Ampel-Parteien einigen sich auf queerpolitischen Fortschritt
Von „Transsexuellengesetz“ über Blutspende bis hin zu Regenbogenfamilien, Entschädigungen oder Grundgesetz: der heute vorgestellte Koalitionsvertrag stellt in Aussicht, zentrale queerpolitische Forderungen der letzten Jahre umzusetzen
SPD, Grüne und FDP haben heute auf einer Pressekonferenz in Berlin die Ergebnisse ihrer Koalitionsverhandlungen vorgestellt – darunter auch viele Versprechen in Bezug auf LGBTIQ*-Rechte.
Mehr Selbstbestimmung für trans* Personen
So soll laut Koalitionsvertrag das in großen Teilen verfassungswidrige „Transsexuellengesetz” abgeschafft und durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzt werden. Die Änderung des eigenen Geschlechtseintrags im Personenstand wäre dann grundsätzlich per Selbstauskunft beim Standesamt möglich. Der Gang zum Gericht würde damit entfallen, ebenso könnten die zeit- und kostenintensiven psychologischen Gutachten, die zum Teil mit entwürdigenden Fragen einhergehen, der Vergangenheit angehören.
Zudem soll das Offenbarungsverbot erweitert und die Kosten geschlechtsangleichender Behandlungen vollständig von der GKV, dem bundesweiten Verband der Krankenkassen, übernommen werden. Auch soll ein Entschädigungsfonds für trans* und inter* Personen eingerichtet werden, die aufgrund der früheren Gesetzgebung von Körperverletzungen oder erzwungenen Scheidungen betroffen waren.
Schutz sexueller Identität im Grundgesetz
Im Grundgesetz – in Artikel 3, Absatz 3 – ist das Diskriminierungsverbot verankert. Darin finden queere Menschen bislang keine Erwähnung. Aktivist*innen fordern deshalb seit Langem eine Ergänzung des Artikel 3 um den Schutz der geschlechtlichen und sexuellen Identität. Im Koalitionsvertrag wurde nun vereinbart, dass der Gleichbehandlungsartikel um ein Verbot der Diskriminierung wegen sexueller Identität ergänzt werden soll. Der Schutz der geschlechtlichen Identität wird hingegen im Vertrag nicht erwähnt.
Auch den Begriff „Rasse“ wollen SPD, FDP und Grüne im Grundgesetz ersetzen. Für eine Änderung des Grundgesetzes bedarf es allerdings einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag und im Bundesrat – hier wäre die Ampelkoalition auf Unterstützung der Oppositionsparteien angewiesen.
Öffnung der Blutspende und des Familienrechts
Ein Blutspendeverbot für Männer, die Sex mit Männern haben, sowie für trans Personen soll abgeschafft werden, nötigenfalls gesetzlich. Auch soll das Verbot von „Konversionsbehandlungen“ überarbeitet werden. Geprüft werde dabei, ob das Verbot, das bislang nur für Minderjährige gilt, auf Erwachsene ausgeweitet werden kann.
Weiterhin soll das Familienrecht modernisiert werden. Eine zentrale queerpolitische Forderung vor der Wahl war die Gleichstellung von Zwei-Mütter-Familien und von Regenbogenfamilien im Abstammungsrecht. Im Koalitionsvertrag ist nun vermerkt: „Wenn ein Kind in die Ehe zweier Frauen geboren wird, sind automatisch beide rechtliche Mütter des Kindes, sofern nichts anderes vereinbart ist.“ Die Koalition stellt auch in Aussicht, sich den Themen soziale Elternschaft und Mehrelternschaft anzunehmen, das heißt Familien mit mehr als zwei verantwortlichen Elternteilen.
Maßnahmen gegen Queerfeindlichkeit
Um Queerfeindlichkeit entgegenzuwirken, soll ein ressortübergreifender Nationaler Aktionsplan für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt entwickelt werden. Unter anderem sollen damit die Länder bei der Aufklärung an Schulen und in der Jugendarbeit unterstützt, Angebote für ältere Queers gefördert und das „Diversity Management“ in der Arbeitswelt vorangebracht werden. Die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld soll dauerhaft im Bundeshaushalt finanziell abgesichert werden.
LGBTIQ*-feindlicher Hasskriminalität wollen die Ampel-Parteien begegnen, indem im Paragraf 46 des Strafgesetzbuches, der die Grundsätze der Strafzumessung regelt, künftig auch „geschlechtsspezifische und homosexuellenfeindliche Beweggründe“ explizit aufgenommen werden. Hasskriminalität aufgrund des Geschlechts und gegen queere Menschen soll durch die Polizeidienststellen von Bund und Ländern separat erfasst werden.
Verbesserungen für queere Geflüchtete
Queeren Geflüchteten wird versprochen, dass Asylverfahren besser überprüft werden: zum Beispiel, ob die Behörden die Wahrscheinlichkeit richtig einschätzen, nach einer Rückkehr in das Ursprungsland verfolgt zu werden. Unterbringungen für geflüchtete LGBTIQ* sollen außerdem sicherer gemacht und eine besondere Rechtsberatung eingerichtet werden. Regenbogenfamilien und in der EU geschlossene gleichgeschlechtliche Ehen oder Lebenspartnerschaften sollen in allen Mitgliedsstaaten anerkannt werden, mit allen Rechtsfolgen, die diese Anerkennung hat.
Werden alle Ziele umgesetzt?
Es bleibt abzuwarten, wann und wie diese Versprechen umgesetzt werden – und ob die Umsetzung den queerpolitischen Forderungen dann wirklich gerecht wird.
Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) lobte den Koalitionsvertrag heute in einer Pressemitteilung. Er löse den geforderten queerpolitischen Aufbruch ein: „Die von den Ampelparteien vereinbarten Ziele versprechen eine spürbare Verbesserung der Rechte von Lesben, Schwulen, bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen.“ Zugleich betonte der LSVD aber auch, dass die Verwirklichung dieser Ziele nicht auf die lange Bank geschoben werden dürfe.
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