„Reibungen sind unvermeidlich“ – Vor welchen Herausforderungen steht der CSD e. V.?
Angela Schmerfeld war bis vor kurzem noch Mitglied im Orga-Team des CSD e. V. Warum sie aufgehört hat und und was die Arbeit im CSD-Vorstand so schwierig macht, erzählt sie im Interview
Beim CSD e. V. stehen im Moment wieder Veränderungen an: Ein Teil des Orga-Teams ist nach dem diesjährigen CSD von seinen Aufgaben zurückgetreten. Ein neues formiert sich gerade, allerdings nicht ohne Probleme. Im Oktober wurden bei einer Mitgliederversammlung des Vereins drei neue Vorständ*innen gewählt. Die einzige Person, die aus dem alten Team im Vorstand verblieb, war Stefan Kuschner. Anfang Dezember trat auch er von seinem Amt zurück. Internen Informationen zufolge kam es zum Zerwürfnis.
Auch Angela Schmerfeld, Veranstalterin u. a. der Party L-Tunes und lesbische Aktivistin, trat in diesem Jahr von ihren Aufgaben beim CSD e. V. zurück. Von 2014 bis 2016 war sie im Vorstand, bis 2019 kümmerte sie sich teils ehrenamtlich, teils beruflich um Sponsoring und strategische Partnerschaften und arbeitete außerdem ehrenamtlich bei Produktions- und Planungstätigkeiten und im PR-Team mit. Im SIEGESSÄULE-Interview lässt sie ihre Zeit beim CSD e. V. noch einmal Revue passieren.
Angela, warum hörst du jetzt auf? Der CSD ist logistisch gesehen eine Großveranstaltung mit hohem Risiko und erfordert einen extremen ehrenamtlichen Arbeitseinsatz. Das lässt nicht viel Zeit für anderes. Nach fünf Jahren habe ich einfach den Wunsch nach Veränderung. Ich habe jetzt andere Projekte und Pläne und es müssen auch mal wieder neue Leute ran beim CSD.
In den letzten Jahren waren lesbische Frauen im CSD e.V. recht aktiv. Im neuen Vorstand spiegelt sich das zur Zeit noch nicht wieder. Wo siehst du die Gründe dafür? In den letzten Jahren waren mehrere Lesben im Team, die sich gegenseitig unterstützt haben, und die haben nach mehreren Jahren intensiver Vereinsarbeit jetzt auch gemeinsam aufgehört. Bei der Mitgliederversammlung im Oktober gab es dann nur eine einzige weibliche Kandidatin für den Vorstand. Der Grund? Ganz einfach: Unter den Vereinsmitgliedern sind leider immer noch viel weniger Frauen als Männer.
Aber es ist wohl gerade kürzlich eine Lesbe in den Vorstand aufgenommen worden. Das neue Team formiert sich gerade und ich hoffe, dass hier noch weitere Lesben verantwortungsvolle Positionen übernehmen werden.
Wenn du auf deine Zeit beim CSD e. V. zurückblickst: Was waren die größten Schwierigkeiten, mit denen ihr konfrontiert wart, und was war dein persönliches Highlight? Der Abbruch des CSD 2018 war mega hart. Stell dir vor: Du arbeitest ein Jahr intensiv auf dieses riesige Happening hin, seit Wochen gibts immer weniger Schlaf, immer mehr Arbeit und alles dreht sich nur noch um die Orga des CSD. Und dann stehst du da und musst mittendrin abbrechen, weil die Feuerwehr wegen Sturmgefahr das Gelände sperrt, das ist völlig surreal. Unsere Motto- und Forderungs-Kampagne 2019 war hingegen ein ganz tolles Highlight in Bezug auf eine Politisierung des CSD. Auch die Forderungen waren thematisch sehr breit und radikal aufgestellt.
Nach dem CSD-Streit 2014 war das Image des CSD e. V. in der Community erheblich beschädigt. Zudem hatte der damalige Geschäftsführer Robert Kastl einen Schuldenberg hinterlassen. Wie seid ihr diesen Problemen begegnet? Monique, David und ich waren nach dem CSD-Streit 2014 in den Vorstand gewählt worden mit dem Ziel, die Community wieder zusammenzubringen. Aber unsere Vorgänger*innen hatten uns ein Minus von über 200.000 Euro hinterlassen, das erstmal wieder hereingeholt werden musste, um den Verein zu retten. Die ersten Jahre waren richtig schwierig, aber als Event-Profis haben wir knallharte Budgetpläne aufgestellt, die Ausgaben kontrolliert und mit einem kompetenten Team viel Zeit und ehrenamtliche Arbeit in das Projekt gesteckt. Außerdem haben wir verschiedene Gruppen zu runden Tischen eingeladen, die Foren ernst genommen und intensiv Networking betrieben, um die Community besser einzubinden und den CSD inklusiver und politischer zu machen. Ein Highlight war dann auch der Moment, als 2018 klar wurde, wir haben den Schuldenabbau bewältigt und den Verein auf festen Boden gebracht. Das war eine tolle Teamleistung.
