Debatte

Nicht mein Feminismus: Generationenkonflikt in der lesbischen Community

1. Juni 2019 Hannah Geiger
Illustration: Rory Midhani

In aktuellen feministischen Debatten scheinen sich jüngere Queerfeminist*innen und ältere aktivistische Lesben oft unversöhnlich gegenüber zu stehen. SIEGESSÄULE über einen vermeintlichen Generationenkonflikt

„My feminism will be intersectional or it will be bullshit“ – dieses Zitat aus einem Blogeintrag der Autorin Flavia Dzodan ist beliebter Slogan aktueller feministischer Strömungen und verdeutlicht in einem Satz das Ziel, das sich die jüngere Generation gesetzt hat: Im Kampf gegen das Patriarchat Mehrfachdiskriminierungen stärker berücksichtigen und eigene Privilegien reflektieren. Doch damit stoßen junge Queers in der Lesbenszene nicht immer auf Zuspruch. Viele ältere Frauen und Lesben, die in der Zweiten Welle der Frauenbewegung sozialisiert wurden, fürchten aufgrund der Kritik an ihrem Aktivismus von damals, der häufig eben nicht diesen intersektionalen Standards entsprach, um ihr feministisches Erbe.

Mitunter harte Kämpfe

Aus diesem Spannungsfeld entstand in den letzten Jahren ein Generationenkonflikt, der genauso brisant wie schwer zu greifen ist: Niemand will den jeweils anderen auf die Füße treten, der Respekt füreinander ist zwar da, aber hinter den Kulissen werden mitunter harte Kämpfe ausgefochten. So wie letzten Sommer, als im Schwulen Museum eine Ausstellung über die erste feministische Lesbengruppe der BRD, das Lesbische Aktionszentrum Westberlin (LAZ), eröffnet wurde, in der ehemalige Aktivistinnen ihre Geschichte aufarbeiten wollten.

In ihrer Eröffnungsrede begründete Kuratorin und Ex-LAZlerin Christiane Härdel die Motivation hinter der Ausstellung so: „Als Forschungsarbeiten über uns Lesben von damals, ohne persönlichen Kontakt zu uns, erstellt wurden, die die Bewegung teilweise sogar diskreditierten, war der Punkt gekommen: Wir ergriffen die Gelegenheit, hier im Jahr der Frau des Schwulen Museums, eine Ausstellung … als Zeitzeuginnen zusammenzustellen.“

Was Christiane Härdel als Abwertung ihrer feministischen Arbeit betrachtete, war eine Masterarbeit über das LAZ, die von einer jungen queerfeministischen Studentin geschrieben worden war. Darin fand sich, neben vielen positiven Aspekten, auch die Beanstandung rassistischer Strukturen und eines Trans*-Ausschlusses in der damaligen Lesbengruppe. Diese Kritik löste bei den Zeitzeuginnen Empörung aus. Schuld gab Härdel in einem späteren SIEGESSÄULE-Interview der „neofeministischen Elle“, nach der heute alles gemessen würde. Ein Versuch der Aufarbeitung lesbischer Geschichte von jüngerer Seite und somit auch der Verständigung zwischen Lesben und Queers, der kläglich scheiterte.

Das bereits erwähnte Konfliktmuster trat klar zutage: Ältere fürchten die Abwertung ihrer Kämpfe und ihre Erb*innen sehen einige der damaligen Konzepte als überholt an. Der Zugang zueinander ist versperrt, vor allem jüngere Queerfeminist*innen fühlen sich in ihrer Kritik belächelt. „Ich habe den Eindruck, dass ältere Lesben, die früher aktiv waren, eine gewisse ,Erhabenheit der Zeitzeugin’ ausstrahlen. Das schafft Hierarchie. Diejenigen, die wichtige Sachen erstritten haben, fühlen sich durch die Weiterentwicklung ihrer Kämpfe schnell angegriffen“, sagt die junge Historikerin und Journalistin Clara Woopen dazu, die sich viel in queerfeministischen Räumen bewegt und zu FrauenLesbenbewegungen der 70er/80er-Jahre forscht. Sie kritisiert, dass sich zwischen den Generationen nicht auf Augenhöhe begegnet wird: „Was heute passiert, wird nicht mehr ernst genommen, dabei entwickelt sich Aktivismus weiter.“

Verschwindet das Lesbische?

