Kommentar

Verlorener Kampf: LGBTI*-Feindlichkeit in Polen

20. Dez. 2019
Bild: © Silar, CC BY-SA 4.0
LGBTI*-feindliche Aufkleber mit der Aufschrift „LGBT-freie Zone“ der polnischen Zeitschrift Gazeta Polska © Silar, CC BY-SA 4.0

Die zunehmende Hetze gegen LGBTI* in Polen gehört zu den alamierendsten Entwicklungen dieses Jahres. Zumal nach dem Sieg der rechtspopulistischen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) bei den polnischen Parlamentswahlen im Oktober eine Verbesserung der Situation nicht in Sicht ist. LGBTI*-Aktivist Sławek Starosta zieht Bilanz

Alle, die glaubten, der von rechten Kräften geführte Kampf gegen die LGBTI*-Community in Polen sei „nur“ eine effektive Strategie gewesen, um Wahlen zu gewinnen, müssen sich jetzt eines Besseren belehren lassen. Die Wahlen sind vorbei und es gibt keine Anzeichen für einen Waffenstillstand.

Die Anfeindungen hatten sich vor den Wahlen zum Europäischen Parlament verschärft. Einer der Auslöser war der polnische Dokumentarfilm „Tylko nie mów nikomu“ („Sag es niemandem“) über Pädophilie in der katholischen Kirche. Er erreichte über 20 Millionen Klicks auf YouTube! Die Öffentlichkeit zeigte sich schockiert – nicht nur über die zahlreichen Missbrauchsfälle, in die Priester verwickelt waren, sondern auch über die hierarchischen Strukturen der Kirche, die die Täter deckte. Die Folge war eine der größten Krisen der katholischen Kirche in Polen.

Sie reagierte darauf, indem sie sich neue Ziele suchte, auf die man die Empörung der Öffentlichkeit über das Thema Pädophilie lenken konnte: Die „wahren Pädophilen“ seien Sexualpädagog*innen und LGBTI*. Unterstützt von ultrakonservativen katholischen Organisationen wurde die Initiative „Stop Pedophilia“ ins Leben gerufen mit dem Ziel, Sexualaufklärung gesetzlich verbieten zu lassen. Von da an begann sich die Situation immer weiter zuzuspitzen.

Die Anti-LGBTI*-Kampagne wurde sehr gut organisiert. Prominente katholische Geistliche wie der Krakauer Erzbischof Jedraszewski lieferten den ideologischen Background. Unterstützt wurden sie von staatlichen Institutionen, rechten Medien und sogenannten Trollfarmen (verdeckt arbeitende Firmen, die im Auftrag von bestimmten Organisationen Hetze oder Falschmeldungen im Internet verbreiten, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen, Anm. d. Red.).

Demgegenüber steht eine sehr zersplitterte polnische LGBTI*-Bewegung, die aus Dutzenden Gruppen mit unterschiedlichen Agenden und Standpunkten besteht. Es gibt kaum Kontakte zwischen ihnen, geschweige denn eine Koordination. Auch fehlt ein Dachverband wie in Deutschland. Was unter normalen Umständen kein größeres Problem wäre, erweist sich in dieser Situation als ein großer Nachteil. Ein anderes Problem scheint die Haltung einiger LGBTI*-Aktivist*innen zu sein, die mit ihren eigenen Themen beschäftigt sind und die Gefahr nicht vollständig erfassen. „Sie machen das immer vor der Wahl“, sagte mir ein Aktivist. „Vor vier Jahren haben sie Migrant*innen für denselben Zweck missbraucht. Jetzt benutzen sie uns. Nach den Wahlen wird sich die Situation wieder normalisieren.“

Doch die Parlamentswahlen in Polen sind vorbei und nichts hat sich normalisiert! In der ersten Sitzung nach den Wahlen unterstützte die Regierungspartei „Stop Pedophilia“. Der offen schwule Priester und Bischof Szymon Niemiec sieht sich einer strafrechtlichen Verfolgung gegenüber, weil er vor der Pride Parade in Warschau einen ökumenischen Gottesdienst abhielt und damit religiöse Gefühle verletzt hätte. Monika Drubkowska, Organisatorin des Prides in Gorzów Wielkopolski, verlor einen Tag nach dem Event ihren Job (SIEGESSÄULE berichtete). Die rechtsextreme Partei Konfederacja, die es ins Parlament geschafft hat, kündigt öffentlich an, dass sie LGBTI*-Paraden verbieten wolle.

Seit 1986 bin ich LGBTI*-Aktivist, Journalist und Redakteur, doch diese Form von Anfeindungen gegenüber der LGBTI*-Community habe ich noch nie erlebt. Die Regierungspartei PiS verfolgt eine sehr effektive Strategie, die Oppositionsparteien nach dem Kriterium LGBTI* zu unterteilen. Entweder sind sie dafür oder dagegen! Sie kreierte zudem ein feindliches Bild der Community, die Kinder, Kirche und traditionelle Werte angreifen würde. In diesem Jahr haben wir den Kampf definitiv verloren.

Gibt es dennoch Hoffnung? Nun, Polen ist nicht mehr das Land, das es früher war. Es ist immer noch konservativ und katholisch, allerdings gibt es auch eine neue Generation. Menschen, die anders denken und sich nicht so leicht täuschen lassen. Eine diesjährige Umfrage zeigte, dass 57 Prozent der Polen für eingetragene Partnerschaften von gleichgeschlechtlichen Paaren sind. Und die Pride Parade in Warschau brachte 80.000 Menschen zusammen, während der Unabhängigkeitsmarsch – die wichtigste Veranstaltung für polnische Nationalisten und Rechte – nur auf 45.000 kam.

Sławek Starosta


Sławek Starosta gehört zu den Gründer*innen der schwul-lesbischen Organisation Warszawski Ruch Homoseksualny und ist Mitbegründer der Verlage Pink Press und Pink Service.

Am 18.12.2019 beschloss das Europaparlament Straßburg mit Zweidrittelmehrheit eine Resolution, in der Hetze gegen sexuelle und geschlechtliche Minderheiten in Europa verurteilt wird. Im Fokus stand dabei insbesondere Polen, weil dort im Osten des Landes „LGBT-freie“ bzw. „LGBT-Ideologie-freie“ Kommunen und Landkreise proklamiert wurden. (SIEGESSÄULE berichtete) Die nicht bindende Resolution fordert alle Mitgliedstaaten auf, jede Form der Diskriminierung von LGBTI* und die Verletzung ihrer Grundrechte durch öffentliche Stellen zu beenden.

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