Aktivismus in Ostdeutschland

Was wir vom queeren Widerstand in Ostdeutschland lernen können

8. Jan. 2025 Selina Hellfritsch
Bild: Fabian Ng'uni
Künstlerin und Aktivistin Irène Mélix aus Dresden.

Mit Blick auf die Bundestagswahlen am 23. Februar und die ernüchternden Umfragewerte, stellt sich schnell ein düsteres Zukunftsszenario ein. Das feministische*forum aus Görlitz und die Künstlerin und Aktivistin Irène Mélix aus Dresden kämpfen seit Jahren gegen Rechtsextremismus in Ostdeutschland. Mit SIEGESSÄULE-Redakteurin Selina Hellfritsch sprach sie darüber, was wir in Berlin von ihnen lernen können

Wie würdest du wählen, wenn diesen Sonntag Bundestagswahl wäre? Laut Umfragewerten verschiedener Meinungsforschungsinstitute zeigt ein Stimmungsbild vom 10. Dezember: Um die 19 Prozent würden sich für die AfD entscheiden. Das wären ganze neun Prozentpunkte mehr als bei der letzten Bundestagswahl. Außerdem würde die AfD somit zweitstärkste Kraft nach der CDU/CSU werden und sogar die SPD überholen. Es handelt sich dabei zwar nur um eine Momentaufnahme, trotzdem zeigen diese Zahlen: Eine Partei, die in Teilen als „gesichert rechtsextrem“ gilt und bei der schon länger ein Parteiverbotsverfahren diskutiert wird, hat innerhalb weniger Jahre rechtes Gedankengut wieder alltagstauglich gemacht. Bei aller Hoffnung auf das Gegenteil, muss sich also auf ein Wahlergebnis der faschistischen Art vorbereitet werden.

„Es ist ein düsteres Bild, besonders durch den massiven Rechtsruck. Viele rechtsextreme Themen, die früher unvorstellbar waren, werden nun offen diskutiert und von großen Parteien unterstützt“

„Es ist ein düsteres Bild, besonders durch den massiven Rechtsruck. Viele rechtsextreme Themen, die früher unvorstellbar waren, werden nun offen diskutiert und von großen Parteien unterstützt“, sagt Francis Böhm vom feministischen*forum aus Görlitz. Das Forum entstand circa 2017 aus der Idee heraus, sich zu vernetzen und auszutauschen. Mittlerweile ist das Projekt viel größer geworden, wird vom Trägerverein Filmclub von der Rolle ’94 e. V. finanziert und bietet einen der wenigen Begegnungsorte für lokale, internationale und vor allem intersektionale Perspektiven in Görlitz. Einem Landkreis, der bei der Landtagswahl 2024 mit mehr als einem Drittel für die AfD gestimmt hat. „Wir sind ständig damit beschäftigt, an allen Ecken Feuer zu löschen. Wir stoßen an unsere Grenzen, da vieles im Ehrenamt stattfindet, und die Frage nach der Finanzierung ist eine Dauerbaustelle“, so Böhm. Trotzdem organisiert das Team seit Jahren kontinuierlich Empowerment-Workshops, intersektionale Bildungsarbeit, queere Filmvorführungen, hat im vergangenen Jahr die Trägerschaft des CSD Görlitz-Zgorzelec übernommen und bietet damit den rechten Strukturen die Stirn.

Bild: Francis Böhm
Das feministische*forum in Görlitz bietet einen Begegnungsort für lokale, internationale und intersektionale Perspektiven.

Geld gegen den Rechtsruck

Der Rechtsruck in Deutschland zeigt sich in vielen Bereichen, unter anderem nehmen Neonazigruppen immer mehr die Straßen ein und skandieren ihre rechtspopulistischen Parolen. Ein beliebter Treffpunkt dafür sind die Montagsdemonstrationen geworden, die aus den Corona-Protesten und Verschwörungsmythen heraus entstanden sind. Besonders in ostdeutschen Gebieten demonstrieren Tausende Rechtsextreme, AfD-Anhänger*innen, Reichsbürger*innen, aber auch bürgerliches Publikum. Der gemeinsame Nenner: die Ablehnung der Regierungspolitik.

„Es ist wichtig, bei Diskussionen über Nazis in Ostdeutschland nicht den Eindruck zu erwecken, dass es diese Probleme im Westen nicht gibt.“