Aber woran liegt es, dass der queere Apfel so weit vom lesbischen Stamm fällt? Vorrangig geht es in diesen Auseinandersetzungen um drei Aspekte: zum einen die Kritik an der Zweigeschlechternorm, der durch Selbstbezeichnungen wie „nicht binär“ oder „genderqueer“ entgangen wird, während der Terminus „Lesbe“ zunehmend aus dem Blick gerät. Dann die Frage nach Intersektionalität, also dem Zusammendenken verschiedener Diskriminierungsformen, und der damit einhergehenden Reflexion von Privilegien. Und zuletzt um die bessere Einbeziehung von trans* Personen in feministische Kämpfe.

Im Zuge der Kritik an der Festschreibung auf zwei Geschlechter werden bestimmte Identitätsbeschreibungen wie „weiblich“, „männlich“, „lesbisch“ oder „schwul“ immer mehr infrage gestellt. Genau das führt bei einigen Älteren zu Stirnrunzeln. Während die Selbstbezeichnung „lesbisch“ für viele Ergebnis eines erbitterten Kampfes für Selbstbestimmung ist, wird sie aufgrund von geschlechtlicher Eindeutigkeit heute von vielen jüngeren Menschen durch „queer“ ersetzt. Dabei fürchten Ältere, dass mit dem Begriff zugleich die Identität „Lesbe“ mehr und mehr verschwinden könnte.

Auch Ilona Bubeck, die seit den frühen 1980er-Jahren lesbenpolitisch aktiv ist und 1995 den lesbisch-schwulen Querverlag mitgründete, sieht die Auflösung der Geschlechterkategorien kritisch: „Wenn sich jemand als nicht binär oder genderqueer bezeichnen möchte, habe ich kein Problem damit, solange diese Identitätskategorien nicht zum Maßstab für alle erhoben werden und dadurch Frau- und Lesbesein zurückgewiesen wird. Sexismus und Trans*-Feindlichkeit bekämpfen wir nicht, wenn wir so tun, als gäbe es keine Geschlechterhierarchien und als wären patriarchale Strukturen überwunden“, sagt sie gegenüber SIEGESSÄULE.

Wie Ilona finden sich viele ältere Lesben in einem „genderqueeren“ Geschlechtersystem nicht wieder – vor allem diejenigen, die in den 70ern und 80ern für die Etablierung des Begriffs „Lesbe“ kämpften, weil mit ihm eine wichtige, von homosexuellen Männern unabhängige Selbstbezeichnung einherging. Das Wort „queer“ ist da für viele nicht explizit genug und wird eher als Oberbegriff für LGBTI gesehen. Eine Verwendung, die Lesben in der Tat unsichtbar machen kann.

„Genderfree World“: Eine queere Utopie?

Aber trifft Ilonas Kritik zu? Bewegt sich die junge Generation in einer utopischen Postgender-Welt? Und wird die bis heute bestehende, strukturelle Diskriminierung von Frauen damit außer Acht gelassen?

Die Fettaktivistin und selbst benannte „black fat queer femme of mixed race“, Body Mary, sieht das nicht so. Sie sieht den Vorteil von „queer“ in der größeren geschlechtlichen Vielfalt. „Das Positive an queer und nicht binär ist, tatsächlich, beobachten zu können, wo sich Diskurs, Geschlechter-identität und auch sexuelle Identität hinbewegen. Und nicht anzunehmen, dass es einen Status quo gäbe, der unveränderlich sei. Begrifflichkeiten und Sprache ändern sich und schaffen Realität. Wofür es vor 20, 30 oder 40 Jahren noch keine Bezeichnung gab, gibt es diese heute.“ In der Kritik am Begriff „queer“ sei außerdem die Annahme enthalten, „dass es nur zwei Geschlechter gäbe und außerdem nur lesbisch, schwul und heterosexuell“.

Hier liegt ein wesentlicher Punkt im Konflikt zwischen den Generationen: Während die einen an Geschlechterkategorien festhalten, um politisch handlungsfähig zu bleiben – also um die Unterdrückung von Frauen als solche benennen zu können –, ist genau diese Auffächerung geschlechtlicher Zuschreibung für andere eine fundamentale politische Errungenschaft, weil sie patriarchale Geschlechterzuschreibungen umgeht und Genderneutralität ermöglicht. Die Folge: Es stehen sich der Kampf um lesbische Identität einerseits und der Kampf für eine Welt sozusagen ohne Geschlechter andererseits gegenüber.

