Geschlechtseintrag ändern lassen: Wie weiter?
Der skandalöse Entwurf zur Reform des „Transsexuellengesetzes“ ist zwar erst mal vom Tisch – die Verwirrung um das Personenstandsrecht aber bleibt. Wir zeigen auf, was Betroffene nun tun können
Am 24. August 2019 fand in Berlin die Demo #SelbstbestimmungJetzt statt. Gefordert wurde ein besseres Gesetz, mit dem trans*, inter* und nicht-binäre Personen ihren Vornamen und ihren Geschlechtseintrag ändern lassen können. Wie in anderen Ländern längst Usus, zum Beispiel in Dänemark oder Malta, soll beides ganz einfach möglich sein – ohne Bürokratie und ohne Fremdbestimmung.
Chaos um die „Dritte Option“
Eine solche Gesetzesreform ist in Deutschland in der Tat dringend nötig. Nach wie vor herrscht Chaos auf deutschen Behörden rund um das geltende Personenstandsrecht. Standesämter gehen uneinheitlich und scheinbar vollkommen willkürlich mit Antragsteller*innen um, die ihren Geschlechtseintrag umtragen lassen wollen.
„Die Situation ist absurd“, erzählt Julia Monro von der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e. V. (dgti). „Selbst Standesämter wissen oft nicht, wie das geltende Recht anzuwenden ist.“
Wie kam es zu dieser Verwirrung? Mit Jahresbeginn 2019 wurde die neue Regelung zur sogenannten „Dritten Option“ (Paragraf 45b Personenstandsgesetz) eingeführt. Damit ist eine Änderung des Geschlechtseintrags sowohl auf „divers“ oder in einen leeren Eintrag, als auch auf „männlich“ oder „weiblich“ möglich. Laut Innenministerium sollte die Regelung nur für inter* Personen mit einer bestimmten medizinischen Diagnose gelten. In der Praxis konnten dann aber auch trans* Personen das neue, vereinfachte Verfahren zur Änderung des Personenstandes nutzen – und sich damit den teuren und demütigenden Weg über das geltende „Transsexuellengesetz“ (TSG) ersparen.
Zweifelhafte Aussagen des Innenministeriums
Nach dem TSG sind zur Änderung des Geschlechtseintrages oder des Vornamens noch immer zwei psychologische Gutachten nötig, die bei Gericht vorgelegt werden müssen. Mit der Regelung zur „Dritten Option“ reicht hingegen eine einfache ärztliche Bescheinigung, dass man eine „Variante der Geschlechtsentwicklung“ hat – und ein Gang zum Standesamt.
Die Krux dabei: der Begriff „Variante der Geschlechtsentwicklung“ ist im Gesetzestext nicht definiert. Dennoch berief sich das Innenministerium im Frühjahr 2019 darauf, bestimmen zu wollen, was dazu zählt und was nicht – und versuchte, unter anderem mit einem Rundschreiben an Standesämter, die Nutzung des neuen Verfahrens durch trans* Personen zu unterbinden (SIEGESSÄULE berichtete).
Standesämter und Amtsgerichte entscheiden unterschiedlich
Das Resultat: Ämter in verschiedenen Orten und Bundesländern gehen unterschiedlich mit der neuen Regelung um. Einfach ablehnen können Standesämter das Anliegen, den Personenstand nach Paragraf 45b Personenstandsgesetz (PStG) zu ändern, zwar nicht. Sie können Fälle aber zur Weiterbearbeitung an die Aufsichtsbehörde oder das jeweils zuständige Amtsgericht geben.
Einige Fälle sind auf diese Weise schon an die Amtsgerichte gewandert. Aber auch diese scheinen keine einheitliche Linie im Umgang mit dem Gesetz zu fahren. „Kürzlich hat ein Amtsgericht dem Standesamt gesagt, die sollen die Personenstandsänderung doch durchführen“, berichtet Julia Monro. Andere Anträge auf Änderung des Geschlechtseintrages wiesen auch die Amtsgerichte ab. „Es gibt da aktuell ganz wirre Vorgehensweisen.“
Hilfe und Tipps für Antragsteller*innen: „Sich nicht abschrecken lassen“
Was ist Betroffenen in dieser Lage zu raten? Sich nicht abschrecken zu lassen, empfiehlt Julia – die Verfahren aber am besten nicht im Alleingang anzugehen und sich vorher bei Selbsthilfegruppen und Organisationen wie der dgti oder dem Bundesverband Trans* e. V. (BVT*) Beratung zu holen.
