Peaches: „Queerness sollte zum Mainstream gehören“
Ab Samstag ist Peaches in der Berliner Volksbühne zu sehen. Wir trafen die Künstlerin im Vorfeld zum Gespräch über Gender, Angela Merkel und Omaschlüpfer
24.12.19 - Peaches, in den 00er-Jahren warst du eine der ersten Künstler*innen, die in ihrer Musik moderne Genderdiskurse thematisierten ... In dieser Generation, ja, vielleicht. Vor mir gab es aber natürlich immer Künstler*innen, die über Queerness, Gender und Sexpositivity gesungen haben. Wenn man sich zum Beispiel Claire Waldoff anschaut: Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts sang sie über Dinge wie die Unisexfrisur „Bubikopf“ oder von einer Person, von der man nicht weiß, ob sie eine Frau oder ein Mann ist. (Im berühmten Lied „Hannelore“, das Peaches 2016 coverte, Anm. d. Red.)
Queerness wurde in den letzten Jahren sehr hip. In Berlin ist beispielsweise die Anzahl der Bühnenproduktionen, die sich mit Genderfragen auseinandersetzen, kaum noch zu überblicken. Ja, und sie werden nicht immer von queeren Menschen gemacht. Es ist definitiv hip, Leute suchen gerade gezielt nach queeren Personen für ihre Programme. Ich freue mich nicht unbedingt über diesen Trend, weil ich überzeugt bin, dass Queerness eigentlich zum Mainstream gehören sollte. Trends nerven, weil sie immer irgendwann vorüber sind.
Deine letzten großen Bühnenshows in Berlin waren Rockopern. Was hast du diesmal vor? Es wird eine Art Varieté-Show sein. Ich bin in den 70er- und 80er-Jahren aufgewachsen und es gab damals viele Fernsehshows mit großen Tanznummern. Ich wollte diese Tradition in meine Show integrieren, aber von einer zeitgenössischen Perspektive aus. Vor zwei Jahren wurde ich zu einer Show im Music Box Village in New Orleans eingeladen. Die Challenge dieser Show bestand darin, echte Instrumente in meine Songs zu integrieren. Ich bin dort mit einer Marching Band und Tänzer*innen aufgetreten. Das waren unglaublich talentierte Leute. Als ich „There‘s only one Peach with the Hole in the Middle“ konzipierte, bekam ich Lust, diese Künstler*innen hierherzuholen. Aber auch Leute aus Berlin sind dabei. Das Duo Hyenaz zum Beispiel. Es gibt mehr als dreißig Tänzer*innen und Musiker*innen auf der Bühne. Außerdem gibt‘s Special Guests wie meine Seelenschwester Christeene, Anita Drink von der Band Eat Lipstick oder Iggy Pop als Videoprojektion.
Du wirst dabei auch alte Songs spielen. Manche hast du textlich bearbeitet, wie du im Sommer bei einem Artist Talk in Hamburg erzählt hast ... Mein Verständnis von Queerness hat sich ja mit den Jahren weiterentwickelt. Das Spektrum zwischen Weiblichkeit und Männlichkeit hat sich geändert, heute ist alles mehr fluid. Deswegen habe ich zum Beispiel den Text des Songs „I U She“, der 2003 rauskam und den ich bestimmt seit zehn Jahren nicht mehr gesungen habe, umgeschrieben. Ich singe jetzt nicht nur „I, you, he together“ und „I, you, she together“, sondern auch „I, you, they together“. Und die Zeile „I don‘t have to make the choice, I like girls and I like boys“ habe ich nun ergänzt durch „Gender fluid, make some noise“. Es ist sehr wichtig für mich, auf solche Dinge zu achten und zu zeigen, dass nichtbinäre Strukturen eigentlich Antistrukturen sind.
Deine legendären, abgefahrenen Kostüme werden sicherlich auch eine große Rolle auf der Bühne spielen ... Weißt du, was mein Lieblingskostüm aus der Show ist? Einfach nur Nipplecovers und ein hochgeschnittener Omaschlüpfer! Das ist absolut unvorteilhaft, das ist so „fuck you!“. (lacht) Das ist eigentlich das, was ich unter meinen großen Bühnenkostümen trage. Wenn ich die ausziehe, kann mich das Publikum so sehen, wie es mich im Backstage sehen würde.
Dein letztes Album, „Rub“, kam 2015 raus. Das ist sehr lange her. Arbeitest du gerade an neuen Songs? Nein. (lacht) Noch nicht. Ich war in diesem Jahr mit meiner Ausstellung („Whose Jizz Is This?“ im Kunstverein in Hamburg, Anm. d. Red.) und mit der Vorbereitung der Show beschäftigt. Ich werde mir im kommenden Jahr mal die Zeit nehmen, um ein bisschen was auszuprobieren. Mal schauen, was passieren wird.
Der Aufhänger für das erste Peaches-Album war, dass du mit Krebs zu kämpfen hattest, und auf deiner letzten Platte gab es einen krassen Song über eine enttäuschte Liebe. Ist Leid für dich als Songwriterin eine treibende Kraft? Ja, Leid und Frust. Leid aus den Erfahrungen meines eigenen Lebens und Frust angesichts gesellschaftlicher Strukturen wie dem Patriarchat. Ich stelle Normen und Autoritäten auf einer kollektiven Ebene infrage und Leid auf einer ganz persönlichen.
Du feierst dieses Jahr nicht nur zwanzig Jahre Peaches, sondern auch zwanzig Jahre Peaches in Berlin. Magst du die Stadt immer noch, trotz der mitunter bedenklichen Veränderungen? Was gerade mit der Gentrifizierung passiert, ist beängstigend. Ich habe übrigens Angst vor dem Tag, an dem Angela Merkel ihren Hut nehmen wird. (lacht)
Wirklich?! Ja! Ich finde, dass sie für eine Vertreterin einer religiösen Partei doch ziemlich fair ist. Sie sorgt dafür, dass die Bälle flach gehalten werden. Ich bin mir sicher, dass die Leute, die das hier lesen, denken werden: „Fuck you, Peaches!“ Aber das ist mir egal. Ihr Nachfolger wird bestimmt ein absoluter Alptraum sein. Die ganze Gesellschaft rückt gerade nach rechts, die Leute haben mehr und mehr Angst. Was Berlin anbetrifft, habe ich manchmal das Gefühl, dass die Stadt sich in einen gigantischen Workspace verwandelt. In einen Ort, an dem es nichts mehr gibt außer Büros mit Leuten, die vor Computern sitzen. Aber in anderen Städten, zum Beispiel in den USA, ist es noch beängstigender. Wir können ohne Ende über Berlin lästern, aber wir sollten auch versuchen, eine positive Haltung gegenüber dieser Stadt zu bewahren. Schließlich sind wir ja immer noch alle hier.
Interview: Annabelle Georgen
Peaches: There‘s only one Peach with the Hole in the Middle, 28.–30.12., 20:00, 31.12., 18:00, Volksbühne
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