Ampel-Aus und Neuwahlen: Verpasste Chance für Queerpolitik!
Nach dem Ende der Ampel-Koalition stehen wichtige queerpolitische Vorhaben vor dem Aus. In Zukunft könnte eine wahrscheinliche CDU-geführte Regierung auch die bisherigen queerpolitischen Errungenschaften wieder in Frage stellen. SIEGESSÄULE-Autor Sascha Suden kommentiert die Entwicklungen und Prognosen
Aus und vorbei. Die historische Chance, den Artikel 3 des Grundgesetzes um die sexuelle Identität zu erweitern wurde vertan. Dabei stand ganz deutlich im Koalitionsvertrag von SPD, den Grünen und der FDP auf Seite 96: „Wir wollen den Gleichbehandlungsartikel des Grundgesetzes (Artikel 3 Absatz 3 GG) um ein Verbot der Diskriminierung wegen sexueller Identität ergänzen.“
Doch mit dem Ampel-Aus kann die Koalition die Schuld auch nicht von sich weisen, denn schon zuvor bremste die CDU das Vorhaben. Zumindest meinte dies Marco Buschmann (FDP) noch vor kurzem als Justizminister gegenüber SIEGESSÄULE: Die Änderung sei „gestorben“, werde nicht mehr realisiert, „da sich die CDU komplett verweigert“.
Nach den Wahlen am 23. Februar, das sollte jedem politischen Beobachter klar sein, wird es keine notwendige Dreiviertelmehrheit des Deutschen Bundestages für eine derartige Grundgesetzänderung mehr geben: Das kurze Zeitfenster hat sich geschlossen.
Auch ein anderes queerpolitisches Bestreben wird vermutlich liegenbleiben, nämlich die Reform des Abstammungsrechts, die vor allem die Diskriminierung von Zwei-Mütter-Familien abbauen sollte. Nach aktuellem Stand sind lesbische Mütter nicht automatisch nach Geburt des Kindes die rechtlichen Eltern. Die „nicht-biologische“ Mutter muss einen aufwendigen Adoptionsantrag (Stiefkindadoption) stellen. Auch der Aktionsplan „Queer leben“ der Koalition, der mit 70 Millionen Euro realisiert werden sollte, wird wohl nicht mehr umgesetzt.
Aus diesem Grund fordert der LSVD⁺ – Verband Queere Vielfalt einen Krisenplan, um queerpolitische Vorhaben noch schnellsmöglich umzusetzen. Der Verband ruft die LGBTIQ*-Community dazu auf, an seiner E-Mail-Mitmachaktion teilzunehmen und Bundestagsabgeordnete anzuschreiben.
Queerpolitische Erfolge der Ampel
Doch es gibt auch Erfolge der Ampel-Koalition, die lediglich drei Jahre gemeinsam regiert hat. Sven Lehmann (Grüne), der Queerbeauftragte der Bundesregierung, ist stolz, „dass im Regenbogen-Ranking der ILGA Europe Deutschland erstmals zu den Top Ten in Europa gehört.“ (Inzwischen ist Deutschland allerdings wieder auf Platz 11 gesunken.)
Zu dem Erfolg hat sicher die Änderung des Blutspendegesetzes beigetragen, wonach jetzt auch schwule und bisexuelle Männer sowie trans* Personen Blut spenden dürfen. Bis 2023 wurden MSM und trans* Personen aufgrund ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität als Risikogruppen für potenzielle Infektionen behandelt, unabhängig von ihrem individuellen Sexualverhalten.
2021 wurde das Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität verabschiedet. Außerdem wurde 2022 das Diskretionsgebot im Asylrecht abgeschafft: Zuvor konnten Asylanträge von queeren Geflüchteten abgelehnt werden, mit der Begründung, dass diese durch ein „diskretes“ (ungeoutetes) Leben im Herkunftsland, queerfeindliche Verfolgung vermeiden könnten.
