AA Bronson: „Wir wollten uns von Aids nicht unterkriegen lassen.“
AA Bronson war Mitglied der Ende der 60er gegründeten kanadischen Künstlergruppe General Idea. Er ist der einzige Überlebende des Trios, das u. a. in den 80ern für Aufsehen sorgte als es das berühmte „Love“-Logo von Robert Indiana in „AIDS“ abwandelte. Seine beiden Künstlerkollegen Felix Partz und Jorge Zontal starben 1994 an den Folgen der Krankheit
Noch bis Mitte Januar zeigt der Gropius Bau eine Retrospektive der Künstlergruppe, während bis zum 3. Dezember am Berliner Ku'damm eine Videoanimation zu sehen ist, die auf dem Logo von General Idea basiert. Mit SIEGESSÄULE sprach AA Bronson über die Aids-Krise in New York, die aktivistische Kunst von General Idea und seine Verbundenheit zu Berlin
Am 1. Dezember ist der Welt-Aids-Tag. Welche Gedanken gehen dir da durch den Kopf? Für mich ist an jedem Tag Welt-Aids-Tag, weil die meisten meiner Freunde in den späten 80ern und frühen 90ern gestorben sind. Ich kenne eigentlich niemanden in meinem Alter, das ist schon seltsam. Alle, die ich kenne, sind halb so alt wie ich. Manchmal frage ich mich, wie es wäre, hier Freunde in meinem Alter zu haben.
Warum hat das Künstler-Trio General Idea im Gegensatz zu vielen anderen Künstler*innen sich bereits seit Mitte der 80er mit dem Thema Aids beschäftigt? Nun, das war ein Zufall. Wir zogen Anfang 86 nach New York. Fünfundzwanzig Galerien veranstalteten im Juni 86 eine gemeinsame Ausstellung, um Geld für die Aids-Forschung zu sammeln. Wir hatten die Idee für eine Kunstarbeit zum Thema Aids. Wir dachten, das sei geschmacklos, aber wenn es die Leute aufregt oder begeistert, dann kommt man ins Gespräch. Also haben wir die ersten Arbeiten für diese Ausstellung gemalt. Sie haben sich nicht verkauft, aber eine Menge Diskussionen ausgelöst.
Und dann? Viele Leute in New York hassten unsere Arbeit. Und so gab es einen großen Aufschrei, vor allem unter den Künstler*innen, aber sie erregte auch viel Aufmerksamkeit. Dann dachten wir, wir sollten sie sichtbarer machen, damit die Diskussion noch größer wird. Also hängten wir Aids-Plakate in ganz Manhattan auf. Das hat alle möglichen Gespräche ausgelöst. In gewisser Weise war es wie eine Werbekampagne für eine Krankheit. Dann sind wir nach San Francisco gegangen. Ich hätte nicht gedacht, dass San Francisco schwulenfeindlicher ist als New York. Doch dort wurden die Plakate sehr aggressiv abgerissen.
„Es gab einen großen Aufschrei, aber es erregte auch viel Aufmerksamkeit.“
Ihr habt den Aids-Schriftzug von Robert Indianas Love-Letters adaptiert. War Robert Indiana mit eurer Arbeit einverstanden? Ein Magazin fragte ihn mal, was er von unserem Aids-Logo hielt. Seine Antwort lautete: Das Einzige, was mir daran nicht gefällt, ist, dass ich nicht selbst auf die Idee gekommen bin.
Wie war die Atmosphäre in New York als durch Aids viele schwule Männer starben? Es war wie im Krieg. Wir wohnten direkt neben dem wichtigsten Aids-Krankenhaus in Manhattan. Man wusste nur, dass die Leute sterben würden. Niemand wusste, was zu tun ist. Die Krankenschwestern blieben zwar, aber der Rest des Personals verschwand einfach. Es gab keine Reinigungskräfte, niemanden, der die Laken wechselte oder das Essen brachte. So kam es, dass Freunde Essen von zu Hause mitbrachten. Sie hielten sich im Krankenhaus so lange auf, wie sie Zeit hatten. Es war sehr hart, aber auch eine große Party.
Und außerhalb des Krankenhauses, wie war es in New York? Alle waren sehr verängstigt. Gleichzeitig strahlte das Leben in New York eine gewisse Vitalität aus. Die Leute ließen sich nicht einschüchtern. Die Saunas waren größtenteils geschlossen. Doch die Schwulenbars waren voll und es gab ein reges Nachtleben.
„Es fühlte sich an, als würde die Schwulenszene zerstört werden.“
Und ihr habt auf der Klinge getanzt? Ja, schon. Wir wollten uns von Aids nicht unterkriegen lassen. Wir wollten weitermachen. Denn es fühlte sich an, als würde die Schwulenszene zerstört werden. Aber das wurde sie nicht. Wenn überhaupt, wurde sie dadurch gestärkt und politischer. Als Folge der Aids-Krise kamen die Akademiker*innen aus der Deckung. Es gab Konferenzen über Aids vor allem in den Museen. Die Kunstwelt war sehr, sehr aktiv. Plötzlich wurde die marginalisierte Schwulenszene zu einer sehr bedeutenden, auch intellektuellen Szene. Und viele Kunstmagazine veröffentlichten Sonderausgaben zum Thema Aids. Das hat das Wesen der schwulen Welt sehr verändert.
Gehen schwule Männer heute zu sorglos mit HIV und Aids um, weil es gute Medikamente und Präparate gibt? Es ist nicht so, dass sie mit Aids zu sorglos umgehen. Sie sind generell zu sorglos, weil sie zwar vor Aids geschützt sind, aber vor so vielen anderen Krankheiten nicht.
Du hast mal gesagt, dass dich der Wind über den Atlantik nach Berlin geweht hat. Wie fühlt sich Berlin heute an? Als ich hierherzog, hatte ich das Gefühl, nur für ein Jahr zu bleiben. Ich habe 28 Jahre in New York gelebt und wurde dort immer als der kanadische Künstler AA Bronson bezeichnet. Hier in Berlin bin ich jetzt seit 10 Jahren und werde oft als Berliner Künstler gesehen.
„Ich mag es, ein Berliner Künstler zu sein.“
Und das gefällt dir? Ich habe das Gefühl, dass ich es noch nicht ganz verdient habe, aber ich mag es, ein Berliner Künstler zu sein.
Glaubst du, dass Felix und Jorge die Retrospektive im Gropius Bau gefallen würde? Ich glaube, sie wären sehr, sehr glücklich damit. Ich weiß, dass sie mir über die Schulter geschaut und sich vergewissert haben, dass alles in Ordnung ist, während wir daran gearbeitet haben.
General Idea: Retrospektive
noch bis 14. Januar 2024
Gropius Bau
Animation „VideoVirus“
präsentiert von Gropius Bau & CIRCA
Kurfürstendamm 227
bis zum 3.12. stündlich je 23 Minuten nach der vollen Stunde
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