Liebe trans*, inter* und nicht binäre Menschen: ich sehe euch. Ich liebe euch.
Am Trans Day of Remembrance wird den Opfern transfeindlicher Gewalt gedacht. Doch Erinnern allein reicht nicht aus, findet Autor Jayrôme C. Robinet. Nötig sei ein radikaler Diskurswechsel
Auf den Lippen der Geschmack von Salz, das Rauschen des Meeres: sie hätten am Strand liegen sollen. Im Club hätten sie enge Pumps ausziehen sollen, um besser zu tanzen, sie hätten mal dem Kind die Schultüte mit Seidenpapier ausgepolstert und sonntags beim Picknick, entsockt, von der Sonne gewärmt, gähnend, hätten sie sich entspannt.
Stattdessen wurden sie geschlagen, ertränkt und ohne Augen aufgefunden, sie wurden vergewaltigt, erschossen und dann irgendwo im Schlamm abgelegt, mit einer Schere erstochen, ihr Gesicht entstellt, in ihrem Haus verbrannt.
Diese Details möchten Sie nicht lesen. Genauso wenig möchte ich sie schreiben. Doch es reicht nicht zu sagen: dieses Jahr wurden 331 Menschen Opfer transfeindlicher Hassmorde.
Jährlich findet am 20. November der Transgender Day of Remembrance statt. Damit gedenken wir Menschen, meistens waren es Schwarze trans Frauen und trans Frauen of color, die in der Sexarbeit tätig waren – die umgebracht worden sind, weil andere Leute ihren Glanz nicht aushalten konnten.
„Es gibt viele Arten zu töten, schrieb Bertolt Brecht.“
„Es gibt viele Arten zu töten“, schrieb Bertolt Brecht. „Man kann einem ein Messer in den Bauch stechen, einem das Brot entziehen, einen von einer Krankheit nicht heilen, einen in eine schlechte Wohnung stecken, einen durch Arbeit zu Tode schinden, einen zum Suizid treiben, einen in den Krieg führen usw. Nur weniges davon ist in unserem Staat verboten.“
Liebe trans*,inter* und nicht binäre Menschen: ich sehe euch. Ich liebe euch.
Einmal erzählte mir eine Freundin im Chat, dass sie sich umbringen wollte. Was sollte ich tun? Nur das Display des Laptops flutete mein Gesicht mit Licht, es war nachts, sie war in Paris, ich in Berlin. Zuerst habe ich das Übliche gesagt: dass das Leben auch schön sein kann, dass viele Leute sie lieben, ob sie sich vorstellen könnte, professionelle Hilfe anzunehmen. Nein, sagte sie immer wieder, das macht keinen Sinn, das Leben macht keinen Sinn. Sie wurde fast aggressiv. Parallel recherchierte ich im Netz und fand einen Tipp, der mich stutzig machte. Denn ich sollte ihr sagen: Ich verstehe, dass du sterben willst. Sollte ich einer Person, die sterben will, wirklich sagen: „Ja, klar, bring dich um“? Aber alles, was ich probiert hatte, hatte nicht funktioniert. Also hielt ich die Luft an und tippte: Ich verstehe, wenn du sterben willst...
Meine Freundin antwortete: Ja. Ich schrieb weiter: Bist du so verzweifelt? Sie: ja. Ich: Wenn du so verzweifelt bist, kann ich verstehen, wenn du sterben willst. Hast du schon überlegt, wie und wann du dich umbringen möchtest? Dann sagte sie: Aber ich will nicht sterben! Sie sagte, dass sie zu allem bereit sei, dass sie sich vorstellen könnte, professionelle Hilfe anzunehmen.
Das ist die Macht des Diskurswechsels.
Wir brauchen einen Scheiß Diskurswechsel. Wir brauchen in Bezug auf trans Menschen einen Diskurswechsel auf der politischen Ebene. Wir brauchen einen Diskurswechsel auf der strukturellen Ebenen. Wir brauchen einen Diskurswechsel auf der zwischenmenschlichen Ebene. Nein, eine trans Person zu lieben und zu begehren ist kein „Fetisch“. Liebe cis Männer, eine trans Frau zu lieben und zu begehren ist nachvollziehbar. Denn trans Frauen sind verdammt noch mal liebens- und begehrenswert. Ja, Sexarbeit ist Arbeit. Ja, wir brauchen Schutz vor Diskriminierung im Bildungswesen, im Gesundheitswesen, im Sport, auf dem Arbeitsmarkt, auf dem Wohnungsmarkt, im Familien- und Eherecht. Liebe trans*, inter* und nicht binäre Menschen: ich sehe euch. Und ich liebe euch.
In Gedenken an die 331 Menschen, die trotz Weihnachtsstress hätten lachen sollen.
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