Bewegungsmelder

Nein, meine LSBTTIQ*+-Suppe ess‘ ich nicht!

18. Jan. 2019
Dirk Ludigs © Tanja Schnitzler

Unser Kolumnist Dirk Ludigs hat einen Vorsatz für 2019: Er wird nicht länger Buchstabenungetüme schreiben. Denn er hat längst ein Wort dafür.

Wie alle vernünftigen Menschen habe ich mir fürs neue Jahr drei gute Vorsätze gemacht. Natürlich drei, denn wie alle Facebook-Statistiken belegen, scheitern zwei Drittel aller Vorsätze schon im Januar. Bleibt also einer übrig, um nicht schon ab Februar in ein Gefühl der Sinnlosigkeit zu fallen.

Vorsatz Nummer eins, künftig alle Texte fristgerecht zu liefern, war natürlich von vorneherein zum Scheitern verurteilt, denn pünktlich liefernde Autor*innen hat die Natur einfach nicht vorgesehen. Vorsatz zwei, künftig mindestens dreimal pro Woche zum Sport zu gehen, hat heute sein vorzeitiges Ende gefunden, weil ich natürlich stattdessen diese verdammt überfällige Kolumne schreiben muss.

Vorsatz Nummer drei aber steht und lautet: Kombinationen aus den Buchstaben L, S oder G, B, T, I, Q und/oder A, einfach oder mehrfach, mit oder ohne Asterisk oder Plus-Zeichen und/oder weiteren künftigen, derzeit noch nicht absehbaren Buchstaben kommen ab 2019 in meinen Texten nicht mehr vor.

Ich bin die Buchstabensuppe leid und ich habe Gründe. Dazu gleich. Vor allem aber: Es gibt längst ein Wort dafür und warum nicht ein schönes Wort benutzen, statt eines unaussprechlichen Haufens aus Buchstaben und Sonderzeichen.

Grund eins: Keine Buchstabenkombination kann jemals der Wirklichkeit gerecht werden. Sexualität, Geschlecht und Körper sind so vielfältig und fluide und kulturell geprägt, dass jeden Morgen eine neue Identität wach werden kann, die zu Recht das Gefühl hat, der Buchstabenzug sei ohne sie abgefahren. Da helfen auch alle Sternchen nichts, denn mitgemeint ist eben nicht mitgemacht. Das zentrale und ehrenwerte Motiv der Buchstabensuppe, alle mitzunehmen, ist mit Buchstabensuppen nicht zu machen.

Grund zwei: Die Buchstabensuppe bleibt künstlich, sie stellt keine emotionale Beziehung her. Ich kann schwul sein oder lesbisch oder trans – und damit verbindet sich immer auch ein Lebensgefühl. Eine Reihung von Großbuchstaben bleibt hingegen so seelenlos, wie sie unaussprechlich bleibt. Sie meint vielleicht eine Koalition, aber sie meint niemals mich.

Grund drei: Keines der Buchstabenmonster hat je geschafft, wofür sie mal erfunden wurden: einen Geist der Gemeinschaft im Kampf gegen die Diskriminierungen durch eine Mehrheitsgesellschaft zu wecken. Viel mehr führt ihr fröhliches Wuchern und Wachsen zu einem zunehmend lähmenden Gefühl der Zersplitterung. Wie soll ich mich zu etwas zugehörig fühlen, das mich nicht einmal anständig benennen kann? Listen schließen nun mal explizit aus, was sie nicht explizit einschließen. Darum wird das Buchstabenmonster ja auch immer länger.

Grund vier: Es ist eben jenes Gefühl von Zersplitterung und Ausschließeritis, das bei vielen ein größer werdendes Unbehagen an zeitgenössischer Identitätspolitik nährt. Die Buchstabensuppe macht es Gegner*innen und Skeptiker*innen viel zu leicht zu behaupten, es gehe nicht um gleiche Rechte, sondern um spezielle, um Sonderrechte.

Grund fünf: Die Buchstabensuppe ist voller innerer Widersprüche, denn sie vermengt, da gebe ich dem australischen Professor Dennis Altman Recht, so unterschiedliche Phänomene wie Körper, Identität, Begehren und Verhalten. Schwul beharrt zum Beispiel per Definition auf genau jener Bipolarität von Geschlecht, die trans oder non-binary bewusst in Frage stellen. Kurz: Die Buchstabensuppe ist das Gegenteil von gut gemacht. Sie ist gut gemeint. Sie hatte ihre Zeit, sie ist das unvollkommene Ergebnis eines unvollkommenen politischen Prozesses, in dem die geschlechtlichen und sexuellen Minderheiten sich selbst, sich gegenseitig und ihres gemeinsamen Gegenteils bewusst wurden: der gesellschaftlichen Norm, die bis heute aus zwei deutlich unterschiedenen Geschlechtern besteht, die sich ausschließlich gegenseitig anzuziehen haben.

Für alle, die von dieser Norm irgendwie abweichen, gibt es spätestens seit den Neunzigern ein schönes, einfaches Wort und das heißt „queer“. Queer ersetzt keinen der Buchstaben, dafür aber alle. Wir alle können unter dem Mantel des Queerseins weiterhin fröhlich sein, was wir wollen: schwul, lesbisch, trans, bisexuell, inter, non-binary, queer oder ein Einhorn. Farbig ersetzt ja auch nicht blau, rosa oder mauve. Es ist lediglich, wie alle Fernsehenden wissen, das Gegenteil von Schwarzweiß. Queer löst zudem alle oben beschriebenen Probleme der Buchstabensuppe: Weil es nichts aufzählt, schließt es auch nichts aus. Queer steht für ein Gefühl des Andersseins, wie ein Buchstabenlindwurm das niemals kann. Queer erzeugt Gemeinschaft nach innen, weil es nicht diskriminiert. Und nach außen, weil es als Gemeinschaft wahrnehmbar macht. Queer erlaubt die inneren Widersprüche, denn als Sammelbegriff dessen, was anders ist als die Norm, entzieht es sich selbst einer allzu genauen Definition.

Manche mögen den Begriff nicht, weil er ihnen zu radikal ist. Das war „schwul“ auch einmal. Die Mitglieder der „Internationalen Homophilen Weltorganisation“ – kein Witz! – haben in den Sechzigerjahren so vehement wie vergeblich gegen „schwul“ gekämpft. Manche mögen „queer“ nicht, weil sie Queer Theory ablehnen. Aber das Wort ist älter als die Theorie. Und ich muss mich der Theorie nicht verpflichtet fühlen, um „queer“ zu sein, auch wenn ich es natürlich darf.

Letzten Monat habe ich dafür plädiert, unsere Institutionen zu queeren. Ab sofort fange ich damit an, meine Texte zu queeren. Natürlich schreibe ich weiterhin schwul, wenn es um Schwules geht. Aber wenn es um L,S,B,T… kurz: um uns alle geht, die wir als abweichend von der Sexual- und Geschlechternorm wahrgenommen werden, dann schreibe ich künftig nur noch das Wort, das eben genau das bedeutet, was wir alle gemeinsam sind.

Es ist der eine Vorsatz, der den Januar überleben wird.

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