Kommentar

Dieser Damm hätte nicht brechen dürfen: Der Fall Jörg Steinert

3. Juli 2019
Bild: Foto: Facebook/Jörg Steinert
Dieses Bild veröffentlichte Jörg Steinert am 22. Juli auf Facebook. Es zeigt u. a. LSVD-Geschäftsführer von Berlin-Brandenburg Jörg Steinert (re.), Gesundheitsminister Jens Spahn (mi.) und US-Botschafter Richard Grenell (Zweiter von re.)

Für einen von ihm herbeigeführten Konflikt um die Regenbogenfahnenhissung vor dem Rathaus Spandau suchte Jörg Steinert vom LSVD sogar die Unterstützung der AFD. Stephanie Kuhnen kommentiert

In den letzten Tagen, genauer seit dem 26. Juni, haben sich innerhalb der LSBTTIQ*-Community in der Regenbogenhauptstadt Berlin die politischen Grenzen wieder ein wenig weiter nach rechts verschoben. Das ist insofern erstaunlich, da es doch überall „Gemeinsam gegen Rechts“ schallt, das Stonewall-Jubiläum zu metaphorischen Aufständen aufruft und sich wortreich gegen Homophobie, Transphobie und Rassismus geäußert wird.

Zahlreiche Regenbogenflaggen schmücken den öffentlichen Raum im Pride Monat. Dafür sorgt unter anderem das 120 Mitglieder starke Bündnis gegen Homophobie, das der Berliner Senat finanziert und vom LSVD Berlin-Brandenburg verwaltet und gestaltet wird. Um die traditionelle Flaggenhissung vor dem Rathaus Spandau entstand nun eine beinahe unübersichtliche Farce, ausgelöst vom Geschäftsführer des LSVD Berlin-Brandenburg, Jörg Steinert, weil die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte Juliane Fischer des Bezirksamt Spandau ihr Stellenprofil erfüllt.

Also stellte sie zur Teilnahme Steinerts an der für den 4. Juli geplanten Flaggenhissung in ihren Fachbereich fallende Fragen: Der Geschäftsführer des LSVD Berlin-Brandenburg hatte im Juli letzten Jahres auf Facebook ein Foto veröffentlicht auf dem u. a. zu sehen ist, wie US-Botschafter Richard Grenell seinen Arm am LSVD-Stand auf dem Lesbisch-Schwulen Stadtfest 2018 um Steinert legt. Aufgrund dieses Fotos bat sie Steinert in einer Email um eine Stellungnahme zu dessen Verhältnis zum US-Botschafter, der eine Regierung vertritt, die massiv die Rechte von Frauen, LSBTTIQ* und trans* Menschen abbaut. Desweiteren fragte sie nach seiner Position zur „Abwehr eines Gedenkens“ an die ermordeten und verfolgten Lesben im Frauen-KZ Ravensbrück durch den Historiker und ehemaligen Geschäftsführer des LSVD BB Alexander Zinn, einer Lesben diffarmierenden Mail eines LSVD-Vorstandsmitglieds und sprach auch den Skandal um die Entlassungen zahlreicher Mitarbeiter*innen an, die für bessere Arbeitsbedingungen beim LSVD gekämpft hatten.

Steinert antwortete Fischer auf ihre Mail nicht persönlich, sondern holte sich Unterstützung unter anderem von der AfD, genauer Stadtrat Andreas Otti, der neben anderen persönlich angeschrieben wurde. In Ottis Fachbereich fallen nicht etwa LSBTTIQ*-Themen, sondern Facility Management, Umwelt- und Naturschutz. Dieser ließ sich nicht lange bitten und verbreitete im Chor mit B.Z.-Kolumnist Gunnar Schupelius und Mario Rölig von der LSU und anderen die Lüge, dass Jörg Steinert von der Regenbogenfahnenhissung ausgeladen worden wäre. Am Montag legte die AfD nach, der Verordnete Wolfgang Werner reichte eine Kleine Anfrage beim Spandauer Stadtparlament mit dem Titel „Gleichstellung oder Gleichschaltung“ gegen Fischer ein.

Die 34-Jährige Juliane Fischer ist in der LSBTTIQ*-Community keine Unbekannte. Unter anderem ist sie eine ehemalige Mitarbeiterin des RuT e.V.* Erst September 2018 hatte sie die lange verwaiste Stelle als Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte im Rathaus Spandau angetreten.

Von Anfang machte sie in einem Interview deutlich: „Ich will vor allem eine gute Partnerin für alle Mädchen und Frauen sein, egal, ob sie alt oder jung sind, wo sie herkommen, ob sie heterosexuell oder lesbisch sind, behindert oder nicht behindert“. So gestaltete und organisierte Fischer beispielsweise den 1. Spandauer Mädchen* & Frauen*März mit einem fulminanten, intersektionalitäts- und rassismussensiblen Programm unter anderem Selbstverteidigungskurse für Senior*innen, Empowerment für geflüchtete Frauen und Mädchen, jüdische Perspektiven auf (Queer)Feminismus und einer Vorstellung der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes, die übrigens auch ein Mitglied des Bündnis gegen Homophobie ist.

In diesem Bündnis befinden sich auch der Landesverband deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg e.V., Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten und die Stiftung Denkmal der ermordeten Juden Europas. Es wäre spannend zu erfahren, was diese Verbände davon halten von einem Wehrmachtsverharmloser wie Otti, der schnelle Abschiebungen nach Afghanistan befürwortet und vor aberwitzigen Zahlen an „Wandermigranten“ warnt, auf Zuruf in ihrer Arbeit gegen Diskriminierung „unterstützt“ zu werden.

