konkrete Empfehlungen und Maßnahmen für das Verwaltungshandeln zu erarbeiten.

Auf welche Erfahrungen und Expertise können Sie dabei zurückgreifen? Der Berliner Senat arbeitet schon lange zum Thema Prävention und Bekämpfung von Rassismus und in dem Zusammenhang auch zu antimuslimischem Rassismus. Beispielsweise setzen wir seit vielen Jahren die Landeskonzeption gegen Rassismus, Rechtsextremismus und Antisemitismus um. Darüber werden im Land Berlin zahlreiche Monitoring-, Empowerment- und Beratungsprojekte gefördert. Und wir führen auch Kampagnen- und Aufklärungsarbeit durch. Aber wir sehen, es gibt einen großen Bedarf, diese Anstrengung zu verstärken. Natürlich war der Anschlag von Hanau vor einem Jahr eine ganz wichtige Zäsur. Das Expert*innengremium wird auch darauf hinweisen, dass insbesondere in Bezug auf die Betroffenenperspektive mehr geforscht werden muss. Wir brauchen beispielsweise mehr Informationen darüber, wie wir Menschen dabei unterstützen können, um erlebte Diskriminierung zu melden, oder welche Beratungsangebote sie als hilfreich erleben.

„Diskriminierung oder Rassismus haben viele Gesichter.“

Dass antimuslimischer Rassismus zugenommen hat, zeigen nicht nur die gestiegenen islamfeindlichen und antimuslimischen Straftaten, die 2020 bundesweit registriert wurden. Außerdem nehmen laut einer Untersuchung der Bertelsmann Stiftung von 2020 rund die Hälfte der Deutschen den Islam als Bedrohung wahr. Antimuslimischer Rassismus ist demnach ein gesamtdeutsches Problem. Es handelt sich auf jeden Fall um keine berlinspezifische Problemlage. Wir stehen im regelmäßigen Austausch mit den Antidiskriminierungsstellen oder Ansprechpersonen anderer Bundesländer, und ja, da gibt es ähnliche Situationen in Bezug auf antimuslimischen Rassismus. Diskriminierung oder Rassismus haben viele Gesichter. Zunächst gibt es die individuelle Ebene, das betrifft das, was Menschen, die Muslime sind oder als Muslime wahrgenommen werden, tagtäglich an Herabsetzung und Ausgrenzung erleben. Das sind sogenannte Alltagsrassismen. Aber Diskriminierung und Rassismus können sich auch in Form von Beleidigungen bis hin zu direkter unmittelbarer Gewalt zeigen. Und dann gibt es die institutionelle und die strukturelle Ebene. Auf diesen Ebenen geht es um Formen der Benachteiligung, die in der Institution oder den Strukturen selbst stecken. Das können Einstellungsverfahren, Verordnungen oder gesetzliche Grundlagen sein, aber auch Organisationskulturen, die dazu führen, dass eine bestimmte Gruppe von Menschen aufgrund eines bestimmten Persönlichkeitsmerkmals ausgegrenzt wird oder nicht die gleichen Chancen bekommt.

Ein Beispiel dafür wäre das kontrovers diskutierte Neutralitätsgesetz. Es wird als pauschales Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen ausgelegt und soll in der Praxis Verwendung finden, wenn etwa der Schulfrieden konkret gefährdet ist durch das Tragen von auffällig religiösen und weltanschaulichen Symbolen und Kleidung. Und natürlich führt das in der Umsetzung dazu, dass beispielsweise Frauen, die ein Kopftuch tragen, eben nicht den gleichen Zugang haben zu allen Bereichen des Berufslebens. Es gibt „sichtbare“ Symbole, die gerade im Zusammenhang mit antimuslimischem Rassismus Thema werden, und das Kopftuch ist sicherlich ein besonders sichtbares Symbol.

„Ich glaube, dass wir beim Kritiküben gut überlegen müssen, ob wir wirklich das sagen, was wir sagen wollen?“

SPD-Vizechef Kevin Kühnert behauptete im letzten Jahr im Spiegel, dass Linke bei islamistischem Terror schweigen würden. Wie könnte Ihrer Meinung nach eine nicht rassistische Kritik am Islamismus formuliert werden? Reden wir eigentlich über den Islam? Reden wir über Muslime? Reden wir über Islamismus? Es ist wichtig, sich zu fragen, was meine ich hier eigentlich? Oder wen meine ich? Ich glaube, dass wir beim Kritiküben gut überlegen müssen, ob wir wirklich das sagen, was wir sagen wollen? Benutzen wir die richtigen Begriffe, sind wir sachlich in der Darstellung des Problems oder pauschalisieren wir? Wenn wir diese Grundregeln beachten, können wir selbstverständlich auch Kritik üben, die uns alle in der Debatte weiterbringt. Ich finde es absolut legitim, Kritik zu üben an einzelnen Aspekten des Christentums oder des Judentums oder des Islam. Aber die ganze Gruppe in einen Topf zu werfen, indem wir „der Islam“ sagen, und, was viel häufiger vorkommt, „die Muslime“ als ganze Gruppe zu bezeichnen ist in hohem Maße problematisch und führt dazu, dass Menschen sich pauschal verurteilt sehen und diskriminiert fühlen. Ich könnte mir aus der Gruppe, die ich kritisieren möchte, Meinungen einholen oder Menschen beteiligen, die vielfältige Perspektive in das Thema einbringen können. Auf diese Weise würde sich eventuell auch meine Perspektive weiten. Ich würde auch immer mit Menschen, die sich als muslimisch definieren, versuchen kritische Aspekte zu besprechen und versuchen herauszufinden, wie sie diese selbst formulieren würden. Das würde vielleicht auch zu einem gemeinsamen Umdenken führen. Die einen werden ernst genommen und können sich aktiv einbringen und die anderen bekommen einen differenzierten Einblick in eine ansonsten häufig als homogene Einheit wahrgenommene Gruppe.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Expert*innenkommission? Ich wünsche mir einen offenen Dialog, auch in der Verwaltung, weil Empfehlungen zu entwickeln das eine ist, das andere ist, diese Empfehlungen umzusetzen. Aber ich bin da optimistisch, weil wir eigentlich immer die Erfahrung gemacht haben, dass sich die Türen ganz leicht öffnen, wenn man mit guten, konkreten und umsetzbaren Ideen kommt.

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