Jubiläum

„Solidarität ist kein Ponyhof“: 30 Jahre RuT

14. Okt. 2019
Feier zum 90. Geburtstag der lesbischen Pionierin und Aktivistin Käthe ,Kitty‘ Kuse (dritte von links) in den Räumen von RuT, 1994. Dabei auch RuT-Gründerin Käte Weiß (vierte von links) © RuT

Am 18. Oktober wird im SchwuZ das dreißigjährige Jubiläum der lesbischen Initiative RuT gefeiert, die in den letzten Jahren vor allem wegen ihres Wohnprojekts für ältere lesbische Frauen und dem Grundstücksstreit mit der Schwulenberatung in der Öffentlichkeit präsent war. Dass das RuT aber viel mehr umfasst, zeigt Anette Stührmann

RuT wird 30. Das heißt, es gibt seit 1989 Beratung, Begegnung und aktives Miteinander bei „Rad und Tat – Offene Initiative Lesbischer Frauen e. V.“ Hier wird Unterstützung in allen Lebenslagen angeboten, ob bei Coming-out, Beziehungsproblemen, Sinnfragen oder beim Umgang mit Diskriminierung.

Angefangen hat alles damit, dass die feministisch-lesbische Aktivistin Käte Weiß ab Mitte der 1980er-Jahre nach Räumen zur Gründung einer Fraueninitiative suchte, die offen für alle sein sollte. Ältere und behinderte Frauen wurden explizit mit einbezogen. Weiß tat sich mit 15 Lesben zusammen, unter ihnen die bekannte Bildhauerin, Malerin und Sozialarbeiterin Doli Hilbert, die ihre erste Beziehung zu einer Frau im Alter von 60 Jahren hatte.

Nach langer Suche fand man die leer stehenden Schlachtereiräume in der Neuköllner Schillerpromenade 1, in denen man bist heute residiert. Allerdings konnten die Frauen von RuT erst nach einiger Diskussion mit dem Vermieter einziehen, der anfangs von der Idee einer lesbischen Initiative nicht so begeistert war. Joanna Czapska aus dem heutigen RuT-Team zeigt Besucherinnen gern die Darstellung einer Kuh an der Originalkachelwand, die zu Metzgerszeiten noch ein Stier war, von Doli beim Einzug aber mit einem rosaroten Euter versehen wurde.

„Mein Gott, war das eine Bruchbude“, sagte die 2017 verstorbene Doli später einmal in Erinnerung an den Zustand der Räume: „Da mussten die Frauen ganz schön ackern, bis alles bezugsfertig war.“ Noch heute erzählt man sich, wie engagiert die Frauen, die teilweise schon älter waren, auf der Leiter standen, die Wände spachtelten, strichen und andere Reparaturen ausführten. Frauen aus der Umgebung, die das tägliche Treiben beobachteten und neugierig hineinschauten, sollen sich gewundert und gesagt haben: „Die armen Frauen, keine Männer dabei, und dann müssen die nun alt und behindert hier schuften.“

Damals wie heute gehören Inklusion und Barrierefreiheit zu den zentralen Themen von RuT. Joanna, die den RuT-Besuchsdienst koordiniert, damit ältere Lesben den Kontakt zu anderen lesbischen Frauen nicht verlieren, erzählt: „Damals bereits existierende Einrichtungen waren absolut nicht barrierefrei. Die Lesbenberatung lag zum Beispiel über viele Jahre ohne Fahrstuhl in einem oberen Stockwerk. Die RuT-Gründerinnen haben vor über 30 Jahren bereits an Inklusion gedacht und wollten Räume, die für alle erreichbar sind.“ Und Gabriele Michalak, Koordinatorin des Arbeitsbereichs Lesben mit Behinderung, die auch die Coming-out-Gruppe für Frauen 40 plus anleitet, unterstreicht die gegenseitige Unterstützung: „Wir fragen schon am Telefon, ob man abgeholt werden will, ob es etwas zu berücksichtigen gibt. Es können auch Frauen mit Rollstuhl hierherkommen, weil wir eine Behindertentoilette haben.“

Auch geht es darum, Frauen aus verschiedenen Altersgruppen und mit unterschiedlichen Bedürfnissen, Kulturen und Hintergründen zu vernetzen. Wie die neue Leiterin Ina Rosenthal – seit 1. August Nachfolgerin von Jutta Brambach – bekräftigt, will man das Wissen, das in 30 Jahren im RuT erarbeitet wurde, auch gern weitergeben. Dafür gibt es nun das Projekt „Inklusive LSBTIQ*-Infrastruktur“: „Wir beraten, wie sich Vereine der Community vernetzen können, was man bedenken muss, wenn man eine Internetseite gestaltet, wie Barrierefreiheit auch für ältere Menschen geht, wo man Fördergelder beantragen kann.“

Dem Problem der strukturellen Benachteiligung von Lesben* in der Hauptstadt begegnet seit gut einem Jahr das senatsgeförderte  Projekt „Lesbisch.Sichtbar.Berlin“, das von Journalistin und Autorin Stephanie Kuhnen („Lesben raus! Für mehr lesbische Sichtbarkeit“) geleitet wird. Es geht darum, Maßnahmen zu entwickeln und Strukturen so zu verändern, dass es mehr lesbische Sichtbarkeit gibt und vor allem lesbische Teilhabe ermöglicht wird.

