Der Angriff auf Berlins queere Sexorte
Die jüngsten Razzien in queeren Läden stehen in einer langen und unseligen Tradition. Dirk Ludigs findet, dass es um mehr geht, als um Brandschutzregeln: Es geht um unsere Identität als sexuelle Minderheiten
Zu meinen frühesten Berliner Erinnerungen gehört eine Razzia im Schöneberger Kiez, irgendwann Mitte der Achtziger. An einem gewöhnlichen Abend hielten plötzlich mehrere amerikanische Schlitten mit Blaulicht und quietschenden Reifen vor Tom’s Bar. Geistesgegenwärtig brüllte der Türsteher „Militärpolizei“ in den Laden und sofort brach Panik aus – vor allem unter den zahlreichen US-Soldaten, die das Tom’s zu ihrer schwulen Heimat fern der Heimat gemacht hatten. Schwul oder lesbisch sein, das war während der Achtzigerjahre in den US-Streitkräften noch ein Grund für unehrenhafte Entlassung. Für viele der jungen, oft schwarzen Männer in Tom’s Bar war aber das Militär die einzige Chance auf bescheidenen sozialen Aufstieg. Für sie ging es also um die nackte Existenz; aber auch uns deutschen Gästen war mulmig. In ummauerten Westberlin hatten schließlich die Besatzer das letzte Wort!
Einer der Barkeeper rettete die Soldaten. In der einen Hand hielt er einen großen Schlüssel, mit der anderen wedelte er die aufgebrachten Männer eilig nach hinten. Viele der Gäste begriffen, was er vorhatte, und schubsten die Amerikaner eifrig Richtung Toiletten. In Windeseile vefrachteten die deutschen Gäste ihre Freunde die Treppe vorm Klo hinunter in den Darkroom! Mit dem großen Schlüssel verschloss der Barkeeper die Tür und noch bevor die Military Police begonnen hatte, die Papiere der Anwesenden zu kontrollieren, waren alle schwulen GIs in Sicherheit.
Ich habe mir oft vorgestellt, wie sie flach atmend mit pochenden Herzen und mucksmäuschenstill in der Dunkelheit und im Poppers-Geruch da wohl ausgeharrt haben. Aber alle im Darkroom blieben verschont, die Polizisten kamen nicht auf die Idee, dass sich hinter der Kellertür befinden könnte, wonach sie suchten.
Wer queeres Leben, queere Sexualität angreifen will, der greift seit jeher unsere Räume an: unsere Diskotheken, unsere Bars, unsere Clubs und unsere Vereine. Denn sie waren und sind die einzigen Orte, an denen queere Menschen jenseits der eigenen vier Wände ihre „von der Norm abweichende“ Sexualität erforschen, entwickeln, ausleben können. Das war schon in den „molly houses“ im England des 18. Jahrhunderts so, das war in der Nazi-Zeit so und in den tristen Adenauer-Jahren, das traf mit Wucht die schwulen Saunen und Darkrooms in den USA während der Aidskrise.
Heute braucht queeres Leben und queere Sexualität diese Freiräume dringender denn je. Zwar ist Schwul-Sein kein Verbrechen und Trans*-Sein keine Krankheit mehr, dafür drohen alternative Lebens- und Liebesentwürfe von einem sich verstärkenden Konformismus-Druck diskreditiert und wieder weiter an den Rand gedrängt zu werden. Aus dem Recht zu heiraten erwächst in den Backlash-Zeiten allmählich eine moralische Pflicht, queere Sexualität einzuhegen, sie mehr heterokompatibel zu machen.
Nichts spiegelt diesen Zeitgeist besser wider als der aktuelle Kassenschlager „Bohemian Rhapsody“. 2018 darf Freddy Mercury zwar schwul sein, aber warte: Seine Flamboyanz, Promiskuität und die Drogen werden ihn zwangsweise in den Untergang führen! Die Suche nach der erfüllten Beziehung kommt zu spät, die Strafe – Aids – hat ihn bereits erwischt. Im Hollywood-Film unserer Tage kennt der Virus nicht nur nicht mehr keine Moral – er wird zu ihrem Vollstrecker! In der Erzählung des Films können am Ende nur die heterosexuellen Musiker-Freunde den Todgeweihten durch ihr Verzeihen von seinem falschen Leben erlösen, dank ihrer findet er vor seinem unausweichlichen Ende den Weg zurück zum Erfolg und in die heteronormative – und wir dürfen annehmen monogame – Zweisamkeit. Sein tragisches Ende dürfen wir uns zwar nur ausmalen, aber das macht es nochmal grausliger.
