Brandenburg: Große Mängel in der HIV-Prävention und Versorgung
Nicht nur HIV-Positive haben es schwer, in Brandenburg eine passende Praxis zu finden. Auch wer sich die PrEP verschreiben lassen möchte, muss oft lange Anfahrten auf sich nehmen
Als kürzlich ein HIV-Experte über Brandenburg als das „Tal der Ahnungslosen“ lästerte, war das zwar sarkastisch, doch dieser böse Witz ist nicht völlig aus der Luft gegriffen. Während in Berlin mittlerweile gut 90 Prozent der Menschen mit HIV von ihrer Infektion wissen (und damit auch therapiert werden können), liegt der Anteil im benachbarten Bundesland bei gerade einmal knapp 28 Prozent. Das ist ein bundesweiter Negativrekord. Ganz so dramatisch ist die Lage bei genauerer Betrachtung dann allerdings doch nicht, wie selbst das Robert Koch-Institut erklärt, das die Daten erhebt und auswertet. Denn viele Brandenburger*innen lassen sich in Berlin testen bzw. behandeln und werden daher statistisch auch dort erfasst. Es stellt sich also die Frage: Warum fahren Menschen aus Eberswalde oder Schwedt den weiten Weg bis Berlin?
„Mit der Versorgung sieht es hier duster aus“
Christian Müller von der AIDS-Hilfe Lausitz in Cottbus hat darauf eine knappe, aber deutliche Antwort: „Weil’s hier mit der Versorgung duster aussieht.“ Es fehlt nicht nur allgemein an Arztpraxen, für Menschen mit HIV gibt es in Brandenburg lediglich zwei kompetente medizinische Anlaufstellen: die HIV-Ambulanz im Potsdamer Klinikum Ernst von Bergmann und die Praxis von Ines Liebold in Blankenfelde-Mahlow. Die Internistin ist zudem die einzige Ärztin, die derzeit in Brandenburg die PrEP verschreiben und medizinisch begleiten darf. Wohlgemerkt im gesamten Bundesland. So mancher PrEP-User besorgt sich die Medikamente deshalb an der Krankenkasse vorbei – und vernachlässigt die wichtigen begleitenden Tests und Untersuchungen. Mit irreparablen Nierenschäden und Medikamentenresistenzen aufgrund fehlender ärztlicher Kontrolle bzw. fehlerhafter PrEP-Einnahme.
Während etwa im SIEGESSÄULE Kompass seitenweise Berliner Arztpraxen zu finden sind, in denen Menschen mit HIV oder LGBTI* explizit willkommen sind, findet man in Brandenburg Ärzt*innen mit dieser Offenheit eher selten. „Wir sind hier weit weg von einer selbstbestimmten humanistischen Haltung und von Diskriminierungsfreiheit“, stellt Christian Müller ernüchtert fest. „Deshalb sind viele auch sehr vorsichtig, solche Themen überhaupt anzusprechen.“
Symptome werden oft fehlgedeutet
Weil es an Offenheit im Arzt-Patienten-Verhältnis in Fragen der Sexualität fehlt, werden mögliche Symptome einer HIV-Infektion schnell fehlgedeutet. Die Folge: Sie wird erst erkannt, wenn es bereits zu einer Aidserkrankung gekommen ist. Die Zahl solcher Spätdiagnosen ist in Brandenburg ungewöhnlich hoch. Carsten Bock, Mitarbeiter bei Rat & Tat sowie beim Katte e. V., schildert das Beispiel eines Mannes, der als Mittzwanziger an Windpocken, dann an Tuberkulose erkrankte und zuletzt mit einer Körpergröße von fast 1,90 nur noch 50 Kilo wog. „Keiner der Ärzte, die ihn behandelten, war auf die Idee gekommen, mal einen HIV-Test zu machen. Dabei ist jedes einzelne Symptom bereits ein eindeutiges Signal.“
Mit Flyern und Artikeln in Fachpublikationen versucht die „Initiative Brandenburg gegen Aids“ deshalb schon seit geraumer Zeit Haus- und Allgemeinmediziner*innen in der Region für HIV-relevante Symptome zu sensibilisieren. Carsten Bock weiß aber auch um die Schwierigkeit, die Aufmerksamkeit der Ärzt*innen zu gewinnen. „HIV steht für sie nicht im Fokus“, sagt der Mitarbeiter der Beratungsstelle. „Dazu gibt es hier rein statistisch schlicht zu wenig Fälle.“
Prävention muss für alle zugänglich werden
Umso wichtiger ist es, die Informationen zu HIV wie auch zu anderen sexuell übertragbaren Krankheiten in die Bevölkerung zu tragen. „Männer, die sich selbst als schwul definieren und auch in der Szene vernetzt sind, wissen gut darüber Bescheid, wie man sich schützt und wo es Testangebote gibt“, sagt Carsten Bock. Anders aber sieht es bei jenen, meist schon älteren Männern aus, die aus ihrer persönlichen Geschichte heraus ihre Homosexualität eher versteckt leben und oft auch verheiratet sind. Sie sind nicht nur für die Prävention schwer zu erreichen. Unter ihnen sind auch besonders viele, deren HIV-Infektion oft erst in einem fortgeschrittenen Krankheitsstadium entdeckt wird.
Dass HIV- und STI-Tests in Brandenburg grundsätzlich kostenfrei sind, ist eine gute Entscheidung der Landesregierung. Um die Situation langfristig zu ändern, müsste sie dringend der notorischen Unterfinanzierung der Beratungs- und Präventionseinrichtungen ein Ende setzen.
Axel Schock
Testangebote und Beratung in Brandenburg gibt es u. a. bei örtlichen Gesundheitsämtern sowie bei:
AIDS-Hilfe Lausitz, Thierbacher Str. 21, 03048 Cottbus
AIDS-Hilfe Potsdam, Kastanienallee 27, 14471 Potsdam
Rat & Tat Cottbus, Straße der Jugend 33, 03050 Cottbus
Rat & Tat Potsdam, Jägerallee 29, 14469 Potsdam
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