Kommentar

Abtreibungsverbote in den USA: Das Bauchgefühl

30. Juni 2022 Michaela Dudley
Bild: Mark Dixon CC BY 2.0 Quelle
Protest in Pittsburgh gegen das Urteil des Obersten Gerichtshofes

Am 24. Juni kippte das oberste US-Gericht die bundesweite Regelung für das Recht auf Abtreibung. Kurz darauf hatten mehrere US-Bundesstaaten Schwangerschaftsabbrüche verboten. Dies alles könnte nur der Anfang sein und bald weitere Rechte auf der Kippe stehen. SIEGESSÄULE-Kolumnistin Michaela Dudley kommentiert

Mit seiner Entscheidung zum Fall Dobbs v. Jackson Women’s Health Organization vom 24. Juni 2022 hat der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten nach fast einem halben Jahrhundert das Recht seiner Bürger*innen auf eine sichere, gesunde Abtreibung gekippt. Der Supreme Court rechtfertigte seine Entscheidung mit dem Hinweis, dass der Anspruch auf einen Schwangerschaftsabbruch in der amerikanischen Verfassung nicht verankert sei. Demzufolge sind die einst wegweisenden Garantien aus dem 1973 verkündeten Grundsatzurteil Roe v. Wade, welche Frauen das Recht zusicherte, selbst über Abbruch oder Fortführung einer Schwangerschaft zu entscheiden, nun Geschichte. Laut Umfragedaten der renommierten Quinnipiac University sind 63 % der US-Amerikaner*innen für den Erhalt des Abtreibungsrechts.

Als ich in den 1980er Jahren Jura in den USA studierte, wäre das Verwerfen von Roe v. Wade undenkbar gewesen. Vor dem Hintergrund, dass Donald Trump in seiner Amtszeit als Präsident der Vereinigten Staaten drei der Obersten Richter nominierte, die später für das Abtreibungsverbot stimmen sollten, erscheint diese Entwicklung im Rückblick nur folgerichtig. Ein Zugunglück in Zeitlupe.

Gefängnisstrafen drohen

Doch damit nicht genug: Dobbs v. Jackson hat weitreichende Konsequenzen. Denn nicht weniger als 26 Bundesstaaten hatten sich in den Startlöchern gefunden, als der Supreme Court sich des Falls annahm. Mit deckungsgleichen legislativen Vorlagen und sogenannten Trigger Laws bzw. Auslösegesetzen wollen sie Frauen das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche nehmen. Dazu zählen u. a. Texas, South Carolina, West Virginia und Missouri sowie weitere Bundesstaaten aus dem sogenannten „Bible Belt“ im Süden der USA.

Dort ansässige Abtreibungswillige und auch diejenigen Schwangeren, die sich zuerst einmal nur über ihre Möglichkeiten eines Schwangerschaftsabbruchs informieren wollen, müssten sich nun heimlich auf den Weg in den Norden oder nach Kalifornien begeben. Denn die Abtreibungskliniken in Dixieland werden geschlossen. Ärzt*innen, Schwangere und ggf. selbst den Taxifahrer*innen, die die Schwangeren in eine Abtreibungsklinik bringen, drohen mehrjährige Gefängnisstrafen.

Welle der Solidarität im Internet

Zwar breitet sich im Internet eine große Welle der Solidarität mit den bestürzten Befürwörter*innen des Abtreibungsrechtes aus. So werden Gesundheitsberatungen, Transportmöglichkeiten und Reisefinanzierungen für flüchtige Schwangere angeboten.

Doch gleichzeitig macht sich auch Angst breit, während Suchmaschinen heiß laufen, weil nach Medikamente wie Mifepriston und Misoprostol gesucht wird, die auch zum Schwangerschaftsabbruch genutzt werden können. Selbst die sonst so selbstbewussten Social-Media-Giganten löschen in den USA Angebote für Abtreibungspillen.

Düstere Dystopie

Ex-Vizepräsident Mike Pence, der bei Trump in Ungnade fiel und am Dreikönigstag 2021 dem Galgen der Rechtsextremen mit knapper Not entkam, ist wieder da. Pence engagiert sich für ein bundesweites Verbot der Abtreibung. Er und die anderen selbsternannte „Pro-Lifer“ sind außer Rand und Band voller Freude, was ihre Aussichten betrifft. Es sind die gleichen „christlichen“ Fundamentalist*innen, die sich mehrheitlich für die Vollstreckung der Todesstrafe begeistern. Letzte Woche, knapp einen Tag vor Dobbs, erhielten sie ein zusätzliches Geschenk vom Obersten Gerichtshof, der ebenfalls mit einer Zweidrittelmehrheit das Waffenrecht ausweitete.

Es klingt wie eine düstere Dystopie, aber in den USA ist es nun raue Realität: Ein 18-jahriger Junge kann ein AR-15-Sturmgewehr (45 Schuss pro Minute) vielerorts innerhalb einer Viertelstunde legal erwerben. Einem 14-jährigen Mädchen, das vergewaltigt und geschwängert wurde und dessen Gesundheit durch eine Schwangerschaft gefährdet wäre, wird vielerorts eine Abtreibung verwehrt bleiben.

LGBTIQ*-Community fürchtet Rückschläge

In seinem Urteil in Dobbs stellte Clarence Thomas, Richter am Obersten Gerichtshof, darüber hinaus die rechtliche Grundlage für das Recht auf Verhütungsmittel, gleichgeschlechtliche Beziehungen und die Ehe für alle in Frage. Kurioserweise machte der Schwarze Thomas, der mit einer Weißen Trump-Fanatikerin verheiratet ist, diesbezüglich einen Bogen um den Fall Loving v. Virginia (1967), der sich mit Ehen zwischen Weißen und Nichtweißen befasst. Auf alle Fälle fürchtet die LGBTIQ*-Community in den Vereinigten Staaten, nun 53 Jahren nach Stonewall, massive Rückschläge.

Parallellaufend wird in Deutschland die Streichung von § 219a gefeiert werden, und das ist auch gut so. Denn er führte dazu, dass Ärzt*innen öffentlich keine Informationen über Schwangerschaftsabbrüche anbieten konnten, ohne Strafverfolgung befürchten zu müssen. Abtreibung bleibt in Deutschland jedoch grundsätzlich verboten, auch wenn sie unter bestimmten Voraussetzungen straffrei bleibt. Dass das sogenannte „Werbeverbot" aus der NS-Zeit stammt (Kinder, Kirche, Küche), dürfte nicht verwundern. Zur Erinnerung: Vergewaltigung in der Ehe ist hierzulande erst seit 1997 eine Straftat.

Das patriarchale Verfügen über die Körper von Frauen, FLINTA, BIPoC und Queers muss aufhören. Selbst nach jedwedem Schritt nach vorne müssen wir wachsam bleiben. Stets und ständig. Das sagt das Bauchgefühl. Denn Dobbs v. Jackson, das jüngste Schandurteil aus den USA, zeigt wie selbst ein felsenfestes fast ein halbes Jahrhundert lang bestehendes Recht „plötzlich“ gekippt werden kann.

Bild: Alexa Vachon

Michaela Dudley (Jg. 1961), eine Berlinerin und trans* Frau mit afroamerikanischen Wurzeln, ist Kolumnistin, Kabarettistin, Keynote-Rednerin und gelernte Juristin (Juris Dr., US).

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