Was also tun? Sollten sich die Älteren mehr anpassen und Begriffe wie „Frau“und „Lesbe“ ablegen? Für Ilona kommt das nicht infrage: „In meiner Jugend war das Wort ,Lesbe’ ein Schimpfwort und absolut negativ besetzt – wie das Wort ,schwul’ auch. Erst durch die Frauenbewegung wurde es zum Begriff der Selbstbestimmung und Emanzipation. Deshalb werden ich und andere es nicht zulassen, dass das Wort Lesbe wieder verschwinden soll, weil wir angeblich in queer sowieso mit vorkommen“, sagt sie.

Body Mary hat für dieses Bestehen auf lesbischer Identität durchaus Verständnis. „Ich will älteren Lesben ihre Identität nicht wegnehmen und bin da ganz bei ihnen. Wenn du eine stolze Lesbe bist, dann trete ich dafür ein, dass du das auch sagen kannst.“ Gleichzeitig fordert sie aber auch Anerkennung für ihre Position: „Ich möchte genauso, dass du für mich eintrittst und ich sagen kann: Ich bin eine stolze non-binary high-femme.“

Diskussionen um Rassismus und Trans*phobie

Und hier scheint ein Knackpunkt zu liegen: Wie sehr ist die ältere Generation bereit, sich Konzepten der nachkommenden queeren Aktivist*innen und Queerfeminist*innen zu öffnen? Dass genau das nicht immer leicht ist, zeigt sich auch bei der Thematisierung von Rassismus, bei der immer wieder Konflikte aufkommen.

Auf die Frage, inwieweit sich das LAZ damals mit Rassismus auseinandergesetzt habe, antwortete Christiane Härdel im Interview mit SIEGESSÄULE: „Wir waren sehr stark engagiert in der Frauenbewegung, das Thema Rassismus gab es in der Form nicht. Wir waren alle weiß, es war nicht das Thema. Wenn du siehst, was wir für Arbeitsgruppen hatten, wir haben uns mit allem auseinandergesetzt, und wenn Rassismus ein Problem gewesen wäre zu der Zeit, hätten wir uns damit auch beschäftigt.“ Eine Position, die heute dank Interventionen von People of Color und Schwarzen Menschen nicht mehr vertretbar wäre. Sie machten klar, dass sich rassistische Strukturen durch alle Lebensbereiche ziehen und explizit weiße Räume schon Resultat von Rassismus sind.

Aber heißt das im Umkehrschluss, dass die (weiße) lesbisch-queerfeministische Szene heute tatsächlich weniger rassistisch ist als damals? „Die Frage ist schwierig. Dem neuen Fokus auf Intersektionalität würde ich zustimmen, aber: Es gibt seit den 80er-Jahren eine Schwarze, queere, gendernonkonforming und feministische Bewegung und für uns war Intersektionalität schon immer ein Fokus. Auch bevor man das so bezeichnet hat“, sagt Peggy Piesche dazu und verweist damit auf das antirassistische Erbe, auf dem Intersektionalität beruht. Peggy ist Literatur- und Kulturwissenschaftlerin, seit den 1990ern in der Schwarzen feministischen Bewegung aktiv und Teil des Projekts Generation Adefra (Schwarze Frauen* in Deutschland).

Auf die Frage, wie sie es sieht, dass viele jüngere Lesben oder Queers der älteren Generation Rassismus vorwerfen, sagt sie: „Wenn jetzt diese Interventionen kommen, dann muss man kenntlich machen, dass das weiße junge queere Perspektiven sind, die sich eine dominant weiße Bewegung anschauen und sagen: ,Ihr habt damals diese Leerstellen nicht reflektieren können.' Dass diese Leerstellen heute als solche benannt werden können und dass wir uns in der Erinnerungsperspektive angucken können, wie wenig divers eine queere lesbische Bewegung in den 80ern und 90ern war, hat damit zu tun, dass queere Schwarze lesbische und gender-non-conforming Perspektiven Intersektionalität auch in andere Räume getragen haben.“

„Die Angst, Räume zu teilen“

Neben der Intersektionalität spielt im Beef der Generationen außerdem eine äußerst hartnäckige Streitfrage eine Rolle: die viel diskutierte Öffnung der Szene für trans* Personen, insbesondere für lesbische trans Frauen. Selbst wenn dieser Konflikt nicht neu ist und nur bedingt eine Generationenfrage, kann er doch auch anhand der Generationen erklärt werden. Denn mit der zunehmenden Kritik an der Geschlechterbinarität unter Queerfeminist*innen ging auch eine stärkere Öffnung der Szene für trans* Personen einher. Wo sonst noch aufgrund körperlicher Merkmale wie Gebärmutter oder Vulva auf das Frausein geschlossen wurde, sehen heute viele Frausein eher als soziale Kategorie, die all jene umfasst, die sich als solche definieren.