2018 ist nicht zufällig das Jahr, in dem Polizeirazzien in Berlins queere Räume zurückgekehrt sind wie kurz vor Ostern in der Scheune. Im April wurde auch die Tür zu Tom’s Bars Darkroom fest verschlossen. Offiziell wird das verschärfte Hinsehen der Behörden mit dem Brand in der Steamworks Sauna im Februar 2017 begründet.
Noch härter als die kommerziellen Läden Schönebergs hat der Durchgriff der Behörden die nicht-kommerziellen queeren Sex-Clubs getroffen, die durch den Mietendruck sowieso schon finanziell vor dem Abgrund stehen. Ein Beispiel ist der aus dem Stadtzentrum nach Mariendorf verdrängte BDSM-Verein Quälgeist: Geschlossen seit Oktober wegen ausstehender Genehmigungen. Von der Schließung bedroht sind die Bösen Buben am Sachsendamm und das Ajpnia in der Wartburgstraße, ausgerechnet ein Ort an dem unter anderem HIV-Langzeitüberlebende einen Safe Space für ihre Sexualität geschaffen haben! Dessen „Begehung“ zur besten Verkehrszeit mit 20 Beamten hat immerhin zu einem gewissen Aufschrei der Szene geführt.
Seitdem wird gestritten: Darüber, wer die Verantwortung trägt. Über die Verhältnismäßigkeit der Mittel. Darüber, ob die Aufregung am Ende nur unseren sich allzu gerne aufregenden Zeiten geschuldet ist. Denn die Regeln, aufgrund derer die Behörden aktiv werden, sind doch schließlich für alle gleich, ob homo oder hetero.
So ist das! Und genau deshalb sind diese Regeln, auf deren Grundlage die Razzien in Berlins queerer Sexwelt durchgeführt werden, diskriminierend und ungerecht. Sie sind nicht für queere Freiräume gemacht, sie sind in vielen Fällen gegen sie gemacht. Über Fluchtwege in kommerziellen Darkrooms muss vielleicht nicht gestritten werden. Aber über Bebauungspläne oder Ausschanklizenzen für kleine Vereine und Läden, die am Abend vielleicht fünf Bier verkaufen. Viele Auflagen stehen im Weg und verhindern, dass diese Räume wesentliche Bedürfnisse marginalisierter sexueller Minderheiten in der Gesellschaft erfüllen können. Wenn ausgerechnet grüne Lokalpolitik das nicht begreifen will und sich gegen Kritik auf Zuständigkeiten zurückzieht, wie in Schöneberg geschehen, dann ist sie nicht Partnerin, sondern Gegnerin einer queeren Community.
Berlins queere Menschen sollten um diese Orte kämpfen! Sie brauchen Solidarität und Widerstand. Eine Lokalpolitik, die gegenüber queerer Verfolgungsgeschichte so blind ist, wie sie gegenüber queeren Bedürfnissen taub ist, kann nicht queer-freundlich sein, egal wie grün ihr Parteibuch ist. „Ziviler Ungehorsam heißt nicht einfach das Gesetz zu brechen, manchmal braucht man zivilen Ungehorsam um das Gesetz erst zu dem zu machen, was es sein soll“, sagt Hannah Arendt.
In diesem Fall heißt das: Nicht die queeren Sexorte haben sich den Regeln der heteronormativen Welt zu unterwerfen, sondern die Regeln müssen so gestaltet sein, dass diese Orte lebendig bleiben und erblühen können. Daran sollten doch eigentlich vor allem jene Politiker*innen ein Interesse haben, die sich selbst für queere Alliierte halten. An diese Tatsache könnte Berlins queere Szene sie häufig und lautstark erinnern!
Dirk Ludigs
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