Personenstandsgesetz

Neues Personenstandsgesetz: Handelt das Innenministerium überhaupt rechtmäßig?

17. Apr. 2019 as/fs

Mit Schreiben an Standesämter versucht das BMI, trans* Personen davon abzuhalten, das neue Personenstandsgesetz zu nutzen. Ein fragwürdiges Vorgehen, von dem man sich nicht einschüchtern lassen sollte

Das neue Personenstandsgesetz (§45b) sorgt weiter für Verwirrung. Das Bundesinnenministerium (BMI) schickte letze Woche ein Rundschreiben an Standesämter und übergeordnete Behörden. Darin wurde darauf hingeweisen, dass das Gesetz zur Dritten Option nur von inter Personen genutzt werden dürfe, die „biologisch weder eindeutig dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden“. In dem Schreiben, das auch der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti e. V.) vorliegt, wurden Verfahrenshinweise an Standesbeamt*innen gegeben und behauptet, trans* oder nicht-binäre Personen hätten kein Anrecht darauf, das Gesetz für sich in Anspruch zu nehmen.

Anträge werden bereits abgewiesen

SIEGESSÄULE ist ein Fall vom Dienstag bekannt, bei dem eine Antragstellerin, die ihren Personenstand von „männlich“ auf „weiblich“ ändern lassen wollte, von einem Berliner Standesamt abgewiesen wurde. Die Beamt*innen hätten ihr empfohlen, sich direkt an das Amtsgericht zu wenden. Der dgti liegen aus Hessen schon einige Anträge vor, die auf Eis liegen. In Rheinland-Pfalz wurde ein Fall bereits an ein Amtsgericht weitergeleitet. Durch die Vorgehensweise des Innenministeriums ist eine Situation entstanden, in der Beamt*innen sich anscheinend nicht mehr anders zu helfen wissen, als Antragsteller*innen zu raten, die Behörden zu verklagen.

Wie funktioniert die Personenstandsänderung nach dem neuen Gesetz?

Wie konnte es dazu kommen? Trotz gegensätzlicher Vorankündigungen hatte der Gesetzgeber Anfang des Jahres ein Personenstandsgesetz verabschiedet, dass es trans* Personen ermöglicht, auf unkomplizierte Weise ihren Namen und ihren Geschlechtseintrag ändern zu lassen. Und zwar nicht nur auf den neuen Geschlechtseintrag „divers“, sondern auch von „weiblich“ zu „männlich“ oder umgekehrt. Letzteres war bisher nur auf Grundlage des geltenden Transsexuellengesetzes (TSG) möglich, das eine teure, zeitaufwendige und von vielen trans* Personen als erniedrigend empfundene psychologische Begutachtung vorschreibt.

Nach dem neuen Personenstandsgesetz ist nun lediglich eine ärztliche Bescheinigung notwendig, dass bei der betreffenden Person eine „Variante der Geschlechtsentwicklung“ vorliegt. Die Krux dabei: im Wortlaut des Gesetzestextes findet sich keine Definition, was genau darunter zu verstehen sei. Die Entscheidung, was eine „Variante der Geschlechtsentwicklung“ ist, obliege der Auslegung der jeweils behandelnden Ärzt*innen, befinden Communityverbände wie die dgti. Hat man eine solche Bescheinigung erhalten, könne man direkt zum Standesamt gehen und den Personenstand umtragen lassen.

Innenministerium will Verbesserung für trans* Personen nicht zulassen

Dieses Vorgehen, das eine enorme Verbesserung gerade für trans* Personen bedeutet, möchte das BMI jetzt gerne unterbinden. Auf Anfrage von SIEGESSÄULE hieß es aus der Pressestelle des Ministeriums: „Es ist eindeutig, dass die in Kraft getretene Neuregelung ausdrücklich nicht für transsexuelle Menschen gilt. Transsexuelle haben nämlich ein eindeutiges biologisches Geschlecht, fühlen sich aber nicht dem Geschlecht zugehörig, das bei der Geburt im Geburtenregister eingetragen wurde. Für transsexuelle Menschen sind nach wie vor die Regeln des Transsexuellengesetzes maßgeblich.“

Laut dem Ministerium sei genau festgelegt, was zur Verwendung des Gesetzes zur „Dritten Option“ berechtige: „Wann eine Variante der Geschlechtsentwicklung vorliegt, wurde bei der Konsensuskonferenz in Chicago 2005 international festgelegt. Die Definition erfasst nur intersexuelle Menschen, bei denen die Geschlechtschromosomen, das Genitale oder die Gonaden inkongruent sind. Nur in diesen Fällen kann der Arzt nach dieser international gültigen Definition das Vorliegen einer Variante der Geschlechtsentwicklung bescheinigen.“ Wenn ein Arzt oder eine Ärztin sich daran nicht halte und beispielsweise trans* Personen eine Bescheinigung ausstelle, könne dies dem BMI zufolge „unter Umständen den Tatbestand des Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse nach § 278 des Strafgesetzbuches erfüllen“.

Drohung gegen Ärzt*innen

Doch die Sachlage ist keineswegs so eindeutig, wie das BMI dies darstellt. Viel mehr scheint hier ein Drohszenario aufgebaut zu werden, um Antragsteller*innen und Ärzt*innen einzuschüchtern.

