Afrodeutsche Geschichte wird totgeschwiegen
Zum Black History Month im Februar kommentiert Michaela Dudley die Auseinandersetzung mit afrodeutscher Geschichte
May Ayim sprang 1996 vom 13. Stockwerk eines Hochhauses in Berlin-Kreuzberg – im Alter von 36 Jahren. Die Autorin und Aktivistin der afrodeutschen Bewegung, die als Sylvia Andler 1960 in Hamburg geboren wurde, hinterließ eine beachtliche Bibliographie, die Gedichtbände, Sachbücher und Essays umfasst. Ihr bekanntestes Buch, gemeinsam mit Katharina Oguntoye und Dagmar Schultz herausgegeben und 1986 in der ersten Auflage erschienen, heißt „Farbe bekennen: Afro-Deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte“.
Wie viele andere Menschen musste sich May Ayim wohl oder übel mit ihren inneren Dämonen auseinandersetzen, während sie versuchte, mit den Widrigkeiten des Lebens irgendwie zu Recht zu kommen. Die Dichterin war depressiv. Das kommt nicht von ungefähr: schon von Kindesbeinen an war sie, als Person of Color mit einer nicht als „bürgerlich“ geltenden Herkunft, mit Vorurteilen konfrontiert. Sie war die „uneheliche“ Tochter eines ghanaischen Medizinstudenten und einer deutschen Mutter. Zunächst wuchs sie im Heim, dann bei Pflegeeltern auf. In der Enge, in der Strenge! Das Adoptivmädchen sollte zum Musterkind erzogen werden. Weil sie durch ihr Aussehen innerhalb der deutschen Gesellschaft ohnehin auffalle, wollten ihre Pflegeeltern, dass ihr Betragen vorbildlich sei – so heißt es in einem 1997 veröffentlichten Portrait von Silke Mertins über May Ayim. Doch mit welchen Folgen? Es war ein Balanceakt, bei dem sie auch als Erwachsene, als gefeierte Künstlerin und Vordenkerin schlussendlich das Gleichgewicht verlor.
Black History Month seit 1990 auch in Deutschland
Es ist weder der Geburtstag von May Ayim noch der Jahrestag ihres Todes. Trotzdem gibt es einen aktuellen Anlass dafür, über ihr Leben nachzudenken. Am 1. Februar beginnt der Black History Month. Der Monat geht auf die rastlosen Bemühungen des amerikanischen Historikers Carter G. Woodson zurück, der oft „Vater der Schwarzen Geschichte“ genannt wird und 1926 die „Negro History Week“ gründete. Seine Aktion war darauf bedacht, Schwarze aus der Marginalisierung heraus zu holen und in den Mittelpunkt zu stellen. Als Menschen und nicht als Maschinen, als Bürger*innen und nicht als Besitztum. Im Jahre 1976, ein halbes Jahrhundert nach der Gründung, wurde die Feier auf vier Wochen ausgedehnt. Seit 1990 gibt es den Black History Month auch in der Bundesrepublik – initiiert von May Ayim und der Berliner Initiative Schwarze Menschen in Deutschland Bund e.V. (ISD). Seitdem beteiligen sich jährlich viele Initiativen mit einem Programm: neben der ISD zum Beispiel auch die Berliner Vereine Each One Teach One (EOTO) e. V. und Berlin Postkolonial e. V..
Wer von euch kennt Theodor Wonja Michael?
Trotzdem gibt es hierzulande leider zu wenig Wissen über afrodeutsche Erfahrungen. Dieses Defizit gereicht der ganzen Gesellschaft zum Nachteil, wenn sie tatsächlich anstrebt, den demographischen Wandel zu bewältigen. Vor May Ayim wurde die Geschichte Schwarzer Menschen in Deutschland lange totgeschwiegen, doch bis heute wird diese Geschichte einfach nicht ausreichend sichtbar gemacht. Ja, die Namen kommerziell erfolgreicher Schwarzer Deutscher sind bekannt, allen voran Sportler*innen und Musiker*innen der heutigen Zeit, und das ist auch gut so. Doch auch andere, die diese Geschichte geprägt haben, verdienen Anerkennung, wie zum Beispiel der in Berlin geborene Journalist, Aktivist und Schauspieler Theodor Wonja Michael (1925 – 2019). Mit ihm starb einer der letzten afrodeutschen Zeugen der Weimarer und NS-Zeit. Die wenigsten kennen seinen Namen. Und für viele Menschen ist auch May Ayim nur der Name eines Kanalufers in Kreuzberg. 2009 war es nach der Dichterin benannt worden.
Auf einer Gedenktafel ihr zu Ehren steht: „May Ayim beschrieb rassistische Phänomene, die vom deutschen Kolonialismus über die Zeit des Nationalsozialismus bis heute fortwirken.“ Obwohl es in Deutschland Persönlichkeiten wie May Ayim oder Theodor Wonja Michael gibt, liegt die Aufmerksamkeit oft auf Vorbildern aus den Vereingten Staaten, und in der Tat sind die Ansätze zahlreicher US-Bürgerrechtsheld*innen wie Martin Luther King und Rosa Parks universal anwendbar. Andererseits haben Afrodeutsche und Schwarze Menschen in Deutschland eigene Erfahrungen und Bedürfnisse, die nicht immer durch Anregungen aus den USA repräsentiert und abgedeckt werden können.
Black German Lives Matter also.
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