Queere Sexclubs: Wie geht es weiter?
Kontrollen, Auflagen, hohe Mieten: Viele queere Institutionen und Sexorte in Berlin kämpfen aktuell um ihre Existenz. Sind unsere Freiräume in Gefahr? Wir haben bei Clubbetreibern und bei der Politik nachgefragt
Berlin steht für Freiheit, Hedonismus, Vielfalt, Sex. Als ich 2014 aus der Provinz hierherzog, war ich fasziniert von dem, was die Stadt zu bieten hatte. Das Tom’s in der Motzstraße war die erste Bar, die ich hier betrat, deren Darkroom der erste, den ich je erleben durfte. Hier wurden auch, wie schon Dirk Ludigs für SIEGESSÄULE schrieb, in Zeiten der Berliner Mauer Razzien der amerikanischen Militärpolizei durchgeführt. Die Barkeeper versteckten dann die schwulen und bisexuellen US-Soldaten, die das Tom’s besuchten, im Darkroom.
Queere Hauptstadt ohne queere Räume?
Dies ist nur ein Beispiel staatlicher und polizeilicher Gewalt gegen Queers, die auch in Berlin lange spürbar war. Kurz nach Entschärfung des Paragrafen 175 flammte die Homophobie während der Aids-Krise wieder stärker auf. Heute wird Berlin als eine der sexuellsten Städte der Welt und als Europas queere Hauptstadt gefeiert.
Nun aber sehen viele diese Freiheit wieder in Gefahr. Spürbar ist nicht nur, dass queere Bars in Berlin es immer schwerer haben – zum Jahreswechsel muss die schwule Traditionsbar Hafen in Schöneberg ihre Schlüssel abgeben, da sie ihren Mietvertrag nicht verlängert bekam (SIEGESSÄULE berichtete). Auch mehrere queere Sexräume mussten 2017 bereits vorübergehend schließen. Das Tom’s und die Scheune im Nollendorfkiez mussten ihre Darkrooms zeitweilig sperren. Das CDL hat im letzten Sommer endgültig zugemacht.
Besonders stark kämpfen nichtkommerzielle Räume und Vereine, die oft über ein geringes Budget verfügen und auf ehrenamtlichem Engagement basieren. Wie zum Beispiel der queere BDSM-Sexclub Quälgeist: zu Beginn 2018 musste der seinen langjährigen Standort am Mehringdamm verlassen, weil der Vermieter dort Eigentumswohnungen einrichten will. Kurz nach der Wiedereröffnung in der neuen Location in Alt-Mariendorf musste der Verein seinen Betrieb auch schon wieder einstellen (SIEGESSÄULE berichtete). Grund: noch ausstehende Genehmigungen der Ämter.
Bürokratischer Irrsinn
Zum Teil wurden diese auch deshalb nötig, weil die Behörden in Tempelhof-Schöneberg, anders als die in Kreuzberg, die bisher für den Quälgeist zuständig waren, den Raum nicht mehr als Vereinsheim einstufen, erzählt Alexander Schmitt vom Vorstand des Quälgeist Berlin e. V. „Wir werden nun wahrscheinlich als Gast- oder Vergnügungsstätte klassifiziert.“ Dies würde mit neuen Auflagen, etwa bezüglich der Anzahl der Toiletten, einhergehen. Auch ist nicht klar, ob eine „Vergnügungsstätte“ an diesem Standort überhaupt zulässig ist. Ob und wann der Quälgeist wieder öffnen kann, ist demnach ungewiss.
Ähnlich geht es aktuell dem schwulen BDSM-Verein Böse Buben: Er darf seine Räume weitere drei Jahre nutzen, muss dafür aber neue Auflagen erfüllen, die mit hohen Kosten verbunden sind (SIEGESSÄULE berichtete). Dazu gehört der Einbau eines barrierefreien WCs. Mitte November fand dann im schwulen Sexclub Ajpnia eine Kontrolle durch die Bau- und Gewerbämter statt – begleitet von Polizist*innen in voller Montur und mitten während einer Sexparty. Das Vorgehen löste einen Aufschrei in der Szene aus, fühlten einige sich doch an die dunklen Zeiten erinnert, als Razzien in der LGBTI-Szene zum Alltag gehörten. Warum dieser plötzliche Feldzug gegen queere Sexorte?
Der Steam Works-Brand und seine Folgen
2017 kam es zu einem Brand in der schwulen Sauna Steam Works in Schöneberg, bei dem drei Menschen ums Leben kamen. Wie sich herausstellte, wurde die Sauna ohne Genehmigung des Bauamts umgebaut, ein zweiter, gesetzlich vorgeschriebener Rettungsweg fehlte. Daraufhin wurden die Kontrollen in ähnlichen Räumlichkeiten im Kiez durch das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg verschärft, auch aufgrund anonymer Hinweise, wie uns der Bezirksstadtrat und Leiter der Abteilung Stadtentwicklung und Bauen, Jörn Oltmann, erklärt. „Als Betreiber muss ich mir meiner Verantwortung bewusst sein. Mein Eindruck ist, dass manche der Meinung sind, sie könnten ihren Betrieb einfach mal aufmachen, ohne sich mit dem Bau- und dem Planungsrecht auseinanderzusetzen.” Die NutzerInnen dieser Räume müssten sich darauf verlassen können, dass etwa Rettungswege vorhanden sind.
