Queerformat: „Angriffe auf geschlechter- und queerpolitische Errungenschaften nehmen zu“
2018 hetzten rechte Kreise gegen die Kita-Broschüre von Queerformat. Nun feiert die Initative 10-jähriges Jubiläum. Wir sprachen mit dem Team über ihre Arbeit, Aufklärung und konservativen Gegenwind
01.11.19 – Queerformat gibt es seit 2009. Wenn ihr zurückblickt: Was hat sich in den letzten zehn Jahren verändert? Hinter unserer Arbeit steht der menschenrechtsbasierte Ansatz, allen jungen Menschen ihr Recht auf diskriminierungsfreie Bildung zu gewähren – unabhängig von ihren sozialen Zugehörigkeiten und Identitätsaspekten. Das gefällt nicht allen: Das polarisierte politische Klima bekommen wir auch im Zuge unserer Tätigkeiten zu spüren.
Inwiefern? Immer mal wieder bekommen wir populistischen, mitunter feindlich motivierten Gegenwind aus konservativen, rechtpopulistischen, vereinzelt auch aus rechtsextremen Kreisen. Insbesondere dann, wenn wir neue Materialien erstellen. Auch die Pädagog*innen in unseren Fortbildungen stellen sich vermehrt die Frage, wie sie mit rechten Positionen z. B. im Kollegium umgehen können. Da sind wir dann verstärkt gefordert, Wissen und Strategien zu vermitteln.
Im Januar 2018 habt ihr die Handreichung „Murat spielt Prinzessin, Alex hat zwei Mütter und Sophie heißt jetzt Ben“ für Kita-Fachkräfte veröffentlicht. Als angebliche „Sex-Broschüre für Kinder“ wurde sie von der AfD und anderen diffamiert, die CDU versuchte mit einem Antrag im Parlament, die Verbreitung zu stoppen (SIEGESSÄULE berichtete), und eine Petition gegen die Broschüre wurde über 50.000 mal unterschrieben. Warum löst Aufklärungsarbeit zu Vielfalt so viel Gegenwehr aus? Eine Schlagzeile der B.Z. vom Februar 2018 lautete: „Berliner Senat verteilt Sex-Broschüre für Kita-Kinder“. Damit reihte sich der Autor des betreffenden Artikels, der B.Z.-Journalist Gunnar Schupelius, ein in die auf allen gesellschaftlichen Ebenen zunehmenden rechtskonservativen Angriffe auf geschlechter- und queerpolitische Errungenschaften. Wir erleben, dass mit Schlagworten wie z. B. „Frühsexualisierung“ oder „Genderwahn“ Stimmung gemacht wird – gegen die Lebens- und Familienformen, die sich von der heterosexuellen, weiß-deutschen Kleinfamilie mit tradierten Geschlechter(rollen)vorstellungen unterscheiden. Diese Diffamierungen finden nicht nur an Stammtischen, im Netz und in rechten Medien statt ... sondern auch in den Plenarsälen des Bundes und der Länder.
Wie haben euch die Anfeindungen in eurer Arbeit betroffen? Die plötzliche, reißerische Berichterstattung in einigen Medien hat uns, und vor allem die Bildungsverwaltung als Herausgeberin, zunächst heftig erwischt. Zugleich waren die negativen Meldungen so offensichtlich mies recherchiert und bewusst diffamierend verfasst, dass es leicht war, die Vorwürfe fachlich abzuwehren. Am Ende des Tages hat das starke Medienecho unseren Fortbildungsangeboten und Publikationen einen enormen Bekanntheitsgrad beschert. Die Kita-Handreichung wurde in der Fachwelt durchweg positiv aufgenommen. Sie ist die meistbestellte Publikation der Bildungsverwaltung, wird aus dem gesamten deutschsprachigen Raum angefragt und wurde schon dreimal nachgedruckt.
Was hat sich seitdem getan? Seit Januar 2019 sind wir inhaltlich und endlich auch personell gewachsen. Als Fachstelle Queere Bildung werden wir von der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie gefördert. Unsere Fortbildungs- und Beratungsangebote und unsere Materialien werden zunehmend nachgefragt.
Was wünscht ihr euch für die nächsten zehn Jahre? Zum Beispiel norm- und diskriminierungskritische Schulbücher, in denen vielfältige Familienformen und Lebensweisen selbstverständlich abgebildet sind. Wir träumen außerdem von einem Bildungsmobil, mit dem wir die Kitas und Schulen besuchen können – denn wir wünschen Kindern und Jugendlichen reflektiertes Fachpersonal in Schulen, Jugendämtern, Kitas, Familien- und Jugendeinrichtungen, das die Vielfalt in unserer Gesellschaft angemessen repräsentiert.
Interview: Hannah Geiger
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