Interview mit Peter Rehberg

Jenseits hypermaskuliner Normen: Das schwule Männerbild des Butt Magazins

22. Mai 2019

Das Fanzine Butt prägte Anfang der 2000er eine neue Form von Männlichkeit. Peter Rehberg befasst sich in seinem Buch „Hipster Porn" mit deren subversiven und queeren Potential

„Hipster Porn“ heißt das neue Buch von Peter Rehberg, Queerforscher und Archivleiter des Schwulen Museums. Es befasst sich mit dem subversiven Potenzial queerer Männlichkeit, die in den 00er-Jahren vom Magazin Butt in den Blick genommen wurde. Butt prägte einen neuen schwulen Männertyp, der im Gegensatz zu dem cleanen, durchgestylten Männlichkeitsideal der 90er nicht perfekt sein musste. Peter Rehberg wird am 23.05. sein Buch im Schwulen Museum vorstellen. Wir sprachen vorab mit ihm über die neue schwule Männlichkeit des Butt Magazins und welchen Einfluss die Geschichte von HIV und Aids darauf hatte.

Peter, laut deiner These hat Butt ein neues Männerbild mitbegründet. Warum hatte so ein relativ kleines Undergroud-Magazin einen solch großen Einfluss? Bedeutung ermisst sich ja nicht immer an Auflagenstärke und wirtschaftlichem Erfolg. Jop van Bennekom und Gert Jonkers, die beiden holländischen Macher von Butt, gehörten einfach zu den ersten, die Anfang der 2000er verstanden haben, dass das Männerbild unter Schwulen dabei war sich grundlegend zu wandeln.

Was hatte dieses neue Männerbild mit HIV zu tun? Wenn man Butt im Kontext von Pornografie diskutiert, fällt auf, dass die schwule Pornografie der 80er und 90er hauptsächlich auf cleanen Sportsex setzte, wie zum Beispiel bei den US-Porno-Labels Catalina oder Kristen Bjorn. Die normative Sexiness dieser Körper bestand darin, dass sie gesund und maskulin sein sollten, um jede Assoziation mit Krankheit und Tod weit von sich zu weisen. Schwule Pornografie funktionierte also als eine Verdrängungsmaschine gegenüber HIV und Aids. 2001, dem Jahr, in dem das erste Butt-Heft erschien, war diese Verdrängung nicht mehr in der gleichen Weise notwendig. Mit der Einführung der Kombi-Therapie 1996 war HIV nicht länger eine Frage von Leben und Tod. Diese entdramatisierte Haltung gegenüber HIV und Aids zeigte sich in Butt. Die Männer auf den Seiten von Butt müssen nicht mehr auf aufdringliche Weise beweisen, dass sie gesund sind. Vielleicht sind sie positiv, vielleicht sind sie negativ, das ist bei Butt keine entscheidende Frage mehr. Insofern markiert Butt einen „post-Aids“-Moment.

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Angel fotografiert von Luis Venegas, Butt Nr. 13

Welchen Zusammenhang gibt es mit neueren Formen von Pornografie? Seit den frühen 2000ern sind wir online von Amateurpornografie umgeben. Bilder „normaler“ Körper zirkulieren im Netz. Erotisiert wird nicht mehr nur der fantastische Körper des Pornogotts, sondern der erreichbare Körper, der vielleicht irgendwo auf der Welt auch gerade vorm Computer sitzt. Butts Bilder haben viel mit der Ästhetik dieser Formen von digitaler Intimität zu tun.

Worin liegt das subversive Potenzial dieser neuen Form schwuler Männlichkeit? Jede Ästhetik wird irgendwann vermarktet, zur Ware und es lässt sich Geld mit ihr verdienen, so ist es auch mittlerweile mit dem Butt-Stil. Aber das Projekt von Butt richtete sich Anfang der 2000er gegen die hypermaskulinen Normen kommerzieller Pornografie und machte eine Diversität schwuler Männertypen - dicke, dünne, behaarte - sexy.

Was ist daran queer? Das Interessante an Butt ist, dass queer hier nicht als eine Feminisierung des männlichen Körpers gedacht wird. Auf die Männlichkeit der Modelle wird ja durchaus insistiert, z.B. durch die Popularisierung von Bärten, zu der Butt ja auch entschieden beigetragen hat. Ich würde hier eine Unterscheidung einführen, die kompliziert ist und mehr Erklärung bedarf: Die Typen in Butt sind auf jeden Fall männlich, aber nicht unbedingt maskulin. Butt ist neugierig darauf, wozu der männliche Körper in der Lage ist, welche Formen er annehmen kann. Das entspricht oft nicht einem maskulinen Idealbild und ist darin queer.

Du schreibst, dass diese Form der Männlichkeit Positionen der Queer Theory herausfordert. Inwieweit? Das lässt sich nur schwer in zwei Sätzen beantworten, aber hier ist ein Aspekt: Die Held*innen der Queer Theory sind eigentlich die Drag Queen, die Butch Dyke, der trans* Mann oder die trans* Frau. Inszenierungen und Positionierungen von Geschlecht, die häufig die Dissonanz zwischen zugewiesenem Geschlecht und Identität deutlich machen. Damit sind sie im öffentlichen Raum auch sehr verletzbar und sie verdienen jede Solidarität. Für „männliche Schwule“ trifft das nicht in gleicher Weise zu. Sie können oftmals als straight durchgehen, oder sie werden als Schwule akzeptiert, weil sie „Männer“ sind. Das ist ein Privileg und ein Schutz, der anderen Queeren nicht zur Verfügung steht. Und trotzdem gibt es gerade in der schwulen Auseinandersetzung mit Männlichkeit und Maskulinität viel queeres Potenzial, wie eben Butt zeigt. Queer Theory, zumindest jene Autoren und Autorinnen, die in Deutschland viel gelesen werden, beschäftigt sich mit dieser Frage nach queerer Männlichkeit wenig.

Ist dieses Männerbild von Butt heute noch aktuell – Stichwort der Barttyp von nebenan – oder siehst du inzwischen einen beginnenden Wandel? Der Butt-Stil ist hegemonial geworden. Alle wollen so aussehen, und in Neukölln auf der Strasse sehen auch fast alle so aus. Man könnte einfach „Hipster“ dazu sagen, wobei „Hipster“ ja mittlerweile als eine Art Schimpfwort funktioniert. Interessanterweise ist der „Hipster“ immer der andere. Den Bart tragen aber fast alle.

Interview: Carsten Bauhaus

Hipster Porn – Buchpräsentation, 23.05., 19:30, Schwules Museum

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Calvin fotografiert von Andreas Larsson, Butt Nr. 9

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Peter Rehberg vom Schwulen Museum

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