Interview mit Dr. med. Ingo Ochlast

Affenpockenimpfung: Wie läuft's in Berlin?

26. Juli 2022 Jeff Mannes
Bild: Philipp Moser
Dr. med. Ingo Ochlast

Ingo Ochlast ist Facharzt für Allgemein- und Arbeitsmedizin und HIV-Schwerpunktarzt in Berlin-Friedrichshain. Vor anderthalb Wochen erhielt seine Praxis die ersten Impfdosen gegen Affenpocken. SIEGESSÄULE wollte unter anderem von ihm wissen, wie er mit der hohen Nachfrage umgeht und welche Fallzahlen er nach dem CSD erwartet

Ingo, wann hast du zum ersten Mal von MPX, also „Affenpocken” gehört? Das war, wie bei den meisten Menschen, im Mai. Erst einmal mussten wir natürlich abwarten, wie es sich entwickeln würde. Aber trotzdem war ich etwas besorgt. Und es ging ja dann auch bald heftig los. Den ersten mutmaßlichen Fall bei mir in der Praxis hatte ich indessen gar nicht als „Affenpocken” diagnostiziert. Rückblickend muss ich aber sagen, dass es wohl MPX war. Der Penis des Patienten war sehr angeschwollen, er war dreimal im Krankenhaus. Aber wir hatten damals noch keine Labortests. Von diesem Moment an stiegen die Fallzahlen schnell an, auch wenn sie nicht so hochgingen, wie ich es anfangs erwartet hatte.

„Das finde ich eine unglückliche 180-Grad-Wendung, die wir nicht mitmachen werden."

Ab wann wusstest du dann: Ok, wir müssen wohl zukünftig viele Menschen impfen? Das war mir von Anfang an klar. Wir hatten ja keine Medikamente dagegen.

Nun impft ihr endlich seit ein paar Tagen. Ja. Wir haben gleich die ersten HIV-Patienten in unserer Praxis kontaktiert und gefragt, ob sie eine Impfung wollen. Die Resonanz war aber nicht so hoch, wie ich es erwartet hatte, so dass wir auch noch etwas Impfstoff für andere Patienten übrig hatten. Wir haben mit den Patienten auch einen Termin für die Zweitimpfung ausgemacht, denn es braucht ja zwei Impfungen im Abstand von mindestens vier Wochen. Am 20. Juli hieß es dann, entgegen der ursprünglichen Nachricht des Senats, wir sollen alle Impfdosen als Erstimpfungen verwenden. Das finde ich eine sehr unglückliche 180-Grad-Wendung, die wir nicht mitmachen werden. Denn nicht nur ist es ein riesiger Aufwand, all diese Termine jetzt wieder abzusagen, sondern wir können unseren Patienten ja auch schlecht sagen: „April, April, wir impfen euch jetzt doch nicht sofort ein zweites Mal.” Wir würden eine regelrechte Wut auf uns ziehen. Das geht so nicht, das hätte man sich vorher überlegen müssen.

„Leider hat Berlin hier wieder ein bisschen getrödelt."

Das ist ja eine von vielen Kritiken, die es aktuell gibt. Wie viele Impfdosen habt ihr denn wann bekommen? Jede Praxis hat 300 Impfdosen erhalten. Uns wurden diese am Donnerstag, dem 14. Juli geliefert.

Juli ist ja relativ spät, wenn man bedenkt, dass der Impfstoff schon im Juni an die Stadt geliefert wurde. Man muss leider sagen, dass Berlin hier wieder ein bisschen getrödelt hat. Man hätte das sicher schneller machen können, vor allem weil Berlin ja auch ein „Affenpocken”-Hotspot ist. In einigen anderen Bundesländern hat man mindestens eine Woche früher mit dem Impfen begonnen.

„Die Nachfrage ist riesig!“

Reichen die 300 Dosen denn für die Nachfrage bei euch? Nein, natürlich nicht. Die Nachfrage ist riesig! Und die Menschen tragen sich jetzt natürlich überall dort ein, wo man den Impfstoff bekommen kann, in der Hoffnung, irgendwo noch schnell dran zu kommen.

Viele schwule und bisexuelle Männer in Berlin sind derzeit ja auch wütend, dass es so lange gedauert hat und nun so wenig Impfstoff zur Verfügung steht. Es ist in der Tat wertvolle Zeit vergeudet worden. Ich komme aus Köln und habe dort früher auch im HIV-Bereich gearbeitet. Von dort kenne ich es eigentlich, dass man sich untereinander viel mehr unterstützt, vieles bespricht, sich öfters gemeinsam mit Themen auseinandersetzt. Das ist in Berlin, aus meiner Sicht, überhaupt nicht der Fall. Mir fehlen hier Meetings mit meinen Kolleg*innen. Ich glaube, in anderen Bundesländern arbeitet man viel besser zusammen. Berlin ist da sehr speziell. Und wir sind hier auch sehr langsam.

„Es ist keine Situation epischer Tragweite so wie bei Corona.“

Manche haben sich schon gefragt, ob auch Homofeindlichkeit eine Rolle spielen würde. Im Sinne von, es betreffe doch „nur die Schwulen”, deswegen sei es nicht so dringend. Wie siehst du das? Das würde ich, glaube ich, nicht so unterschreiben. Natürlich ist klar, dass es keine Situation epischer Tragweite ist, so wie bei Corona. Es betrifft viel weniger Menschen. Aber ich hatte schon das Gefühl, dass der Senat sich Mühe gibt. Es waren eher Fragen der Vergütung, rechtliche Rahmenbedingungen, oder die Abstimmung des Senats mit der kassenärztlichen Vereinigung, die Zeit gekostet haben. Man hätte da sicher pragmatischer vorgehen können. Trotzdem glaube ich, dass die Situation ganz anders und auch auf Bundesebene behandelt worden wäre, wenn MPX über eine Million Menschen betroffen hätte.

„Die meisten Infektionen scheinen beim Sex zu passieren.“

Am Samstag war CSD. Wie schätzt du die Situation in Bezug auf MPX ein? Ich glaube nicht, dass der CSD einen großen Unterschied macht, denn sonst hätten wir nach dem lesbisch-schwulen Straßenfest vom Wochenende davor ja auch schon ganz andere Zahlen haben müssen. So schnell ist es dann doch nicht übertragbar. Die meisten Infektionen scheinen eben beim Sex zu passieren. Deswegen kann man aus MPX-Sicht durchaus zum CSD gehen. Ich mache mir eher aus Corona-Sicht Sorgen beim CSD.

Es heißt ja, dass die nächste Impfstofflieferung im dritten Quartal kommen soll. Das kann noch im Juli, aber auch erst im September sein. Wann rechnest du mit mehr Impfstoff? Schwer zu sagen. Ehrlich gesagt: Keine Ahnung, ich weiß es nicht. Ich hoffe, dass es jetzt nicht noch zwei Monate dauert.

Praxisteam Friedrichshain
Petersburger Straße 94., 10247 Berlin
Informationen zur Affenpocken-Impfung

praxisteam-friedrichshain.de

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