Interview

Annette Hess übers Musical „Ku'damm 59“ und die neue TV-Staffel

23. Jan. 2025 Kevin Clarke
Bild: Ferran Casanova
Annette Hess schrieb das Drehbuch für die ZDF-Erfolgsserie „Ku'damm 56“ und „Ku'damm 59“.

Noch bis zum 23.02. kann man „Ku'damm 59“ im Theater des Westens sehen. SIEGESSÄULE-Kulturredakteur Kevin Clarke sprach mit der Librettistin des Musicals Annette Hess, die davor das Drehbuch der gleichnamigen ZDF-Erfolgsreihe schrieb

Seriöse LGBTIQ*-Musicals haben in Deutschland einen schweren Stand. Wie erklären Sie sich, dass deutsche Musical-Fans offensichtlich nicht so richtig Lust haben, sich mit queeren Themen ernsthaft auseinanderzusetzen? Meine Vermutung wäre, dass das hiesige Musicalpublikum doch sehr konservativ ist.

Konservativ in welche Richtung? Na ja, schon ein bisschen Richtung Homophobie, würde ich sagen. Wenn Männerfiguren auf der Bühne schwul sind, dann müssen sie gleichzeitig auch ein Kleid anziehen und lustige Sachen machen, wie in „La Cage aux Folles“.

„In den USA und in Großbritannien gibt es eine ganz andere Showkultur. Da weiß man seit Jahrzehnten, dass Musicals mit Komplexität und Relevanz glänzen können, ohne kommerziellen Appeal zu verlieren."

In den USA, wo das Musical ja komplett kommerziell aufgestellt und das Publikum sicherlich auch eher konservativ ist, ist es schon lange selbstverständlich, queere Geschichten mit Fallhöhe und politischem Anspruch auf die Bühne zu bringen. Warum geht das in Deutschland nicht? In den USA und in Großbritannien gibt es eine ganz andere Showkultur. Da weiß man seit Jahrzehnten, dass Musicals mit Komplexität und Relevanz glänzen können, ohne kommerziellen Appeal zu verlieren. Wir sind ja in der Vorbereitung für unsere „Ku'damm 56“-Adaption mit Peter Plate und Ulf Leo Sommer extra nach London geflogen und haben ein paar Musicals angeguckt. Da standen 200 Meter lange Menschenschlangen vor den Theatern, um reinzukommen. Das ist ein anderer Umgang mit Kultur.

Welche Stücke habt ihr in London gesehen? Wir haben natürlich „Hamilton“ geschaut, das war damals der neueste heiße Scheiß. Wir haben „Tina“ gesehen, über Tina Turner. Dann „Come From Way“ über 9/11 und die Menschen, die mit ihren Flügen in Kanada gestrandet sind nach dem Terroranschlag 2001. Und das vierte Stück, das uns am besten gefallen hat, war „Everybody's Talking About Jamie“. Das hat uns auch am meisten inspiriert.

Die schwule Figur des Wolfgang von Boost, der sich einer Konversionstherapie unterziehen muss und in den beiden „Ku'damm“-Musicals vorkommt, ist von Ihrem Onkel inspiriert … Ja, von meinem Großonkel, also dem Onkel Günter meiner Mutter. Er hat geheiratet. Günter und seine Frau Inge waren immer sehr freundschaftlich miteinander verbunden. Sie ist recht früh gestorben. Da war er Mitte 40 und hat alles aufgelöst, seinen Hof verkauft, das Dorf verlassen und ist nach Hannover in die Stadt gegangen. Er hatte dann einen Freund. Zu den Familienfesten ist er natürlich immer alleine gekommen. Aber alle wussten darüber Bescheid. Ich als Kind wusste nicht, dass er schwul war. Das wurde nie laut gesagt. Das hieß früher: ,Der macht sich nichts aus Frauen.' Das war die Formulierung für Homosexuelle.

„Dafür haben Wolfgang und Hans einen unfassbar schönen Liebessong miteinander. Und ich finde, das ist fast die emotionalste Geschichte im ganzen Musical (...)"
Bild: Sunstroem
Wolfgang und Hans im Musical „Ku'damm 59“.

In „Ku'damm 59“ geht die sehr anrührende Geschichte zwischen Wolfgang und Hans ein bisschen unter. War Ihnen das nicht wichtig, die in den Vordergrund zu rücken? Dafür haben Wolfgang und Hans einen unfassbar schönen Liebessong miteinander. Und ich finde, das ist fast die emotionalste Geschichte im ganzen Musical, wenn Hans zusammengeschlagen und dann von Wolfgangs Frau verraten wird. Ich finde, die Geschichte der beiden ist schon sehr prägnant und emotional.

Sie arbeiten gerade an einer vierten „Ku’damm“-Staffel fürs Fernsehen. Gibt es da schon Neuigkeiten, wann die rauskommt und was man erwarten darf? Es wird ,Ku'damm 77' sein, also wirklich mit einem großen Zeitsprung. Dadurch verschiebt sich das Ganze von einer Generation zur nächsten, aber die drei Schöllack-Schwestern sind immer noch da und die Mutter natürlich auch. Das ZDF wollte eine Fortsetzung machen. Das interessierte mich aber nur, wenn wir wirklich noch mal eine ganz andere Zeit erzählen. Zum Glück hat sich das ZDF dann darauf eingelassen und gesagt. Das Jahr 1977 ist einerseits sehr düster, Deutschland im Herbst mit RAF-Terrorismus. Auf der anderen Seite gab es Disco, in dem Jahr kam der Film ,Saturday Night Fever' raus. Und es ging los mit Christiane F. am Bahnhof Zoo. Der ist 200 Meter Luftlinie von der Tanzschule Galant entfernt. Natürlich schwappt auch dieser Einfluss in die Tanzschule der Familie Schöllack rein. Musikalisch betrachtet wird es keine 70er-Jahre-Hits geben, sondern die B-Seiten der Hit-Singles, sowie auch ein bisschen Punk. Die Dreharbeiten haben diesen Monat begonnen. Mit der Ausstrahlung ist im März 2026 zu rechnen.

SIEGESSÄULE präsentiert Kudamm 59
Di-Fr, 19:30, Sa+So 15:00+19:30
Theater des Westens
stage-entertainment.de

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