Johannes Kram: „Es wird immer selbstverständlicher, andere abzuwerten“
Seit zehn Jahren kommentiert Johannes Kram auf dem „Nollendorfblog“ Homofeindlichkeit in Politik und Medien. Damit wurde er zu einer der bekanntesten schwulen Stimmen im Netz. Wir trafen ihn zum Gespräch
Johannes, du warst in den 90ern u. a. der Manager von Guildo Horn und hattest schon eine erfolgreiche Karriere hinter dir, als du vor zehn Jahren mit dem „Nollendorfblog“ angefangen hast. Wie kam es dazu? Als ich mit Guildo 1998 beim ESC war, wusste ich nicht mal, dass das eine homosexuelle Veranstaltung ist. Ich hatte tatsächlich nicht gedacht, dass Homophobie oder überhaupt Homosexualität mal zum großen Thema für mich werden würde. Mir ist dann irgendwann aufgefallen, dass sich die Zeiten ändern, und meines Erachtens war da vor zehn Jahren ein Wendepunkt.
In welcher Hinsicht? Man sah uns nicht mehr als Minderheit, die Rechte, Schutz und Sichtbarkeit nötig hat. Stattdessen machte sich in der Gesellschaft das Gefühl breit, dass es jetzt mal genug sei, dass die LGBTI-Community anfangen würde, es zu übertreiben. Das wurde zum neuen Narrativ.
Dein erster Eintrag drehte sich um die queeren Proteste gegen eine Eisdiele in der Schöneberger Maaßenstraße. Ich hatte bis dahin immer in heteronormativen Kontexten gearbeitet und war zum Beispiel Manager des Ex-Boxweltmeisters Henry Maske. Meine heterosexuellen Freunde sagten: „Was hast du denn für ein Problem, es gibt doch keine Diskriminierung mehr. Wir haben alle gelernt.“ Im Laufe der Zeit hatte sich jedoch einiges bei mir angesammelt, wo ich dachte: Da stimmt was nicht! Und dann attackierte in meiner Nachbarschaft in der Maaßenstraße ein Eisdielenwirt ein sich küssendes Lesbenpärchen mit dem Argument, er selber habe ja kein Problem, aber: die Kinder! Das brachte mein Gefühl auf den Punkt, und es wurde zum Motto des Blogs: „Ich habe ja nichts gegen Schwule, aber …“ Schwul deshalb, weil ich zunächst mal über mich geschrieben habe.
Die Aktion machte das Gefühl konkret … Gegen die Eisdiele gab es einen großen Protest im Nollendorfkiez, und der Kolumnist und Journalist Harald Martenstein hat im Tagesspiegel am Tag danach die homosexuellen Protestler*innen als die eigentlichen Aggressor*innen beschrieben, frei nach dem Motto: „Eigentlich haben wir ja nix gegen die, aber die sollen es jetzt mal nicht übertreiben.“ Und alles, worüber wir heute reden, dieses „Man wird ja noch mal sagen dürfen!“, hat meines Erachtens in dieser Zeit angefangen: von den Heteros und weißen Männern in der Opferrolle bis zu den Vorwürfen, es gäbe eine Sprachpolizei. Und auf einmal galten nicht die als mutig, die sich trauen, gegen Diskriminierung aufzustehen, sondern die, die offen andere diskriminierten.
In den zehn Jahren hast du fast die gesamte deutsche Gesellschaft nach diesem Phänomen durchforstet: die Kultur, die Medien, die Politik. Dein letzter Coup war Annegret Kramp-Karrenbauers Fastnachtswitz über das dritte Geschlecht, auf den du als Erster aufmerksam gemacht hast. Die größte Sache daran war in meinen Augen, dass es zuvor zwei Tage lang niemanden interessiert hatte. Und nun denke doch selber mal nach, ob so eine Form der Verächtlichmachung vor zehn Jahren gegenüber einer Minderheit möglich gewesen wäre. Der Trick ist, so zu tun, als ob heute nichts mehr gesagt werden dürfte, dabei ist das Gegenteil der Fall. Es wird immer selbstverständlicher, andere abzuwerten und das immer mit dem Argument, dass man es ja eigentlich nicht mehr darf.