Beim Thema Ungleichheit und strukturelle Diskriminierung von lesbischen Projekten braucht man im Übrigen nicht weit zu schauen, ist davon doch RuT selbst betroffen. Deren bundesweit einzigartiges inklusives Lesbenwohnprojekt sollte ursprünglich auf einem Grundstück der Schöneberger Linse entstehen. Doch obwohl RuT das Vergabeverfahren bereits gewonnen hatte, wurde das Grundstück der Schwulenberatung zugesprochen, nachdem diese Einspruch wegen eines Verfahrensfehlers einlegte.

RuT-Geschäftsführerin Ina Rosenthal zieht aus diesem Konflikt aber auch etwas Positives: „Die Sache hat, politisch betrachtet, die Ungleichbehandlung und Diskriminierung von lesbischen Projekten in der Verwaltung und Förderlandschaft verdeutlicht.“ Zwar wäre das Gebäude in Schöneberg „unser Haus gewesen“, doch mittlerweile gibt es einen Alternativplan. Kleiner als geplant soll das Wohnprojekt in Kooperation mit der Wohnungsbaugesellschaft Mitte an der Berolinastraße entstehen.

Das Haus werde dann allerdings kein Eigentum von RuT sein, stattdessen gebe es einen Mietvertrag mit der WBM über eine Dauer von 30 Jahren. Außerdem benötige man nun zusätzliche Gelder, unter anderem für Beratung, Planung und Fachkräfte, da die bisher bewilligten Lottogelder nur in den Ausbau des Gebäudes fließen dürfen. Allerdings zeigt sich Ina Rosenthal optimistisch: „Wir haben da gerade gute Nachrichten erhalten. Der politische Wille ist ungemein groß, unser Vorhaben zu realisieren, das ist unser Vorteil.“ Mit den Vorstandsfrauen Christine Loewenstein, Ilona Böttcher und Heidrun Warot ist sie sich zudem einig, dass das RuT jetzt viel präsenter in der Öffentlichkeit ist: „Das lesbische Projekt ist endlich sichtbar geworden. Da kommt jetzt keiner mehr dran vorbei.“

Das Haus ist dabei aber nur eines von vielen wichtigen Projekten im RuT, betont Rosenthal: „Kerngeschäft sind die Veranstaltungen hier und die Beratungen. Psychosoziale und inklusive Beratung, Trauergruppe, Tai Chi, Tanzen auf dem Tempelhofer Feld, Ausflüge, Sonntagsfrühstück, Ausstellungen, Lesbencafé, Lesungen, Doppelkopf – ein breites Programm.“ Die drei aus dem Vorstand können dem nur zustimmen, kannten sie das RuT doch bereits als Besucherinnen, lange bevor sie sich als Mitarbeiterinnen engagierten. Für sie ist „das RuT eine Möglichkeit, Lesben zu treffen, zum Beispiel bei sportlichen Veranstaltungen wie Fahrrad-, Kanufahren und Wandern, man kommt bei der Buchausleihe miteinander ins Gespräch und kann als Ehrenamtliche in den Projekten mitmachen.“

Man dürfe hier ohne Weiteres auch als junge Lesbe hinkommen und dann mit RuT alt werden, schiebt Joanna Czapska hinterher: „Das ist eine Kontinuität, die wächst mit den Umständen.“ Ebenso begeistert äußert sich Stephanie Kuhnen: „Im RuT wird Solidarität wirklich gelebt, hier wird dafür gearbeitet und auch gestritten, denn Solidarität ist kein Ponyhof. Das hat etwas unglaublich Utopisches. Wir haben hier die Freiheiten, nicht einfach nur zu funktionieren, sondern auch zu erfinden.“ Ebenso bemerke sie bei den jungen Frauen Neugierde, sagt Stephanie weiter. Schließlich gebe es in der älteren Generation tolle Vorbilder: „Es ist wahnsinnig empowernd für junge Lesben, ältere Lesben zu kennen.“

Anette Stührmann

30 Jahre RuT im Rahmen der Party Hot Topic,
18.10., 19:00, SchwuZ, u. a. mit Sookee und Sigrid Grajek

rut-berlin.de

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