In Gedenken an die Opfer transphober Gewalt
Zum Transgender Day of Remembrance am 20. November erinnert Michaela Dudley an die Opfer transphoben Hasses und an das Schicksal fünf bekannter trans* Personen
Laut Statistik des Transgender Murder Monitoring Project sind in 2018 368 trans* und nicht-binäre Personen ermordet worden. Der mittlerweile weltweite Gedenktag Transgender Day of Remembrance („TDOR“) ist den Opfern von Transphobie gewidmet. Er geht auf eine Initiative der in San Francisco wohnenden trans Frau, Journalistin und Aktivistin Gwendolyn Ann Smith zurück. An vielen Orten begeht man den Tag unter anderem mit einer „Human Library“. Im Rahmen solcher Veranstaltungen erzählen trans* Personen, gleichsam als menschliche Bibliotheken, von ihren speziellen Bedürfnissen und aus ihren Alltagserfahrungen, die oft genug von Ausgrenzung und Gewalt gekennzeichnet sind.
Als Gwendolyn Ann Smith den TDOR 1999 ins Leben rief, hatte es einen tödlichen Anlass geben: nämlich die Ermordung der afroamerikanischen trans Frau Rita Hester ein Jahr zuvor. Am 28. November 1998, wenige Stunden vor ihrem 35. Geburtstag, war Rita in ihrer Wohnung im Bostoner Stadtteile Allston erstochen aufgefunden worden. Allem Anschein nach ein Hassverbrechen, wahrscheinlich sowohl von Rassismus als auch von Transphobie geprägt. Damals gab es in den US-Medien allerdings so gut wie keine Berichte über den brutalen Mord. Dabei war Rita eine stadtbekannte, extravagante Performerin, die in den Clubs der Queer-Szene regelmäßig auftrat. Doch ihr Leben sollte nicht in Vergessenheit geraten. Ihr zu Ehren wurde, knapp eine Woche später, eine Mahnwache veranstaltet. Etwas 250 Teilnehmer*innen erschienen mit Kerzen und weißen Rosen.
Bis heute gilt Ritas Tod offiziell als ungeklärt. Das ist leider nicht überraschend. Denn die Stigmatisierung, die viele trans* Personen ausgesetzt sind, führt dazu, dass sie von der Gesellschaft auch als Todesopfer nicht mit gebührendem Respekt gewürdigt werden. So war es auch im Falle von Marsha P. Johnson. Als eine der Hauptakteur*innen der Stonewall-Unruhen von 1969 war die afroamerikanische Sexarbeiterin und selbstbezeichnete Dragqueen keine Unbekannte. Zusammen mit der trans Aktivistin Sylvia Rivera gründete sie die Street Transvestite Action Revolutionaries bzw. STARs. Marsha war mit ihrer unnachahmlichen Art ein Star und stand sogar für Andy Warhol vor der Kamera. Juli 1992 wurde ihre Leiche im Hudson River entdeckt. Die New Yorker Polizei stufte ihren Tod als Suizid ein. Trotz des erheblichen Zweifels, den Freunde und Bekannte daran äußerten, wurde der Fall schnell zu den Akten gelegt. Erst zehn Jahre später zogen die Ermittlungsbehörden die Einstufung als Suizid zurück, nunmehr zugebend, Marsha sei womöglich doch ein Opfer transphober Gewalt gewesen.
Als „unaufgeklärt“ gilt ebenfalls der Tod der türkischen trans* Aktivistin Hande Kader. Die Leiche der 22 Jahre alten Sexarbeiterin wurde August 2016 in Istanbul entdeckt. Angeblich sei sie kurz zuvor in das Auto eines Freiers gestiegen. Fakt ist, ihr Engagement für LGBTQAI-Rechte in der Türkei war immer ein besonders prekärer Einsatz. Dort ist die Gewaltbereitschaft gegen queere Menschen rapide angestiegen, und Umfragen zeigen, dass rund 80% in der Türkei Homosexualität als moralisch verwerflich betrachten.
Hier und da gibt es im Kampf gegen transphobe Gewalt jedoch auch Ermittlungserfolge. Selbst in Brasilien, wo weltweit die meisten trans Personen zu Mordopfern werden: Auch in diesem Jahr führen sie mit 167 Morden an trans Frauen und Männern die Statistik an. Im Februar 2017 in Fortaleza wurde die 42 Jahre alte trans Frau Dandara dos Santos von mehreren Männern gefoltert und erschossen. Die grausame Tat wurde gefilmt. Das von den Tätern aufgenommene Handyvideo, das binnen kurzem online viral ging, führte zu ihrer Ergreifung. Bereits fünf Angeklagte erhielten im April 2018 lange Haftstrafen.
Für den trans Mann Brandon Teena, 1972 in Nebraska geboren, war das Leben auf dem Lande in einem „weiblichen“ Körper einengend und unauthentisch. Er traf die Entscheidung, auch öffentlich als Mann zu leben, und verliebte sich in eine cis Frau. Zwei Männer, die von seiner Transidentität erfuhren, vergewaltigten und erschossen ihn sowie zwei Augenzeugen. Die Morde werden im Spielfilm „Boys Don't Cry“ geschildert. Einer der beiden rechtskräftig verurteilten Täter verbüßt drei lebenslängliche Freiheitsstrafen, der andere sitzt in der Todeszelle.
Der TDOR bereitet uns die Möglichkeit, unsere Brüder und Schwestern wie Rita, Marsha, Hande, Dandara und Brandon, stellvertretend für die zahlreichen anderen Opfer des transphoben Hasses, nicht lediglich als Teil einer erschreckenden Statistik, sondern als Menschen zu sehen – die mutig waren, Aktivist*innen, die uns und die Welt bewegt haben. Dabei sollten wir uns um mehr als die Pflege der Erinnerungskultur kümmern. Denn es ist höchste Zeit, dass wir allen von Transphobie Betroffenen endlich Zukunftsperspektiven verschaffen.
Michaela Dudley
Die Berlinerin Michaela Dudley ist Autorin, Übersetzerin und amerikanische Doktorin der Jurisprudenz.
TDOR Berlin-Schöneberg, 20.11., John F. Kennedyplatz, 17:00, Umzug, 19:00 Ankunft vor dem Rathaus-Schöneberg mit Programm und Fahnenhissung
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