Raumnot und queerfeindliche Äußerungen: Was wird aus dem Projekt „Regenbogenhauptstadt Berlin“?
Das queere Jugendzentrum und Kulturhaus stehen vor deutlichen Problemen! Wir fragten Anja Kofbinger (Grüne), was aus dem groß angekündigten queerpolitischen Programm der Stadt Berlin wurde
2016 nahm die rot-rot-grüne Berliner Regierung eines der umfangreichsten queerpolitischen Programme in ihrem Koalitionsvertrag auf: So sollte der Initiative „Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz geschlechtlicher und sexueller Vielfalt“ (IGSV) neuer Schwung verliehen und Berlin zur „Regenbogenhauptstadt” werden.
So weit, so gut. Die Umsetzung der Maßnahmen zieht sich jedoch in die Länge. Und die beiden großen Prestigeprojekte des Programms – das queere Jugendzentrum und das queere Kulturhaus (Elberskirchen-Hirschfeld-Haus, E2H) – sorgten bereits für Negativ-Schlagzeilen: Während das Jugendzentrum aufgrund teurer Mieten keine angemessenen Räume in Berlin findet, provozierte Jan Feddersen, einer der Hauptverantwortlichen des queeren Kulturhauses, in verschiedenen Medien immer wieder mit queerfeindlichen Texten und Aussagen wie „Weshalb sollte unsereins gegen die Diskriminierung von Trans*menschen sein, wenn diese doch zugleich einen zum größten Übel erklären?“.
Was also ist los in der „Regenbogenhauptstadt“? SIEGESSÄULE fragte bei Anja Kofbinger nach, Grünen-Sprecherin für Frauen-, Gleichstellungs- und Queerpolitik im Berliner Abgeordnetenhaus
Frau Kofbinger, erst kürzlich, Ende Juli, wurde der Maßnahmenplan für die IGSV beschlossen. Warum hat das so lange gedauert? Die Abstimmung der IGSV hat viel Zeit in Anspruch genommen, da ein Koalitionspartner — den ich in an dieser Stelle nicht nennen kann — sich in der Umsetzung des Programms nicht wiedergefunden hat. Da gab es sehr viel Absprachebedarf. Letztendlich hat es zwei Jahre gedauert. Das ist richtig. Aber alle Verantwortlichen haben sich ein breites Beteiligungsgesetz gewünscht, welches die Landesstelle für Gleichbehandlung dann wiederum in kürzester Zeit hervorragend durchgeführt hat. Das hat sich gelohnt.
Eines der Kernprojekte, das queere Jugendzentrum, findet weiterhin kein Zuhause. Die Berliner Mieten sind zu teuer und das Geld, das vom Land zur Verfügung gestellt wird, reiche nicht aus – so jedenfalls Kay-Alexander Zepp, Leiter des Trägervereins Lambda e. V., gegenüber dem Online-Magazin queer.de. Warum wird das Budget des Jugendzentrums nicht erhöht? Der aktuelle Standort (eine Übergangslösung in der Sonnenburgerstraße, Anm. d. Red.) ist zu klein, das ist uns klar. Aber um die Erhöhung des Budgets um ein Paar Tausend Euro mehr oder weniger geht es gar nicht. Ich weiß auch nicht, warum das so gesagt wurde – es stimmt nicht. Ich erfuhr auch erst aus den Medien davon, mit uns hat niemand im Vorfeld gesprochen. Meine Aufgabe als Politikerin ist es, Lösungen für aufkommende Probleme zu finden, beispielsweise die Finanzierung der Projekte, aber die Immobilie selber suche ich nicht aus. In Berlin gibt es nicht derart viele Immobilien, die alle notwendigen Voraussetzungen erfüllen. Nach meiner Information unterstützt die Senatsverwaltung Jugend den ganzen Prozess und wird auch die Miete angemessen berücksichtigen. Ich sehe da keinen Grund zur Panik.
Auch war angekündigt worden, dass das queere Kulturhaus (E2H) bereits 2019 seine Pforten öffnen könne. Mittlerweile wurde die Eröffnung auf 2022 verschoben … Ein Standort für das Haus wurde bereits gefunden und der Finanzierungsbedarf steht fest. Wir kennen als Grüne die Machbarkeitsstudie von Queer Nations e. V. und warten auf einen Plan zur Umsetzung durch die zuständige Senatsverwaltung. Hohe Kosten sind zu erwarten. Auch da muss es eine Verständigung geben, sobald der Plan vorliegt.
Einer der Hauptverantwortlichen des Projekts, Jan Feddersen, machte immer wieder mit provokanten Äußerungen auf sich aufmerksam: z. B. sprach er in einem Kommentar im Magazin Mannschaft von einer angeblichen „Queergida“, die cis-männliche schwule Männer diffamiere – und setzte damit queere Bewegungen mit der rechtspopulistischen Bewegung Pegida gleich. Wie reagiert die Politik darauf? Ich kenne Jan Feddersen schon sehr lange. Er ist jemand, der immer wieder provozieren muss. Sein Kommentar ist von vorne bis hinten bekloppt – ich verstehe auch nicht, was er mit dem Text überhaupt erreichen will. Aber zuallererst ist das freie Meinungsäußerung. Der Mann und seine Meinung beeinflussen mich als Politikerin nicht. Der Verein Queer Nations e. V. ist nicht Jan Feddersen oder umgekehrt; das unterscheide ich sehr genau. Ich habe keine Ressentiments gegen Queer Nations, sie leisten hervorragende Arbeit. Ich erwarte vom Verein jedoch auch, dass sie sich zu Herrn Feddersens Äußerungen verhalten.
Inwiefern steht die Politik in einer solchen Situation in der Verantwortung? Wenn Jan Feddersen anfängt, jede Woche solche Kommentare zu schreiben, sollte sich zuerst der Trägerverein überlegen, ob es Sinn macht, ihn in die erste Reihe zu stellen. Herr Feddersen identifiziert sich in hohem Maße mit dem Projekt E2H – doch stehen dahinter viel mehr Menschen als nur er. Die Aufgabe der Politik ist es in diesem Fall vor allem, Ruhe, Gelassenheit und Seriosität zu bewahren. Das E2H muss, wie der Trägerverein Queer Nations, queer, feministisch und pro lesbische Sichtbarkeit und für Trans* und Inter* sein. Alles andere ist politisch nicht vermittelbar.
Und in Bezug auf die anderen Punkte der IGSV? Was muss da noch getan werden? Mehr als die Hälfte der Punkte haben wir angeschoben, die müssen jetzt verstetigt werden. Die größten Erfolge konnten wir durch die Förderung von Projekten im Bereich Bildung und Schulaufklärung feiern – gerade in Zeiten rechter Angriffe sind diese wichtig. Die „klassischen“ Themen wie z. B. Gewaltprävention, die Beratung von trans* und inter*-Personen oder die Arbeit mit Geflüchteten wurden ebenfalls verstärkt. Auch Projekte im Gesundheits- und Pflegebereich wollen wir, trotz hohen Kostenaufwands, weiter ausbauen. Die Fraktion der Grünen legt z. B. einen Schwerpunkt auf den Bereich Regenbogenfamilien. Mir persönlich ist die weitere Förderung lesbischer Sichtbarkeit sehr wichtig.
Interview: Andy Dohmen
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