Interview

30 Jahre Lesben- und Schwulenverband: „Wieder öfter auf die Straße“

17. Feb. 2020 Philip Eicker
Bild: © Matti Hillig
Alfonso ist seit 2019 Mitglied im Bundesvorstand des LSVD © Matti Hillig

Viel wurde seit Gründung des LSVD erreicht, doch geriet der Verband auch immer wieder in die Kritik. Zum 30. Jubiläum sprach SIEGESSÄULE mit Alfonso Pantisano vom Bundesvorstand

Alfonso, vor 30 Jahren wurde in Leipzig der „Schwulenverband in der DDR“ gegründet, kurz darauf wurde daraus der gesamtdeutsche LSVD. Hast du das damals mitbekommen? Nein, da war ich 16, wohnte in Stuttgart und habe nichts von einem Schwulenverband gewusst. 1990 war trotzdem ein Schlüsseljahr: Ich war in meiner italienisch-katholischen Familie noch nicht geoutet, wusste aber, dass ich dieses Versteckspiel nicht mehr lange aufrechterhalten kann – auch, weil ich zum ersten Mal in einem schwulen Club war und merkte, dass es ein anderes Leben für mich geben kann.

Mit „Enough is Enough“ hast du 2013 eine erfolgreiche Kampagne gestartet. Wieso bist du 2019 in den 30 Jahre alten LSVD eingetreten? Ich war da schon zwei Jahre bei „Enough is Enough“ draußen und wollte mich noch konkreter politisch engagieren, als ich es dort getan hatte. In der Vergangenheit habe ich den LSVD oft massiv kritisiert. Ich fand, dass er schneller, aktiver und lauter werden muss. Auch sichtbarer – vor allem innerhalb der Community! Statt nur Kritik zu äußern, habe ich gesagt: Ich geh da rein und versuche mitzuarbeiten!

Du bist mittlerweile im Bundesvorstand, aber vom LSVD hört man noch immer wenig. Ja, wir arbeiten an unserer Kampagnenfähigkeit und an unserer Kommunikation in die Community hinein. Wir haben echt tolle Leute im Team und die Zusammenarbeit macht mir viel Spaß. Dennoch ist es so: Verbände brauchen oft lange, bis sie sich intern bis zum letzten Komma einer Pressemitteilung ausgetauscht haben. Das war die Stärke von „Enough is Enough“: Wenn etwas passiert ist, haben wir sofort ein Statement rausgehauen. Manchmal war es nicht 100-prozentig fundiert, aber so konnten wir die Emotionen der Community einsammeln, vor allem von jungen Menschen. Der LSVD wird niemals wie „Enough is Enough“, aber wir versuchen nun, Themen und Meinungen schneller über soziale Netzwerke zu kommunizieren.

Warum ist der LSVD so schwerfällig? Im Gegenteil: Der Bundesverband ist wahnsinnig aktiv, auf allen politischen Ebenen! Unsere Fachleute rufen Abgeordnete an und nerven sie manchmal richtig. Sie stehen mit Bundesministerien in Kontakt, zum Beispiel wegen der Reform des „Transsexuellengesetzes“. Aber wenn Ministerien mit dir im Gespräch sind, möchten sie das Besprochene nicht am nächsten Morgen in der Presse lesen. Das bekommt der LSVD super hin und ist deshalb ein respektierter Gesprächspartner – nur kriegt das in der Community eben nicht jeder mit. Gleichzeitig braucht es für ein neues „Transsexuellengesetz“ dringend auch die anderen Gruppen, die draußen vorm Ministerium mitdemonstrieren. Wenn wir wirklich etwas verändern wollen, müssen wir wieder öfter auf die Straße!

Viele aus der Community sehen sich vom LSVD gar nicht repräsentiert. Zum Beispiel euer Bundesvorstand: fünf Männer, drei Frauen. Seid ihr in erster Linie ein Schwulenverband? Definitiv. Noch dominieren im LSVD weiße, schwule Männer. Wir haben zum Beispiel keinen einzigen Menschen of Color im Vorstand. Aber es ist auch so, dass meine drei Kolleginnen gleichberechtigte Mitglieder unseres Vorstands sind. Für mich als jüngstes und neuestes Mitglied ist es so, dass ich gerade von unseren Frauen sehr viel lerne. Trotzdem müssen wir uns weiter öffnen und einen Raum schaffen, in dem sich alle queeren Menschen wohlfühlen und zu Wort melden. Da sind wir als weiße, schwule Männer gefragt! Auf der anderen Seite müssen auch mehr Frauen, mehr People of Color, mehr Menschen mit Migrationshintergrund nach vorne treten. Deshalb geht meine Einladung nach draußen: Kommt und engagiert euch!

