Das Supergrundrecht auf Sicherheit – Friedrichs intellektueller Tiefflug durch die US-amerikanische Realität. Glosse von Christian Mentz
Innenminister Hans-Peter Friedrich flog nach Washington. Um mit den USA zu schimpfen. Wegen des abgehörten Handys von Merkel und demgroßem Lauschangriff. Doch wer lauschangreift, flüstert auch ein, bei Friedrich stieß man auf weit geöffnete Ohren, und nun salbadert Hans-Peter vom „Supergrundrecht“ namens Sicherheit. George Orwell, ich hör dir flüstern: Alle Grundrechte sind gleich, aber einige sind gleicher – oder eben „super“?
Lieber Super-Friedrich, Du verstehst nicht, dass Amerika anders tickt
Lieber Super-Friedrich, Du verstehst nicht, dass Amerika anders tickt. Ihr Supergrundrecht ist die Wagenburg, die Familie: „Protect our families“. Das ist die alte Siedlermentalität mit Aufzucht der Brut, um den Bestand zu sichern. Damit geht alles, von Homophobie bis Terrorbekämpfung. Müsste dir doch eigentlich sehr nahe kommen: Blut ist dicker und die Hausfrau kriegt die Familienprämie – Homos natürlich ausgeschlossen. Die Friedrich-Wild-West-Welt ist in Ordnung. Natürlich heterosexuell und bleichgesichtig.
Das dachte sich so ähnlich wohl auch Hallmark-Enterprises, die weltgrößte Firma für weltwichtigste Sachen, wie etwa Weihnachtsnippes. Amerikaner verkünden damit zu Weihnachten etwa „Don we now our gay apparel“ („Nun ziehen wir uns lustig an“) auf Pullovern in Barbie-Größe, die an die Tanne gehängt werden. Dass „gay“ nicht nur „fröhlich“, sondern seit Jahrzehnten auch „schwul“ bedeutet, scheint den Wagenburg-AmerikanerInnen gerade bewusst zu werden: Haben sich da etwa die Schwulen eines Begriffs bemächtigt? Erbittet sich die amerikanische Kernfamilie nun schwule Weihnachten mit „We wish you a gay christmas“? Als Nächstes kopuliert noch Santa Claus mit Randolph-the Rednose-Rendeer? Help! Protect our families! Also ersetzte Hallmark den Begriff „gay“ durch „fun“ und bewahrte das Familienidyll vor unmoralischer Irritation. Dann setzte der Proteststurm ein. Nicht alle AmerikanerInnen kämpfen noch mit den Indianern, sondern stehen mehr auf Vielfalt, als die Sicherheits-Hardliner zu denken vermögen.
Nächstes Beispiel: die Cheney-Family: Dick Cheney, der intellektuelle Kopf hinter George W. Bush, hat eine lesbische Tochter; Mary. Und die verteidigt er als Clan-Chef gegen alles und jeden. Wie etwa 2004, als Marys Lesbischsein in den Wahlkampf gezogen werden sollte. Niemand wunderte sich darüber, dass sich Cheney vor seine Tochter stellte und den Familienclan höher bewertete als die Parteilinie zur Homo-Frage. Dass nun Liz, die andere Tochter des Cheney-Clans, gegen die Homoehe giftet und damit die Schwester beleidigt, könnte ihr zum Verhängnis werden – Illoyalität in der Familie ist für Amis mindestens genauso schlimm wie schwule Pullover am Weihnachtsbaum.
Deutschland liegt in Texas
Und noch ein Beispiel dafür, dass Amerika differenzierter ist, als Super-Friedrich sich das vorstellen kann: Mit fast 74 Prozent der Wählerstimmen ist gerade Bill de Blasio zum Bürgermeister der inoffiziellen Welthauptstadt New York gewählt worden: „Liebe New Yorker, heute habt Ihr Euch laut und deutlich für einen Richtungswechsel in unserer Stadt ausgesprochen, vereint in dem Glauben, dass unsere Stadt keinen New Yorker zurücklassen darf“. So sprach's der neue Bürgermeister in seiner Nachwahlrede, und: In der Stadt müsse „jeder eine Chance haben – schwarz, weiß, Latino, asiatisch, schwul oder hetero“. De Blasio weiß, wovon er spricht. Allein schon seine unkonventionelle Familie: Er ist verheiratet mit der schwarzen Menschenrechtsaktivistin Chirlane McCray. Ob McCray nun wirklich lesbisch war oder vielleicht eher bi, oder whatever, darüber streiten die Expertinnen noch. Aber allein dass sie einen als bahnbrechend geltenden Essay mit dem Titel „Ich bin eine Lesbe“ veröffentlicht hat, führe bei vielen Konservativen dazu, „Brechreiz unterdrücken zu müssen“, so die Washington Post. Drei Viertel der New Yorker WählerInnen jedoch machten sie zu ihrer neuen First Lady. McCray und die Kinder des Paares – Tochter Chiara und Sohn Dante (Markenzeichen: 70er Jahre Afro) – sorgten im Wahlkampf fast mehr für Furore als Dad di Blasio.
In den USA gibt es das alles: Von Megafundamentalisten mit „Supergrundrechten“ bis hin zum Big-Apple-Bürgermeister, dessen Familie in Sachen Hautfarbe und geschlechtliche Vorlieben so mixed up ist, dass halb Texas wahrscheinlich in Ohnmacht gefallen ist. Das Ganze ist ein Lehrstück für den Wandel und die Fortentwicklung von Lebensentwürfen, Vielfalt und Patchwork wird mehrheitsfähig.
Richtungswechsel eben. Und das „alternativlose“ Merkel-Deutschland? Schickt den Bundes-Friedrich, der daneben steht und in Vasallentreue von Supergrundrechten faselt. In den USA geht der intellektuelle Riss in politischen und gesellschaftlichen Fragen queer durch Familien, Schichten und Bevölkerungsgruppen. Aber der simple Friedrich begnügt sich mit preußischem Befehlsgehorsam. Wiederspruch gegen den großen Bruder? No way. Deutschland liegt halt in Texas.
Christian Mentz
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