Queen of Drags

Conchita Wurst: „Wir instrumentalisieren Heidi für unsere Zwecke“

28. Okt. 2019
©Niklas von Schwarzdorn

Am 25. Oktober erschien Conchita Wursts neues Album „Truth Over Magnitude“. Ab November sitzt sie mit Heidi Klum in der Jury für „Queen of Drags“. Mit SIEGESSÄULE sprach sie über diese Zusammenarbeit

28.10.19 – Neuer Look, neues Album, neue Show: Seit ihrem Sieg beim Eurovision Songcontest 2014 hat sich für Conchita Wurst alias Tom Neuwirth (30) viel getan. Am 25. Oktober veröffentlichte sie unter dem Namen WURST ihr drittes Album „Truth Over Magnitude“, ab 14. November ist sie neben Heidi Klum und Bill Kaulitz in der Jury der deutschen Version von RuPaul's Drag Race, "Queen of Drags" zu sehen. Schon im März überraschte sie im Video zu ihrer Single "Hit me" mit komplett neuem Look. SIEGESSÄULE-Redakteurin Kaey traf die queere Ikone zum Interview.

Das letzte Mal habe ich dich vor drei Jahren zum Interview getroffen, damals wolltest du als Conchita bezeichnet werden. Jetzt bist du mit deinem Projekt WURST zurück und dein neues Album heisst „Truth Over Magnitude“, dass du gerne mit „T.O.M.“, also deinem bürgerlichen Namen, abkürzt. Wie soll man dich jetzt ansprechen? Auf die Frage wie man mich ansprechen soll, habe ich mir irgendwann angewöhnt zu sagen: „Es ist mir Wurst“. Somit ist Conchita in Ordnung, aber auch Wurst oder Tom. Ich drehe mich auch um wenn jemand „Hey“ schreit.

Man kannte dich viele Jahre als die Diva mit Vollbart, die im glamourösen Abendkleid auftritt. Jetzt hast du einen komplett neuen Look. Immer noch mit einem sehr femininen Touch, aber doch deutlich maskuliner. Was steckt hinter dieser Veränderung? Ich hatte ganz lange Zeit in meiner Karriere ein klares Konzept. Conchita ist eine Präsident*innengattin, und es gibt ein Protokoll dafür, was sie macht und was sie nicht macht. Dadurch habe ich mir selbst sehr viele Verbote auferlegt, und mich nur auf eine Seite meiner Persönlichkeit reduziert. Natürlich kann ich eine Präsident*innengattin sein, aber ich kann auch bis morgens um acht Uhr auf einer Bar tanzen. Ich habe dann eine Weile gebraucht zu verstehen, dass das eine das andere nicht ausschließt.

Gab es einen Auslöser für diese Erkenntnis? Ich habe mich gelangweilt! Das mag jetzt erstmal banal klingen, aber im Grunde war ich nicht mehr glücklich. Ich habe mir einen Charakter aufgebürdet. Wenn ich morgens aufgestanden bin, wusste ich nicht mehr, wie ich mich zum lachen bringen sollte. Ich wollte nicht mehr Conchita sein. Dann habe ich begonnen mich intensiv mit mir auseinander zu setzen. Ich habe eine Therapie gemacht und mich dadurch selbst besser kennengelernt. Für diese Zeit bin ich sehr dankbar, denn jetzt bin ich zurück und habe eine neue Liebe zu der Figur Conchita gefunden und auch für mich selbst.

Bei unserem letzten Interview hast du mir erzählt, dass du versuchen möchtest, mehr eigene Songs zu schreiben und in ein Songwriting-Camp gehen willst. Jetzt veröffentlichst du aber ein tanzbares Elektro-Album? Ich habe tatsächlich eineinhalb Jahre versucht zu lernen, wie man Songs schreibt. Leider ist mein Talent diesbezüglich nicht zum Vorschein gekommen. Ich singe gerne große Balladen, doch zu Hause höre ich vor allem Elektromusik. Lange habe ich mich einfach nicht getraut in eine andere musikalische Richtung zu denken. Denn es stand stets die Frage im Vordergrund, was für ein Album Conchita, die Präsident*innengattin machen würde.

Wie sind die Songs auf „Truth Over Magnitude“ entstanden? Ich habe in mein Laptop gesungen – oder deutlicher gesagt, habe ich Harmonien hinein geschrien und diese aufgenommen. Das Material habe ich dann meinem Produzenten Albin Janoska gegeben. Er hat das Ganze verwurstet und Samples und Moods erschaffen, die dann Grundlage des neuen Sounds wurden. Textlich habe ich mit meiner guten Freundin Eva Klampfer, die selbst auch unter dem Künstlername Lylit auftritt, gearbeitet. Wir kennen uns sehr gut und sie weiß mittlerweile mehr über mich als sie jemals wollte. Doch sie ist eine großartige Künstlerin und hat auf Grundlage von Geschichten, die ich ihr über mein Leben erzählt habe, Songtexte geschrieben die mich perfekt widerspiegeln.

Ab dem 14. November kann man dich auf Pro7 in der Reality-Show „Queen of Drags“ als Jurymitglied sehen. Die Show gilt als deutsche Variante von „RuPaul‘s Drag Race“ und das Mitwirken von Heidi Klum wurde in der Community stark kritisiert. Was ist deine Meinung dazu? Ich verstehe die Kritik. Aber man darf nicht vergessen, dass wir auf einem der größten Privatsender Deutschlands um 20:15 am Donnerstagabend zu sehen sind. Natürlich ist Heidi Klum ein Multiplikator, ohne den man diese Sendezeit nicht bekommen hätte. Doch die Show wurde sehr sensibel erarbeitet und der Produktionsfirma war es von Anfang an wichtig, dass alles richtig gemacht wird. Man hat uns – also mir und den Ladies, die teilgenommen haben – zugehört und versucht das Gesagte auch umzusetzen. Es war eine unfassbar tolle Zeit. Ich kann nur allen raten sich die Sendung anzusehen. Dann wird man auch merken, dass wir im Prinzip Heidi auch ein wenig für unsere Zwecke instrumentalisieren.

Conchita Wurst ist als Dragqueen berühmt geworden. Würdest du deinen neuen Look denn auch noch als Drag bezeichnen? Ich gehe grundsätzlich mit dem Begriff Drag inflationärer um als die meisten. RuPaul hat es ja eigentlich schon vor langer Zeit perfekt zusammengefasst: „We‘re all born naked, and the rest is drag.“ Wenn wir arbeiten gehen, haben wir ja auch andere Klamotten an als die, die wir zuhause tragen, wenn wir uns auf der Couch wälzen. Dementsprechend ist mein Look auch drag.

Wie waren bisher die Reaktionen auf deinen neuen Look? Das ist mir vollkommen egal. Ich fühle mich schön und werde niemanden den Gefallen tun mich einzuschränken. Als ich klein war, habe ich mir jede Bühne genommen. Da war ich kompromisslos und es war mir egal, ob die Leute mir zuschauen wollten oder nicht. Zu dieser Einstellung bin ich wieder zurück gekommen. Ich weiß, was ich will und das macht mich glücklich!

Album: "Truth Over Magnitude" / RCA Sony
Eine Rezension zum neuen Album gibt es in der November-Ausgabe von SIEGESSÄULE

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