Infos und Erfahrungsberichte zum Thema hat Julia auf der Homepage pstg45b.de zusammengestellt. Dort gibt es auch Tipps zu weiterführenden Fragen: Etwa haben manche trans* Personen die Befürchtung, dass der Weg über den 45b PStG Probleme bei den Krankenkassen bereitet, wenn Leistungen wie Hormotherapien oder Operationen beantragt werden. „Das hat sich großteils nicht bestätigt“, sagt Julia. „Es gab zwar vereinzelt Probleme, wenn der TSG-Beschluss gefordert wurde, aber nach kurzem Hin und Her wurde das dann doch akzeptiert.” Ebenso helfe bei Versicherungen oder anderen Behörden, die sich manchmal noch querstellen, meist ein kurzer aufklärender Schriftwechsel.
Hilfe bietet auch Manfred Bruns, Bundesanwalt a. D., an. Momentan betreue er um die 100 Fälle, erzählt er SIEGESSÄULE. Betroffene können sich bei ihm Musterschreiben für Erklärungen an die Standesämter holen, die gleich auch eine detaillierte Argumentation mitliefern, warum das Amt die Änderung des Personenstandes durchführen muss. Das Schreiben solle man ausfüllen und zusammen mit einer ärztlichen Bescheinigung, dass eine „Variante der Geschlechtsentwicklung“ vorliegt, einreichen – und darüber hinaus möglichst keine Infos, etwa zur eigenen genauen medizinischen Diagnose, an das Amt geben.
Das habe schon öfters Erfolg gehabt, sagt Bruns. „Andere Standesämter weigern sich trotzdem. Dann rate ich, sich ans Amtsgericht zu wenden – und wenn das negativ entscheidet, weiter ans Oberlandesgericht (OLG).” Auch für diese Schritte könne er Musterschreiben bereitstellen. Die Beschwerden bis zum OLG sind zudem gerichtskostenfrei. Erst für die nächste Instanz, den Bundesgerichtshof, müsste dann ein Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin zurate gezogen werden.
Rechtsprofessorin: „Auf die Grundrechte setzen“
„Das Innenministerium hat alles dazu getan, um die Rechtslage zu verunklaren“, kritisiert Anna-Katharina Mangold. Sie ist Professorin für Europarecht an der Universität Flensburg. Als letztes Jahr das neue Personenstandsgesetz diskutiert wurde, beriet sie den Bundestag im Sachverständigenausschuss. Von Anfang an setzte sie sich dabei für eine Regelung ein, die auf Selbstbestimmung basiert. Das heißt: niemand anders als man selbst kann über die eigene Geschlechtsidentität Auskunft geben – und nur man selbst kann entsprechend darüber entscheiden, welches Geschlecht in den Dokumenten vermerkt wird.
In der jetzigen Situation empfiehlt Mangold deshalb, auf die Grundrechte zu setzen. „Es besteht bei Betroffenen eine große Angst vor rechtlichen Verfahren, was ich total verstehen kann, da das Recht trans* und inter* Personen bislang so schlecht behandelt hat. Aber ich würde immer wieder propagieren, das Recht auch als ein emanzipatorisches Instrument zu sehen und zu nutzen.“
„Positive Signale“ aus der Politik
Und auf politischer Ebene? Hier könnte sich nun doch etwas in die richtige Richtung bewegen: Ein im Mai vorgelegter Entwurf für eine Reform des „Transsexuellengesetzes“ war seitens der Community und Verbänden abgelehnt worden, da er weiterhin unnötige Schikanen und Hürden enthielt (SIEGESSÄULE berichtete). Jetzt bekomme man „Signale, dass die Bundesregierung einen neuen Gesetzesentwurf vorbereitet“, sagt Jerzy M. Szczesny, Referent für Antidiskriminierungs- und Gesellschaftspolitik der Bundestagsfraktion der Grünen, auf Anfrage von SIEGESSÄULE. Von einem neuen Entwurf ist zu erwarten, dass er auf die Kritik zumindest in Teilen reagiert. Auch die grüne Fraktion arbeite zurzeit an einem „umfangreichen Selbstbestimmungsgesetz“, das voraussichtlich im Herbst 2019 präsentiert werden soll.
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