„Es ist wichtig, bei Diskussionen über Nazis in Ostdeutschland nicht den Eindruck zu erwecken, dass es diese Probleme im Westen nicht gibt“, betont die Künstlerin und Aktivistin Irène Mélix. „Im Osten treten gesellschaftliche Probleme wie Rassismus und Queerfeindlichkeit besonders heftig und in einer verrohten Art hervor. Es betrifft aber alle und der Aufruf sollte sein, bestehende Strukturen vor Ort zu unterstützen, die sich gegen diese Angriffe stellen.“ Das hat auch das Netzwerk Polylux erkannt und unterstützt seit 2019 Vereine, Initiativen und Projekte der Zivilgesellschaft im Osten. Auf Instagram schreiben sie: „Gegen den Rechtsruck hilft so manches, unter anderem Geld.“ Das feministische*forum ist seit Beginn Teil des Netzwerkes und schätzt dabei vor allem die unkomplizierte finanzielle Unterstützung und den Austausch. „Auf kommunaler Ebene brauchen wir kaum Hilfe zu erwarten. Unsere Hauptfördermittel kommen aktuell vom Land Sachsen“, sagt Böhm. „Da hatten wir für das kommende Jahr zwar einmal mehr Glück, aber die Zukunft ist ungewiss.“ Das ewige Ringen um Ressourcen und die Unsicherheit seien eine ständige Belastung. Auch Mélix kennt diese Abhängigkeit und warnt davor, dass wir uns – mit Blick auf Berlins Haushaltskürzungen – nicht immer auf staatliche Gelder verlassen können. „Kürzungen im sozialen und kulturellen Bereich sind katastrophal, weil sie wichtige Räume für alternative Lebensweisen abseits rechter Jugendkulturen bedrohen.“ In Ländern wie Polen habe sie gesehen, wie sich politische Veränderungen auf Kulturinstitutionen auswirken. Es sei wichtig, für die Zukunft alle finanziellen Optionen in Betracht zu ziehen.

Queere Geschichte als Widerstand

„Queeres Leben gab es schon immer und wird es immer geben“, so Mélix, „eine Tatsache, die Rechte oft nicht anerkennen wollen oder aktiv versuchen aus der Geschichte zu löschen.“ Um dem entgegenzuwirken, hat die Künstlerin ihr Projekt „Grüße aus Dresden“ realisiert. Überdimensional große Postkarten zeigen dabei queerhistorische Orte wie Bars oder Cruising Areas in Dresden, die selbst im Stadtarchiv nur lückenhaft dokumentiert sind. „In Bezug auf Queerness in Ostdeutschland ist es wichtig, über Vergangenheit, Gegenwart und mögliche Zukunft zu sprechen.“ Geschichtsschreibung und -archivierung sind wichtige Punkte, damit diverse Lebensrealitäten nicht in Vergessenheit geraten. Als Aktivistin war Mélix auch an der Gründung der Queer Pride Dresden vor vier Jahren beteiligt, die aus Unzufriedenheit mit dem kommerziellen CSD entstanden ist. Queer Pride verfolgt hingegen einen antirassistischen, inklusiven, linken und antifaschistischen Ansatz, bei dem sie das ganze Jahr über Präsenz zeigen und Demonstrationen organisieren. „Die Anzahl der Prides in Ostdeutschland ist über die Jahre immer weiter angestiegen und zeigt, wie wichtig es ist, über bloße Parolen und Sponsoren hinauszugehen. Stattdessen setzen wir auf Community-Building und klaren Widerstand gegen rechte Strukturen.“

Bild: Irène Mélix
Eine Postkarte von dem Projekt „Grüße aus Dresden“ von Irène Mélix.
„Diese Zusammenarbeit ist der Schlüssel zum Erfolg. Wir können es uns nicht leisten, uns so weit zu spalten, wie es teils in anderen Großstädten passiert.“

In Dresden und Sachsen zeigt sich die Stärke des queeren Widerstands laut Mélix vor allem darin, dass es eine enge Zusammenarbeit zwischen überregionalen queeren und antifaschistischen Strukturen gibt. Über 1.000 Menschen sind etwa von Bautzen und Umgebung angereist, um beim CSD den 700 rechtsextremen Gegendemonstrant*innen etwas entgegenzusetzen. „Diese Zusammenarbeit ist der Schlüssel zum Erfolg. Wir können es uns nicht leisten, uns so weit zu spalten, wie es teils in anderen Großstädten passiert“, verdeutlicht Mélix. Böhm bestätigt: „Der Fokus liegt mehr auf Bündnissen für größere gemeinsame Ziele, was auch ein kollektives Bewusstsein fördert. Im Gegensatz dazu geht es in Großstädten wie Berlin oft nur um das Individuum und die eigenen Interessen.“ Dabei bilde doch die große, marginalisierte Gruppe die wahre Masse, um dem gemeinsamen Feind entgegenzutreten – denjenigen, die versuchen grundlegenden Rechte abzuschaffen.

Mit Blick auf das vergangene Jahr hofft Francis Böhm, dass den Menschen klar geworden ist: Niemand ist vor den Folgen des Faschismus sicher. „Demokratie kann jederzeit in Gefahr geraten.“ Aus dem eigenen jahrelangen Widerstand heraus blickt Böhm mit Zuversicht auf jüngere Menschen: „Es gibt Hoffnung, dass die junge Generation die Verantwortung übernimmt und etwas verändert. Sie sind oft mutiger und weniger an konventionelle Etikette gebunden.“ Irène Mélix fordert eine kämpferische Haltung, um queere, antifaschistische und solidarische Räume zu erhalten oder neue zu schaffen. „Wichtig ist, sich nicht einschüchtern zu lassen und nicht im Vorfeld schon Einschränkungen zu akzeptieren, sondern zu sagen: Jetzt erst recht!“

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