Alfonso Pantisano: „Euer Kampf ist auch mein Kampf!“
Alfonso Pantisano ist Berlins erster Queer-Beauftragter. Das neue Amt ist nicht unumstritten: Während die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti e. V.) in Pantisano einen starken Trans*-Ally sieht, kritisieren andere den Berliner Senat, der Pantisano zur „Ansprechperson Queeres Berlin“ ernannte, anstatt ein transparentes Bewerbungsverfahren einzuleiten. SIEGESSÄULE-Autor*in Samu/elle Striewski bat Pantisano zum Interview
Seit im April bekannt wurde, dass Berlin einen Queer-Beauftragten bekommen wird, ist Kritik an der Intransparenz des Verfahrens und mangelnden Diversität laut geworden. Am 11. Juli wurdest du offiziell „Ansprechperson Queeres Berlin“. Wie kam es dazu? Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass die Community sich ein anderes Verfahren vorgestellt hat – wahrscheinlich würde ich genauso reagieren. Wir müssen aber bedenken, dass diese Koalition nur dreieinhalb Jahre Zeit hat und ein Auswahlprozess, bei dem alle Communitys eingebunden worden wären, zu viel Zeit gebraucht hätte. Da die Stelle zum Sofortprogramm der aktuellen Regierung gehört, war Eile geboten, um sich schnell den vielfältigen, großen Aufgaben anzunehmen. Ich habe mich daher sehr geehrt gefühlt, als mir das Amt angeboten wurde und habe mit Freuden zugesagt.
„Da die Stelle zum Sofortprogramm der aktuellen Regierung gehört, war Eile geboten, um sich schnell den vielfältigen, großen Aufgaben anzunehmen.“
Wie reagierst du auf die Kritik des LSVD Berlin-Brandenburg, das Amt sei nur ein staatlich eingesetztes „Sprachrohr“, in Wirklichkeit bräuchte es aber einen „Anpacker und Brückenbauer“? Queere Menschen, die in unserer Stadt aber auch im Rest des Landes leben, wissen, dass wir nach wie vor Schwierigkeiten ausgesetzt sind, weil unsere Würde jeden Tag angetastet wird, weil wir nicht sicher sind, weil wir nicht gesehen, nicht gehört, nicht berücksichtigt werden. Und wir sagen zwar, wir seien eine offene, vielfältige, plurale Gesellschaft. Aber wie wahr ist das wirklich? Wenn es darum geht, queere Menschen in diese Gesellschaft in Würde zu integrieren und teilhaben zu lassen, wird die Situation schon schwieriger. Mein Ziel ist es, queere Lebensweisen zunächst zu schützen, dann aber auch zu fördern und dafür zu sorgen, dass sie sichtbar werden.
Was bedeutet für dich, Queerness als Querschnittsthema zu verstehen? Wir haben es beim Thema Gesundheit zum Beispiel während des Lockdowns gesehen. Plötzlich hieß es, nur noch Familien dürften sich treffen, und mussten die Regierung darauf hinweisen, dass das, was als Familie bezeichnet wird, nicht immer queeren Lebensrealitäten entspricht. Vielleicht ist mein Freundeskreis meine Wahlfamilie. Daran wurde nicht gedacht, also musste der Senat umschwenken und die Lockdown-Regelungen an die Lebensweisen von queeren Menschen anpassen.
Die Opposition findet dennoch, für die Ansprache queerer Themen auf Landesebene braucht es das Amt eines Queer-Beauftragten nicht. Es ist erstaunlich, dass auf der einen Seite die Linke-Fraktion um Klaus Lederer in den Bezirken genau diesen Beauftragten fordert, eben weil es als Querschnittsthema gesehen werden muss. Das tun auch die Grünen, sie stellen auf Bundesebene sogar den Queerbeauftragten – eine Position, deren Schaffung ich sehr gefeiert habe. Auf Landesebene finden die Fraktionen von Linke und Grünen diese Stelle nun plötzlich überflüssig. Diesen Widerspruch dürfen sie gerne mit sich selbst ausmachen und ihn uns dann erklären.
„Ich bringe den Willen, die Bereitschaft und den Anspruch mit, in den Dialog mit allen queeren Communitys zu treten und ihnen zuzuhören.“
Wie planst du, die verschiedenen Dimensionen – neben Geschlecht und Sexualität auch Rassismus, Klassismus oder Ableismus – gerade als schwuler cis Mann anzugehen? Jede Community kann am besten für sich selbst sprechen, aber dann hätten wir zu viele Ansprechpersonen. Ich bringe den Willen, die Bereitschaft und den Anspruch mit, in den Dialog mit allen queeren Communitys zu treten und ihnen zuzuhören. Ich möchte ihre Themen verstehen und überlegen, wie ich die Zugänge, die ich durch das Amt habe, nutzen und zur Verfügung stellen kann, um die Anliegen derjenigen nach vorne zu bringen, deren Forderungen nicht berücksichtigt werden. Als weißer, schwuler cis Mann, der einen migrantischen Hintergrund hat, blicke ich auf viele Jahre Aktivismus zurück, in denen ich mich allen möglichen Gruppen immer wieder angeschlossen und erkannt habe: Euer Kampf ist auch mein Kampf und euer Leid ist auf mein Leid! Deswegen stehe ich an eurer Seite und unterstütze euch, so gut ich kann.
Du hast verkündet, einen Projektfonds „Queeres Leben in den Bezirken“ zu starten. Kannst du dazu mehr sagen? Ich habe schon die ein oder andere Idee, möchte mir aber erst nach dem CSD richtig darum Gedanken machen, wenn wieder mehr Zeit ist. Es gibt bereits einige queere Projekte, die sich auf ausgewählte Bezirke und Gruppen fokussieren. Ich möchte dieses Engagement gerne berlinweit fördern und auf alle Bezirke ausweiten. Wenn die Regierung unsere Arbeit unterstützen will – und davon gehe ich aus – dann werden wir aus dem Doppelhaushalt 2024/25 die notwendigen Gelder bekommen, um unsere Vorhaben zu erreichen.
„Ich stelle mir eine utopische Welt vor, in der es keine queeren Aktivist*innen mehr braucht und meine Stelle wirklich überflüssig wird.“
Was ist dein langfristiges Ziel? Ich möchte mit meiner Arbeit meine Arbeit abschaffen. Ich möchte gerne alles geben, damit sich die Lebenssituation der queeren Community in der Stadt so verbessert, dass es den einen oder anderen Kampf, den wir gerade führen, nicht mehr braucht. Ich stelle mir eine utopische Welt vor, in der es keine queeren Aktivist*innen mehr braucht und meine Stelle wirklich überflüssig wird, weil wir hundertprozentig stolz, sicher und gleichberechtigt in unserer Gesellschaft sind.
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