So widerspricht etwa Jerzy Szczesny, Grünen-Referent für Antidiskriminierungs- und Gesellschaftspolitik, der die Entstehung des neuen Personenstandsgesetzes kritisch begleitet hat, den Aussagen des BMI. Die Definition nach der Chicago-Konferenz von 2005, auf die das Ministerium sich bezieht, sei längst überholt: „In der Begründung des Gesetzes wurde auf eine veraltete wissenschaftliche Definition Bezug genommen. Ärzt*innen müssen sich hingegen beim Ausstellen des Attests über Vorliegen einer Variante der Geschlechtsentwicklung auf den aktuellen Forschungsstand berufen. Insofern liegt von ärztlicher Seite kein strafrechtlich relevantes Delikt vor, wenn sie aufgrund von Selbstauskunft ein entsprechendes Attest ausstellen. Hier hat das Innenministerium seinen Fehler bemerkt und versucht, die Auswirkungen des Gesetzes mit Drohungen gegenüber Ärzt*innen zu begrenzen.“

Die eingeschränkte Definition nach der Chicago-Konferenz widerspreche außerdem der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zur „Dritten Option“ von 2017. Darin nämlich wurde auch die subjektive Dimension von Geschlecht betont. „Wenn man dieses Gesetz verfassungskonform lesen möchte, dann hängt die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht nicht allein von den Geschlechtsmerkmalen bei der Geburt ab, sondern im Wesentlichen davon, welchem Geschlecht sich eine Person zugehörig empfindet,“ so Szczesny. „Daher kann eine Person behaupten, bei ihr liege eine Variante der Geschlechtsentwicklung vor – und ein Arzt hat keine Instrumente, um das zu überprüfen.“  Ärtz*innen haben also gar keine Möglichkeit, etwas Gegenteiliges zu bestimmen.

Antragsteller*innen machen sich nicht strafbar

Ganz wichtig sei auch: Entgegen einiger Gerüchte, die momentan im Netz gestreut werden, machen sich Antragsteller*innen ebensowenig strafbar wie Ärzt*innen. „Wenn sie beim Arzt versichern, dass sie eine Variante der Geschlechtsentwicklung haben, kann dem grundsätzlich niemand widersprechen.“


Julia Monro von der dgti sieht das ähnlich: „Hätten sie Transsexualität in dem Gesetzestext explizit ausgeschlossen, wäre das verfassungswidrig.“ Auch für sie ist die Rechtslage hier eindeutig: „Variante der Geschlechtentwicklung ist kein definierter Rechtsbegriff. Da kann sich jetzt keiner darauf berufen und sagen: da zählt nur das oder das dazu."

Innenministerium kann das Gesetz nicht außer Kraft setzen

Wie absurd die Situation ist, zeigt ein aktueller Fall aus Leipzig: „Ein trans* Pärchen ist zusammen zum Standesamt gegangen – ein Antrag ging durch, ein paar Tage später reichte man auch für die zweite Person ein Attest ein und dann hieß es plötzlich, das Verfahren werde erstmal 'vorübergehend ausgesetzt'. Obwohl die Vorgehensweise der beiden Antragsteller*innen vollkommen identisch war.“ Mittlerweile haben aber beide ihre neue Urkunde erhalten. Denn ein Gesetz einfach außer Kraft setzen – das dürfe auch nicht das Innenministerium, sagt Monro.


Nach §2 des Personenstandsgesetzes sind Standesbeamt*innen an keine Weisung gebunden. Das Schreiben des BMI an die Behörden beurteilt Monro als „sehr hilflosen Versuch, die Situation kontrollieren zu wollen. Das BMI bewertet einen Menschen noch immer anhand vermeintlicher medizinischer Kriterien. Das muss ein Ende finden. Ich wünsche mir, dass Trans- und Interverbände nun näher zusammenrücken, um für mehr Selbstbestimmung zu werben. Kein Mensch sollte sein Geschlecht beweisen müssen.“

Standesamt muss den Personenstand ändern

„Wenn eine Person mit dem Attest zum Standesamt geht, dann muss das Amt den Personenstand ändern“, betont ebenso Szczesny. „Der Gesetzgeber hat in der Gesetzesbegründung ausdrücklich klargestellt, dass die Ärzt*innen ihre Diagnose nicht zu begründen brauchen. Daher dürfen Standesbeamt*innen weder nach Diagnose noch nach Geschlechtsidentität fragen. Es reicht eine einfache ärztliche Bescheinigung, wonach eine Variante der Geschlechtsentwicklung vorliegt. Die Beamt*innen des Standesamtes können also gar nicht erkennen, ob es sich bei der jeweiligen Person beispielsweise um eine inter* oder um eine trans* Person handelt.“ Sollten Behörden Anträge ablehnen, nicht bearbeiten oder Fristen nicht einhalten, empfehle er, das Amtsgericht zu kontaktieren.

Auf politischer Ebene sei die Taktik der Grünen-Fraktion, erst einmal abzuwarten, wie sich die Situation in Bezug auf das BMI und die Landesverwaltungsämter entwickelt. Sollte das Ministerium weiterhin versuchen, eine Nutzung des Gesetzes zur „Dritten Option“ durch trans* Personen zu unterbinden, werde man reagieren: „Sollten sie im Widerspruch zum Bundesverfassungsgericht die Praxis ändern wollen, werden wir mit verschiedenen parlamentarischen Instrumenten dagegen halten.“

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