Erst seit dem 1. November 2024 ist das Selbstbestimmungsgesetz in Kraft, das endlich die entwürdigende Prozedur des Transsexuellengesetzes (TSG) beendete. Ob unter einer CDU-geführten Regierung, die derzeit wahrscheinlich ist, die für die queere Community positiven Gesetzesänderungen Bestand haben, wollte SIEGESSÄULE wissen. Die CDU-Parteizentrale und auch Friedrich Merz antworteten nicht.
Die CDU bremst
Jens Spahn, der offen schwule CDU-Abgeordnete, ließ durch seinen Sprecher ausrichten: „Vielen Dank für Ihre Anfrage an Jens Spahn. Allerdings konzentriert er sich aktuell auf andere Themen, deshalb Bitte um Verständnis, dass das nicht klappen wird.“ Nein, kein Verständnis. Die Antwort ist ein deutliches Signal, dass ihm andere Themen wichtiger sind.
Die CDU wollte das Selbstbestimmungsgesetz sofort nach der Verabschiedung bereits wieder ändern. So hieß es in der Vorlage, unterschrieben von Friedrich Merz: „Handwerklich und dogmatisch nicht überzeugend wird die Identitätsänderung gemäß Paragraph 2 Absatz 1 SBGG nicht etwa nur für Transsexuelle erleichtert, sondern vielmehr gänzlich in das Belieben eines jeden Menschen gestellt. Dies führt zu einer Fülle an Folgeproblemen, die gesetzlich nicht aufgefangen werden.“
Die CDU wollte das Selbstbestimmungsgesetz sofort nach der Verabschiedung bereits wieder ändern.
Ob er die geplanten Änderungen im Selbstbestimmungsgesetz auch mit den Stimmen der AfD und des BSW durchsetzt, die ihm in diesem Fall sicher sind, bleibt abzuwarten. Friedrich Merz, der sich außerdem über den Gesetzesvorstoß empörte, Schwangerschaftsabbrüche bis zur zwölften Woche zu legalisieren, gehört sicher nicht zu den queer- und frauenfreundlichsten Politiker*innen der Republik.
Zur Erinnerung: Als sich Klaus Wowereit 2001 outete, meinte Merz: „Solange er sich mir nicht nähert, ist mir das egal.“ 2020 erntete er einen Shitstorm als er Homosexualität und Pädophilie in einem Interview gleichsetzte. Nicht zu vergessen, dass im neuen CDU-Programm der Satz steht: „Das biologische Geschlecht ist eine Tatsache und nicht veränderbar.“ Der queeren Community stehen keine leichten Zeiten bevor.
Hoffnung auf neue Koalition
Klar ist auch, dass es eine Koalition geben wird. Vermutlich unter CDU-Führung und mit einer Partei der alten Ampelkoalition, also SPD, Grüne oder FDP. Wie viel ihnen dann die queere Community wert ist, wird der Koalitionsvertrag zeigen. Werden sie die ambitionierten queerpolitischen Bestrebungen der letzten Jahre neu angehen oder diese um des Regierens willen über Bord werfen?
Werden sie die ambitionierten queerpolitischen Bestrebungen der letzten Jahre neu angehen oder diese um des Regierens willen über Bord werfen?
Übrigens, einen kleinen Hoffnungsschimmer für die Änderung des Artikel 3 des Grundgesetzes gibt es noch. Immerhin hat der Zentralrat der Katholiken (ZdK) letzte Woche beschlossen: „Niemand darf aufgrund seiner sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität diskriminiert werden. Bundestag und Bundesrat werden aufgefordert, die entsprechende Ergänzung in Artikel 3, Absatz 3, Satz 1 des Grundgesetzes vorzunehmen und damit die Rechte von LSBTIQ+-Personen zu stärken und den Schutz vor Diskriminierung zu erhöhen.“ Damit ist der ZdK, der schon 2022 die Bewegung #OutInChurch unterstützte, fortschrittlicher als viele (CDU-)Politiker*innen. Vielleicht können sie den Katholiken Friedrich Merz überzeugen.
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