Hat das bei AKK eine neue Qualität erreicht? Sie glaubt offensichtlich, die Mehrheit gar nicht mehr anders erreichen zu können als über die Abwertung von Minderheiten. Ich bin ja alt genug, um zu wissen, dass selbst Franz Josef Strauß eine andere Anstandsgrenze hatte. Der hat viel Schlimmes gemacht und gesagt, aber er hätte zu seiner eigenen Positionierung nicht diesen Knopf gedrückt. Insofern, ja.
War der Witz denn wirklich so schlimm? Es war sicher nicht der schlimmste Witz, der je gemacht wurde. Es waren die Absicht, die sie damit verfolgte, und der anschließende Umgang damit, den sie nach allen Regeln des Rechtspopulismus geführt hat. Und dabei wird sie von der Mehrheitsgesellschaft noch immer als nahbar, liberal und nett wahrgenommen. Das ist wie bei Dieter Nuhr, der seine Abwertungen als Kabarett begreifen will und all jene als schlecht gelaunte „Sprachpolizei“ angreift, die ihm das nicht durchgehen lassen.
Welche Erkenntnisse hast du durch das Bloggen gewonnen? Man sieht ja auf Google Analytics, was gut funktioniert, und das sind oft nicht die Themen, die in Berlin diskutiert werden. Der mit Abstand am meisten geklickte Beitrag der letzten Monate war nicht etwa zu AKK, sondern der über den von Dieter Bohlen gebashten DSDS-Teilnehmer. Junge Leute stehen weiterhin vor Coming-out-Problemen, das erfahre ich auch aus den Mails, die mich erreichen. Unsere Solidarität darf also nicht nachlassen und sie wird auch gesucht. Das schwule oder lesbische Kind hat halt in der Regel keine schwulen oder lesbischen Eltern. Diese Kinder sind noch mal mehr allein als die von anderen Minderheiten. Und die Abwertung ist nach wie vor existenziell.
Wie siehst du den Zustand der Community heute? Ich habe jetzt fast ein Jahr Lesereise mit meinem Buch hinter mir, habe die Community in vielen Städten erlebt und bin vom Zustand dieser Community begeistert. Ich weiß um all die Diskussionen hier in Berlin und das muss auch alles diskutiert werden. Aber meine Erfahrung ist, dass auch im letzten kleinen Kaff verstanden wurde, dass es keine schwule Community mehr gibt, sondern dass es eine queere geben muss. Die junge Generation lebt Identität auf eine andere Art und Weise, und Community war noch nie ein ummauerter Raum, sondern fluide und für jeden etwas anderes. Darum warne ich davor, Community kaputtzureden.
Woran machst du deine Begeisterung fest? Alle haben gesagt, nach der Ehe für alle werde die Luft raus sein und das Gegenteil ist der Fall. Die CSDs sind so groß wie nie. Die Leute haben ein Gefühl dafür, dass sie trotz unterschiedlicher Begehren oder Identitäten zusammengehören, ohne dass sie das wirklich definieren. Die CSDs sind die größte, inklusivste und am besten funktionierende Bürger*innenbewegung der Republik. Was wir als Bewegung auf die Reihe kriegen, ist ein Modell für die Gesellschaft und zwar das Beste, was es in Deutschland gerade gibt.
Das klingt so, als seien die Berliner Diskussionen der letzten Monate völlig überflüssig gewesen. Die Community ist dann zerstritten, wenn es um Geld geht. Das ist zuallererst ein Fehler der Politik, die diese Konflikte provoziert. Natürlich ist es schlimm, wenn der LSVD-BB, um seine Mittel zu sichern, vor allem Männerbund- und Machtpolitik betreibt und dabei knallhart gegen die eigene Community arbeitet. Es ist schlimm, was mit dem Wohnprojekt von RuT passiert ist. Aber daraus ein Sinnbild einer ideologisch zerstrittenen Community zu machen halte ich für falsch und das wird außerhalb Berlins auch nicht verstanden.
Interview: Dirk Ludigs
nollendorfblog.de
Das zehnjährige Bestehen des Nollendorfblogs wird mit einer Community-Gala im Tipi gefeiert mit Talk & Musik. Als Gäste werden u. a. erwartet: Ralf König, Sigrid Grajek, Klaus Lederer, Tessa Ganserer. Special Guest ist Martin Schulz.
10 Jahre Nollendorfblog Gala,
28.05., 20:00, Tipi
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