Der tatsächliche Skandal im „Spandauer Fahnenstreit“ ist, dass Steinert sich nicht scheut, auch die rechtsextreme, vom Verfassungsschutz beobachtete AfD einzuschalten und dass ihm seitens seiner Beisteher aus LSU, SchwuSos, Tagesspiegel, B.Z. und anderen nicht widersprochen wird, sondern er sich wie ein Märtyrer für die Regenbogenfahne feiern lässt.

Da ist ein Damm gebrochen, der nicht hätte brechen dürfen. Denn der blaue Elefant im Raum kann von vielen der vulnerableren LSBTTIQ*-Communitys nicht ignoriert werden, für sie stellt er eine unmittelbare Bedrohung dar.

Welches Zeichen sendet der LSVD BB mit diesem Ränkespiel an diejenigen, die er auch meint zu vertreten? Immerhin macht eine beträchtliche Arbeit des Verbandes der „Bereich Migration“ aus, in dem auch das renommierte Projekt für geflüchtete LSBTTI MILES angesiedelt ist. Was anderes sollte bezweckt werden, als die existenzielle Einschüchterung einer Trägerin eines öffentlichen Amtes und gleichzeitige Warnung an alle, die ihm mit kritischen Fragen entgegentreten?

Man kann sicher sein, dass man sich beim LSVD BB wird damit herausreden wollen, dass es eine „demokratische“ Pflicht gewesen sei, wenn schon, dann alle Fraktionen in Kenntnis zu setzen. Inklusive des Botschafters Grenell. Diese Abstrafung ist jedoch eher eine peinliche Finte: die Adresse des Botschafters, den Steinert persönlich informiert haben will, ist lediglich eine RSVP-Antwortmöglichkeit auf die Einladung zum jährlichen 4th-of-July-Empfang.

Aber egal, die Drohkulisse ist aufgebaut und wird eifrig sekundiert. Der bekannte LSBTTIQ*-Aktivist und einer der Vorstände des LSVD Bund Alfonso Pantisano schrieb dazu auf seinem Facebook: „…wenn Jörg Steinert nur ein wenig Anstand vor der Regenbogenflagge hat, die er so gerne hisst, dann sollte er seinen Posten sofort räumen.“

Das wäre eine Möglichkeit. Eine andere Möglichkeit wäre, dass der finanzierende Senat überlegt, ob dieses wertvolle Bündnis unter einer Führung, die die AfD zur Unterstützung holt, um Kritiker*innen einzuschüchtern, überhaupt in den richtigen Händen ist, und sich um einen verantwortungsvolleren Dienstleister bemüht.

Jörg Steinert und seine Beisteher fordern von der mutigen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten eine öffentliche Entschuldigung. Wofür eigentlich? Sollte sich nicht eher der LSVD BB bei allen Menschen entschuldigen, die er mit seinen entlarvten Intrigen in Gefahr bringt und die gehofft haben, sich in einer Community zu bewegen, die sicher für sie ist? Nach dem Mord an dem CDU-Politiker Lübcke hat dies eine neue Dimension erreicht. Im besten Fall fahrlässig, im schlechtesten niederträchtig, in keinem selbst entschuldbar.

Stephanie Kuhnen


Der LSVD-Bundesvorstand hat heute ein Statement zu dem „Konflikt um die Regenbogenfahnenhissung" veröffentlicht, in dem das Verhalten von Jörg Steinert kritisiert wird:

„Der LSVD Bundesvorstand bedauert die öffentliche Auseinandersetzung zwischen der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten des Bezirks Spandau Juliane Fischer und dem Geschäftsführer des LSVD Berlin-Brandenburg Jörg Steinert im Zusammenhang mit dem Hissen der Regenbogenflagge. Für uns als Bundesvorstand gehört zur Professionalität und gutem Stil dazu, immer zuerst das persönliche Gespräch zu suchen und auch auf vielleicht als unberechtigt empfundene Kritik souverän und verantwortungsvoll zu reagieren, vor allem wenn die Kommunikation im bilateralen, nicht-öffentlichen, Mailverkehr gesucht wurde. Nach unserer Ansicht ist das hier zum Schaden aller Beteiligten versäumt worden. Das haben wir auch dem Vorstand des LSVD Berlin-Brandenburg sowie seinem Geschäftsführer Jörg Steinert mitgeteilt.

Grundsätzlich sind die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten für uns potentielle Bündnispartner*innen. In den programmatischen Grundsätzen, die der gesamte LSVD 2018 beschlossen hat, wird ausdrücklich betont: ,Angesichts der bedrohlichen nationalistischen und LSBTI-feindlichen Mobilisierung braucht es Zusammenhalt aller emanzipatorischen Kräfte. Daher werben wir für eine solidarische interne Diskussionskultur, die Kritik und Widersprüche aushält'. Wer der AfD Futter liefert, verletzt diese Grundsätze eindeutig."


Update 04.07.19 – Auch der Vorstand des LSVD Berlin Brandenburg hat heute mit einem kurzen Statement reagiert, in dem keinerlei Fehlverhalten eingeräumt wird: „Die Fragen aus dem Bezirksamt Spandau, die in Vorbereitung auf den Termin zum Hissen der Regenbogenflagge gestellt wurden, waren nicht angemessen. Das haben wir öffentlich kritisiert. Der Vorstand des Lesben- und Schwulenverbandes Berlin-Brandenburg ist davon überzeugt, dass der Geschäftsführer einer überparteilichen Bürgerrechtsorganisation, wie es der LSVD ist, staatliche Stellen öffentlich kritisieren darf.“


* Text wurde am 03.07.19 geändert: In der ersten Version des Kommentars stand, dass Juliane Fischer Geschäftsführerin des EWA-Frauenzentrums war. Dies ist nicht der Fall gewesen.

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