Auch ums Gedenken an queere Naziopfer gab es Streit. Zum 75. Jahrestag der Befreiung scheint er beigelegt: In der KZ-Gedenkstätte Ravensbrück soll wohl künftig dauerhaft an lesbische Gefangene erinnert werden. Der LSVD Berlin-Brandenburg hatte hier lange gebremst ... Ich bin froh, dass es hier eine Einigung zu geben scheint. Ich finde es makaber, wenn festgelegt werden soll, wer ein Recht hat zu trauern – und wer nicht. Ja, es sind viele schwule Männer in KZ ermordet worden, aber nicht nur sie. Diese Exklusivität, die wir manchmal für uns in Anspruch nehmen, kotzt mich an. Heute, so viele Jahre danach, sollten wir in der Lage sein, aller Menschen, die wir verloren haben, in Ruhe und Frieden zu gedenken.

Die verschiedenen queeren Gruppen haben unterschiedliche Anliegen. Bekommt der LSVD alle unter einen Hut – oder wäre es effizienter, wenn jede für ihre eigenen Ziele kämpfen würde? Wir brauchen jede einzelne Gruppe und alle unterschiedlichen Gruppen! Nur gemeinsam können wir was verändern. Wenn wir über die Reform des „Transsexuellengesetzes“ reden, braucht es natürlich den Bundesverband Trans*! Und wenn der LSVD mit Kontakten, Fachwissen und Erfahrung dabei helfen kann, jemand Wichtiges ans Telefon zu bekommen, dann bieten wir diese Unterstützung immer an. Umgekehrt unterstützen die anderen Verbände unsere Anliegen. Dieses Netzwerk ist ein Sicherheitsnetz! Ansonsten fallen wir irgendwann wieder durchs Raster. Wir hören es ja immer wieder aus der Politik: „Jetzt haben wir uns lange genug mit Gleichstellungsthemen beschäftigt!“ Noch können wir es uns kaum vorstellen, aber die Deutschen können jederzeit wieder durchdrehen und mehrheitlich rechts wählen. Dann sitzt ein Gauland in der Regierung, und dann glaube ich nicht, dass die Ehe für alle Bestand hat.

Ihr habt viel erreicht: Adoptionsrecht, Verbot von Konversionstherapien, Bundesstiftung Magnus Hirschfeld. Welche Forderungen sind noch übrig? Am wichtigsten ist mir die Ergänzung von Artikel 3 Grundgesetz. Politiker und Parteien, die sich gegen die Ergänzung sträuben, tun das nur deshalb, weil sie es sich und ihrer Gefolgschaft offenhalten wollen, zum gegebenen Zeitpunkt wieder gegen die Community zu hetzen. Auch wegen seiner sexuellen Identität darf niemand benachteiligt werden! Deshalb verlange ich, dass die drei Wörter „seiner sexuellen Identität“ endlich ins Grundgesetz geschrieben werden.

Eine Berliner Frage: Zum letzten CSD hat euer Landesverband Berlin-Brandenburg Stimmung gegen die Gleichstellungsbeauftragte von Spandau gemacht. LSVD und AfD standen dabei Seite an Seite. War das die Vorschau auf eure künftige Bündnispolitik? Quatsch! Bei aller notwendigen und scharfen Kritik am LSVD Berlin-Brandenburg: Es gab kein Bündnis von AfD und unserem Berliner Landesverband. Was es aber gab: Der Landesverband, beziehungsweise sein Geschäftsführer Jörg Steinert, haben der AfD einen Elfmeter hingelegt, den sie mit dem rechten Fuß verwandelt hat. So ist eine Kampagne gegen die Frauenbeauftragte Juliane Fischer entstanden, die der LSVD nicht nur geschehen ließ, sondern offensichtlich provoziert hat.

Der Bundes-LSVD hat das kritisiert ... Ja. Und was mich zusätzlich gestört hat: Das ominöse Bündnis gegen Homophobie des LSVD BB, dem zum Beispiel die BVG und die Komische Oper angehören, hat sich zu diesem gravierenden Fehlverhalten gar nicht öffentlich geäußert. Und der Regierende Bürgermeister und der Charlottenburger Bürgermeister haben sich nicht distanziert, sondern Jörg Steinert noch den Rücken gestärkt, indem sie mit ihm öffentlichkeitswirksam Regenbogenflaggen gehisst haben. Beide hätten sich viel deutlicher vor die Frauenbeauftragte stellen müssen.

Interview: Philip Eicker

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