Appell an Berliner Clubs: Schafft mehr Platz für politischen Drag!
SIEGESSÄULE-Kolumnistin Doris Belmont fragt sich: Gibt es in der derzeitigen Berliner Dragszene zu wenig Interesse an Politik? Und ist daran „RuPaul`s Drag Race“ schuld?
„Hey, du siehst ja aus wie Alaska Thunderfuck!“, „Hast du das Kleid selbst genäht? Als Drag Queen musst du doch sowas können?!“ – Mit derlei Aussagen wird man dieser Tage gerne vom Partyvolk malträtiert. Befeuert werden sie durch das einflussreiche Erfolgsformat „RuPaul`s Drag Race“. Seit die Reality-Show den Mainstream erobert hat, muss eine Person mit Schminke im Gesicht beim Publikum anscheinend Rede und Antwort für ihre Aufmachung stehen.
Prägten vor noch nicht mal 10 Jahren Berlins Trümmertunten große Teile der Berliner Polit- und Partyszene, tauchen inzwischen vermehrt kleine Beautyqueens mit geradezu artistischem Anspruch in den einschlägigen Lokalen der Stadt auf. Zusammengehalten mit Heißklebepistole, Nähmaschinengarn und erstaunlich guten Schminkfähigkeiten vermögen die immer jünger werdenden Tunten und Drags, ihr Publikum zu beeindrucken. Doch verdrängt dieser neue Mainstream die Politik aus der Berliner Tunte?
Klar, Beautyqueens sind keine neue Erfindung. Doch der zunehmende Wunsch nach Ästhetisierung in der Szene ist nicht zuletzt der Beliebtheit von „RuPaul's Drag Race" geschuldet. Zunächst ist positiv festzuhalten, dass durch den aktuellen Zeitgeist sich viele junge Menschen inspiriert fühlen, eine Drag-Persona zu kreieren und diese auch auszuleben. Problematisch hingegen wird es, wenn sich, bedingt durch das zunehmend ästhetisierte Bild von Drag, ein mangelndes Politikinteresse breit macht. Eine Reduzierung auf Show – und das bedeutet: weniger Inhalt – konnte nicht zuletzt auch im SchwuZ beobachtet werden. Bot die „Polymorphia“ noch Raum für politische und durchaus kontroverse Diskussionen, startete die Nachfolgeshow „Schangelig“ ohne politischen Vortrag im Konzept ins Rennen.
Wenn Räume zunehmend keinen Platz mehr für Kontroversen bieten, bleibt nur noch die Flucht in seichtere Gefilde. Aus meiner Sicht ist dabei aber nicht „RuPaul's Drag Race“ das Problem – zumal einige der Kandidatinnen durchaus politische Themen in die Serie eingebracht haben. Viel mehr sehe ich Berliner Clubs und Veranstalter*innen in der direkten Verantwortung. Dass die Fassade heute oftmals wichtiger geworden zu sein scheint als der Inhalt, ist ein nicht ganz unbegründeter Vorwurf.
Es gibt leider immer weniger Möglichkeiten in der Stadt, um mit Drag politisch zu sein. Die Historie der Berliner (Polit)-Tunten war selten unkontrovers. Sie sollte nicht durch kitschige Rückblicke verwässert oder auf ihre Showpräsenz reduziert werden. Stattdessen sollte sie weiterhin durch aneckende und unbequeme Tunten*veranstaltungen gelebt und gefeiert werden!
Doris Belmont
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