In diesem Punkt stimmt ihm Carsten Schatz zu. Der schwule Politiker sitzt für Die Linke im Berliner Abgeordnetenhaus. „Brandschutz hat etwas mit Sicherheit zu tun!“, sagt er gegenüber SIEGESSÄULE. „Ich möchte nicht, dass sich so etwas wie in der Steam Works Sauna wiederholt.” Darüber hinaus gehe es bei einigen der Auflagen um Inklusion, denn auch Menschen mit Behinderungen sollten Zugang zu allen Räumen haben. „Das Ajpnia zum Beispiel ist ja ein sehr inklusiver Club. Da sind auch viele Rollstuhlfahrende, um dort Sex zu haben. Und das ist gut so.”
Anfang eines Rollback?
Nicht alle Hürden, mit denen queere Sexräume in Berlin kämpfen, lassen sich aber über die Erfordernisse des Brandschutzes oder der Inklusion erklären. Die Probleme sind viel diverser. So wie beim Quälgeist, der als „Vergnügungsstätte“ ähnlichen Regeln zu entsprechen hätte wie große, gewinnorientierte Betriebe. Oft wirken die Vorgaben, die die Clubs erfüllen müssen, auch wenig durchdacht. Beim Ajpnia wurde unter anderem bemängelt, dass das Jugendschutzgesetz nicht ausliege, obwohl Personen unter 18 Jahren dort ohnehin keinen Zugang haben. „Aufgrund unseres Treppenhauses sind wir leider nicht barrierefrei, auch nicht mit einem rollstuhlgerechten WC“, sagt Martin vom Vorstand des Böse Buben über den vom Amt geforderten Umbau, der sich außerdem für ihren Verein vielleicht gar nicht lohnt – denn was nach den drei Jahren passiert, ist ungewiss. Sollten die Bebauungspläne dann vorsehen, an ihrem Standort Wohnraum zu schaffen, müssten sie ebenfalls schließen.
Er verstehe, dass es wichtig ist, gewisse Auflagen zu erfüllen, sagt Martin. Dennoch sorgt er sich: „Wo ist sie denn hin, die viel gepriesene Toleranz? Ich beobachte die Situation seit Jahren. Und ich glaube, das ist der Anfang vom Rollback. Wenn wir das durchgehen lassen, dann kommt die große Welle erst noch nach.”
Frank und Peter vom Ajpnia-Vorstand betonen gegenüber SIEGESSÄULE, dass sie immer darum bemüht seien, die Gesetze hundertprozentig einzuhalten. „Im September 2016 war ja schon mal jemand vom Bezirksamt zur Kontrolle bei uns. Wir haben danach nie wieder etwas von ihnen gehört und wiegten uns in Sicherheit.” Nun hängen sie in der Schwebe, denn etwas Offizielles haben sie auch nach der jüngsten Kontrolle nicht gehört. Ihr Verdacht: „Es drängt sich ein wenig die Vermutung auf, Schöneberg soll ,schöner’ werden.”
Dies streitet Oltmann vom Bezirksamt ab. Schließlich seien nur fünf Prozent der derzeit im Kiez geprüften Räumlichkeiten der queeren Szene zuzuordnen. Gespräche, zum Beispiel mit dem Tom’s, hätten in der Vergangenheit schon zu positiven Ergebnissen geführt, beanstandete Mängel wurden bereits teilweise beseitigt. Darüber hinaus sei gemeinsam mit dem schwulen Anti-Gewalt-Projekt Maneo bald eine Gesprächsrunde mit Clubbetreibenden geplant.
Verantwortung auch bei der Politik
Carsten Schatz sieht dagegen durchaus auch strukturelle Probleme, die in den Verantwortungsbereich der Politik fallen – wenn etwa die Einstufung queerer Sexräume als „Vergnügungsstätten“ jetzt die Regel werden würde, sagt er, würde das Berlin „dramatisch verändern“. Denn Vergnügungsstätten sind vor allem in sogenannten Misch- und urbanen Gebieten vorgesehen. In Industriegebieten wie dem, in dem sich der Quälgeist befindet, können sie nur mit Ausnahmeregelung existieren, in sogenannten Wohngebieten, „und das könnte das Ajpnia treffen“, wären sie gar nicht zulässig. Das müsse man sich deshalb auf stadtpolitischer Ebene sehr genau ansehen. Und auch die Ämter müssten bei der Umsetzung und Anwendung von Regeln jeden verfügbaren Spielraum, den die bestehenden Gesetze bieten, nutzen, damit wichtige Institutionen der Community, darunter auch nicht kommerzielle queere Projekte und Sexorte, weiterhin eine Chance haben in Berlin.
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