Welchen Grad dieser Konflikt im Extremfall erreichen kann und welche Überschneidungspunkte Diskussionen um lesbische Sichtbarkeit mit trans*feindlichen Einstellungen haben können, zeigt ein internationales Beispiel: Auf der Londoner Pride im Juli 2018 kam es zu einem Eklat, als sogenannte TERFs, trans*exclusionary radical feminists (deutsch: Trans* ausschließende Radikalfeministinnen), sich an die Spitze der Demonstration drängten und trans*feindliche Transparente schwenkten. Auf diesen hieß es unter anderem, „Transaktivismus verdrängt Lesben“ und „Lesbisch nicht queer“. Auf Nachfrage eines Reporters antworteten sie, dass sie gegen die Unsichtbarmachung von Lesben in LGBTI-Zusammenhängen protestieren würden und dass sie nicht daran glaubten, dass man sein biologisches Geschlecht verändern könne.

Ein Phänomen, das man auch in Berlin kennt: „Auch hier gibt es Frauenräume, die sich nicht nur nicht für FLTI* und die Vielfalt von Geschlecht öffnen, sondern die sich auch aktiv dagegen sträuben. Konkret beschwert sich da beispielsweise eine ältere Lesbe, sie könnte nicht mehr zur Lesbenberatung gehen, weil ihr dort ein ,Mann’ die Tür aufmachen würde“, meint Clara. Ihre Analyse: „Ältere Lesben sind in unserer Gesellschaft unsichtbar, aber es greift zu kurz, queeren Aktivismus dafür anzugreifen. Das scheint mir einfach die ziemlich typische Angst davor, Räume zu teilen und sich darin selbstkritisch zu reflektieren. Das verbaut Chancen für stärkere Bündnisse gegen hetero-cis-normative Geschlechterverhältnisse, die definitiv als gemeinsamer Nenner angegangen werden könnten.“

Neue Allianzen schaffen: aber wie?

Sind Bündnisse gegen hetero-cis-normative Geschlechterverhältnisse also die Lösung? Ja – aber ein einfacher Appell an gegenseitiges Verständnis und Respekt reicht hier nicht, denn der Realisierung der Utopie von feministischen Bündnissen stehen einige grundlegende Differenzen im Weg. Zum Beispiel die bedingungslose Akzeptanz von trans* Personen und eine radikale Positionierung gegen Trans*feindlichkeit.

Und: Solange früherer Aktivismus im Hinblick auf Diskriminierung nicht kritisiert werden darf, kann keine Annäherung stattfinden. Dabei geht es nicht darum, alte Bewegungen für vergangene Fehler anzukreiden, sondern darum, ihren Aktivismus wertzuschätzen, ihn aber auch aus heutiger Sicht kritisch betrachten zu können. Wenn die politische Schlagkraft, die queere, feministische Strömungen momentan innehaben, nicht anerkannt wird, ist ein Zusammenkommen schwierig.

Zu oft wird die politische Arbeit vieler queerer Akteur*innen belächelt und das Subversive, das in der Dekonstruktion von Geschlechtlichkeit liegt, verkannt. Sich als nicht binär oder genderqueer zu bezeichnen sollte nicht als eine Praxis betrachtet werden, die eigene Identität „aufzugeben“ oder sich nicht mehr aktiv gegen Sexismus zu wehren. Hierbei handelt es sich vielmehr um eine Form der Geschlechtlichkeit, die vielen Menschen erst die Möglichkeit bietet, sie selbst zu sein. Das Resultat davon ist, dass die Binarität der Geschlechter, unter der viele Menschen leiden, noch nie so aufgebrochen war wie heute. Mit konkreten Auswirkungen auf die Politik, wie wir in Deutschland an der Einführung der dritten Geschlechtsoption „divers“ im Personenstand sehen. Wir sollten uns für die Zukunft merken: Alles ist in Bewegung und das ist auch gut so.

Oder um es ins Lesbische zu übersetzen – wo gehobelt wird, da fallen Späne.

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