Bewegungsmelder

Lasst ihn singen – und redet mit ihm!

8. Feb. 2019
Dirk Ludigs © Tanja Schnitzler

Der Kölner CSD will einen Auftritt des jamaikanischen Musikers Buju Banton auf dem Summerjam Festival verhindern. Kolumnist Dirk Ludigs hält das für einen Fehler und findet, es Zeit für eine neue Strategie im Umgang mit Homophobie in der Dancehallszene

Um es gleich vorweg zu sagen: Für Homo- und Transphobie gibt es keine Entschuldigung, nirgendwo auf der Welt. Und Songtexte wie das berüchtigte „Boom Bye Bye“ des umstrittenen Dancehall-Künstlers Buju Banton sind menschenverachtend. Sie haben jede Menge Leid und Gewalt erzeugt und sollen am besten nie wieder erklingen. Darauf einige ich mich gerne und sofort.

Trotzdem bin ich gegen die Forderung des Cologne Pride, Buju Banton vom gleichzeitig mit dem Kölner CSD stattfindenden Summerjam Festival wieder auszuladen. Nicht, weil ich glaube, dass seine 31 Jahre alten Textzeilen mittlerweile verjährt seien. Schon gar nicht, weil ich sie entschuldige. Oder weil ich wüsste, dass Buju Banton ein anderer geworden ist. Das weiß nach Lage der Dinge niemand außer Buju Banton selbst – und der hat sich seit seiner Entlassung aus amerikanischer Haft im Dezember 2018 nicht zu dem Thema geäußert.

Aber etwas anderes ist passiert. In den acht Jahren, seit Buju Banton im Juni 2011 wegen eines Kokain-Deals in den Knast wanderte, haben sich die Dancehall-Szene und die Umstände in Jamaika und anderen karibischen Staaten verändert – und darum wird es Zeit, dass auch weiße Queer-Aktivist*innen im Westen ihren Blick ändern und in der Zukunft mit neuen Strategien auf diese Entwicklungen reagieren.

Im Ernst: Der jahrzehntelange Boykott homophober Dancehall-Musik hat ja nie den durchschlagenden Erfolg gebracht, den die queere Bewegung im Westen sich mal erhofft hatte. Sicher, die regelmäßigen Auftrittsverbote, die seit den späten Neunzigern auf Künstler wie Buju, Beenie Man, Sizzla, Elephant Man oder Bounty Killer niederprasselten, führten zu schmerzhaften finanziellen Einbußen und trugen zu einem deutlichen Rückgang homophober Texte in der Dancehall-Szene bei.

Doch alle Versuche, vor allem in den Jahren 2004 bis 2009, die Künstler öffentlich auf eine queerfreundliche Linie zu bringen, führten zu allenfalls kurzfristigen und zweifelhaften Erfolgen. Der „Reggae Compassionate Act“ aus dem Jahr 2007 zum Beispiel wurde zwar von einer Reihe von Künstlern (ungegendert, weil alle Männer) unterzeichnet, aber noch im gleichen Jahr von mehreren der Unterzeichner wieder gebrochen. Buju Banton hat „Boom Bye Bye“ immerhin seit 2009 nicht mehr öffentlich aufgeführt.

Gleichzeitig aber führte die Boykott-Politik der queeren Verbände zu einer Solidarisierung in Jamaika und anderen Staaten der Karibik mit Buju Banton und anderen Künstlern. Je größer der Druck auf die Dancehallmusiker wurde, umso mehr sahen Schwarze Menschen in der Karibik sie als Opfer einer von Weißen initiierten Kampagne, mit dem Ziel, Schwarze Stimmen mundtot zu machen.

Denn auch wenn jedes Kind in Kingston die Zeilen von „Boom Bye Bye“ kennt: Der Song macht bei weitem nicht aus, wofür Dancehall und Reggae im Allgemeinen, vor allem aber Bantons Name in Jamaika und überall in der Karibik stehen. Banton singt vor allem gegen Armut und Ungerechtigkeit und – paradoxerweise – gegen die überall präsente Gewalt. Er gibt marginalisierten Menschen eine Stimme und viele sehen in ihm, ob queere Aktivist*innen im Westen das mögen oder nicht, den wichtigsten Künstler des Inselstaats seit Bob Marley.