Und jetzt in 2019 war die Prognose zur Mitgliederversammlung am 7. Oktober, dass der Verein trotz der höheren Aufwände zum Jubiläum von 50 Jahren Stonewall mit einem Guthaben von rund 29.000 € ins neue Jahr starten wird. Das sind deutlich bessere Voraussetzungen, als wir im Herbst 2014 hatten.
Aktuell gibt es gerade wieder Querelen im CSD-Vorstand. Erst im letzten Jahr gab es Auseinandersetzungen als zwei Vorstandsmitglieder von ihren Ämtern zurücktraten und dabei von „Misstrauen und Zuständigkeitsgerangel“ sprachen. Was macht die Arbeit im CSD-Vorstand so herausfordernd? Es ist kompliziert. Zunächst ist die Vereinsstruktur mit ihren Konkurrenzen und häufigen Wechseln bei den Vorstandsposten eine schwierige Basis für kontinuierliches Arbeiten. Dann ist da der Spagat zwischen all den unterschiedlichen Erwartungen, die an den CSD gestellt werden. Wo ist die ideale Balance zwischen CSD-Tourismus, Feierfreude, politischen Ansprüchen, Wirtschaftlichkeit, organisatorischen Möglichkeiten usw.? Um solche Fragen wird immer neu gerungen werden, weil es einfach unterschiedliche Auffassungen gibt. Dazu kommt eine große Verantwortung den Mitgliedern und den Kooperationspartner*innen gegenüber. Auch der Verein darf nicht wieder ins Minus rutschen. Die Gesamtkosten liegen schnell bei 300.000 bis über 400.000 Euro. Da entsteht schon ein enormer wirtschaftlicher Druck. Wenn man unter so viel Druck so viel leisten muss, dann treten unvermeidlich auch Reibungen auf. Um die zu bewältigen, brauchst du Teamplayer, die fachlich was können und kompromissbereit sind. Plus transparente Kommunikation, Pragmatismus und einen gehörigen Schuss Humor. Das alles im Ehrenamt zu managen, ist schon eine ziemliche Herausforderung.
Warum scheint es so schwierig, gerade junge Leute zum Mitmachen beim CSD e. V. zu animieren? Was wären gute Strategien, um junge queere und auch in ihrer Identität vielfältigere Leute anzusprechen? Ein Problem ist: Netzwerke reproduzieren sich selbst. Ein Verein, dessen Mitglieder mehrheitlich einen bestimmten Teil der Community repräsentieren, zieht eher mehr von denselben Leuten an und sendet an andere oft weniger einladende Signale. Der Berliner CSD e.V. braucht eine in jeder Beziehung diversere Vereinsbasis. Einerseits muss der Verein aktiv auf bisher weniger repräsentierte Gruppen zugehen und zeigen: Wir sind bereit, uns auf eure Themen einzulassen. Da müssen alle mal raus aus ihrer Komfortzone und rein in einen konstruktiven Austausch, auch wenn das allen Seiten Anstrengungen abverlangt. Andererseits ist es notwendig, dass mehr Lesben, trans* und inter* Personen und insgesamt mehr PoC und jüngere Leute in den Verein eintreten, sich ehrenamtlich engagieren und auch Vorstandsverantwortung übernehmen. Wir waren bloß eine Handvoll Leute, die durch Zusammenarbeit und Bündnisse viel bewegt haben, auch gegen Widerstände. Mensch muss sich zusammentun, ausdauernd verhandeln und manchmal durchbeißen, um etwas zu verändern.
Was wünschst du dir vom neuen Vorstand? Ich hoffe auf ein möglichst diverses Orga-Team, eine starke Community-Einbindung, intensiv arbeitende CSD-Foren, ein inspirierendes Motto, eine kreative politische Kampagne, viel Transparenz und einen guten Budgetplan, einen nachhaltigen CSD mit kleinerem ökologischen Fußabdruck und nicht zu vergessen: die schwarze Null oder sogar ein Plus am Ende des Jahres 2020.
Interview: fs/as
Folge uns auf Instagram