Die in New York lebende und aus Jamaika stammende lesbische Dichterin und Aktivistin Staceyanne Chin hat im Dezember kurz nach Bantons Haftentlassung in einem Radiointerview ihre eigene Zerrissenheit geschildert: „Ich befinde mich an einem sehr unkomfortablen Ort, denn ich habe mehr als eine Identität. Ich bin mit Reggae aufgewachsen und etwas in mir reagiert zutiefst auf diese Musik. Gleichzeitig habe ich als Lesbe sehr viel Gewalt erlebt. Diese zwei Dinge in mir befinden sich ständig im Krieg miteinander.“

Ein schwuler jamaikanischer Freund erklärte es mir so: „Buju spricht für eine Menge Jamaikaner*innen. Nicht er hat ihnen eine Stimme gegeben, sondern sie haben ihm eine Stimme gegeben. Das wollen die Menschen im Westen oft nicht verstehen.“ Dazu kommt: In den letzten Jahren hat auch Jamaika begonnen, sich langsam zu verändern. Eine neue Generation queerer Aktivist*innen ist am Start, es gibt kleine Fortschritte, wie einen regelmäßigen Gay Pride und Dancehall ist insgesamt weniger homophob geworden, was auch damit zu tun hat, dass mehr und mehr Frauen das Genre erobern.

In diesem sich verändernden Klima täten weiße Vertreter*innen der Queer-Bewegung in Europa gut daran, sich stärker als Unterstützende ihrer Kolleg*innen aus Jamaika und anderen Staaten der Karibik zu begreifen denn als queere Weltpolizei, den Stimmen vor Ort mehr Gehör zu schenken und darauf zu achten, wie ihre wohlmeinenden Aktionen dort ankommen, wo sie Veränderung erreichen wollen.

Die Politik queerer Verbände von J-FLAG in Jamaica über B-GLAD in Barbados bis zu LGBTI-Aktivist*innen auf den Bahamas ist ziemlich eindeutig: Die übergroße Mehrheit der Aktivist*innen vor Ort sprechen sich dafür aus, dass Buju Banton bei seiner im März beginnenden „Long Walk To Freedom“-Tour in ihren Ländern auftreten darf, so lange er „Boom Bye Bye“ nicht singt. Sie akzeptieren seine herausragende Bedeutung als Stimme gegen Armut und Ungerechtigkeit und fordern ihn gleichzeitig auf, sich gegen Homo- und Transphobie auszusprechen und sich mit ihnen an einen Tisch zu setzen.

Ich glaube, es ist richtig, auf diese queeren Stimmen zu hören und es ihnen gleich zu tun. Ein Auftrittsverbot in Köln oder anderswo fördert nur Bujus Rolle als Märtyrer im Kampf gegen Kolonisierung und Rassismus. In der jetzigen Situation der allmählichen Veränderung hin zum besseren für die queere Community in Jamaika hilft ein von westlichen weißen Aktivist*innen durchgedrücktes Auftrittsverbot nicht, im Gegenteil. Die queere Szene im Westen kann sich auf die Schulter klopfen, aber für queere Menschen in Jamaika oder anderen Staaten der Karibik hat sie damit noch nichts getan. Ein Auftrittsverbot adressiert das Symptom, nicht dessen Ursache.

Mein schwuler jamaikanischer Freund sagt es so: „Wir wollen die Dinge verändern und ich bin sehr für Konsequenzen, denn sie sind wichtig für Veränderung. Aber radikale Antworten erlauben keine Evolution, sie treiben die Gefühle nur in den Untergrund, wo sie sich weiter verstärken.“

Also: Lasst Buju Banton spielen, aber fordert ihn gleichzeitig weiter auf, das Thema anzusprechen, sich zu artikulieren. Denn auch sein Schweigen fördert das Narrativ in seinem Heimatland, im Westen sei eine queere weiße Mafia am Werk, die Schwarze Stimmen zum Schweigen bringen wolle. Die queere Community hat eine stärkere Position, wenn sie ihn singen und sprechen lässt, denn nur dann wird sich zeigen, ob er es ernst meint – oder ob er nur auf den Druck reagiert.

Dirk Ludigs

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