„So viele Untote sehe ich sonst nur am Kotti”
Viel Sekt und starke Nerven: Berlins Drag-Liebling und SIEGESSÄULE-Autorin Jurassica Parka hat keine Lust auf Halloween und erklärt, wie sie dem Grauen entgeht
Ich liebe den Herbst. Die Luft riecht nach buntem Blattwerk, es ist endlich schön kalt und nass und es spielen viel weniger Kinder auf den Straßen. Paradiesische Zustände in meiner Hood rund um die Kurfürstenstraße. Mein Hund kackt gerade an den Bauzaun einer riesigen Baustelle für Luxuswohnungen – sein prächtiges Stoffwechsel-Endprodukt lasse ich als stillen Protest liegen. Eine nahende Sexarbeiterin flötet mir ins Ohr: „Nicht Kacka machen, ist mein Platz!” Ich fange eine Diskussion darüber an, dass die Straße ein öffentlicher Raum sei und mein Hund überall Kacka machen dürfe. Sie scheint mich aber nicht sehr gut zu verstehen und erwidert sicherheitshalber: „Haste Lust? Willste ficken?” Nein, gerade nicht.
Hund und ich bewegen uns genussvoll weiter bis zum Woolworth an der Ecke Potsdamer Straße. Die Halloweensaison muss angefangen haben. Die Schaufenster sind überschaurig dekoriert mit dem Besten, das chinesische Fabriken schnell nach Europa schiffen konnten. Ich werfe einen Blick auf die Aktionsflächen am Eingang. Skelette, Plastikkürbisse und riesige Gummispinnen sehe ich da. Ob es der beißende Weichmachergeruch der feilgebotenen Waren ist, der mir Tränen in die Augen treibt – oder die Erkenntnis, dass nach dem Oktoberfest jetzt DAS schon wieder los geht. Keine Ahnung.
Zuhause angekommen drehe ich die Heizung auf und mache mir einen bunten Nachmittag auf dem Sofa. Glotze an. Dazu vielleicht fünf, sechs Flaschen Sekt. Was einen Transvestiten eben so glücklich macht. Beim Durchzappen brüllt mich die bunte Welt des Nachmittagsprogramms an. Hochzeiten, Promi-News, Quiz-Shows, Dating und Boulevardkram. Auf Pro7 grunzt ein hochtrainierter Moderator über „die krassesten Halloweenkostüme”. Irgendwann ertappe ich mich beim Newsfeed-Durchscrollen auf Facebook. Wie das immer passiert. Komisch. Na, mal gucken, was die Blase so zu bieten hat. Ach ja, Halloween. Eine amerikanische Schmink-Bloggerin zeigt, wie sie ein Gesicht so präpariert, dass dieses nach Bedarf abgeklappt werden kann. Darunter verbirgt sich ein schauriges Monster. Ach so. Oder ist das das echte Gesicht? Hm.
Viele Partyreihen geben in den kommenden Tagen Halloween-Specials, überall Zombies und offene Wunden in den Eventankündigungen. So viele Untote sehe ich sonst nur am Kotti. Egal. Die tantige Moderatorin im rbb gibt praktische Süßigkeiten-Tipps, wenn bald die kostümierten Kinder vor der Tür stehen. Zum Glück wohne ich im Hinterhaus, vierter Stock. Hier hat noch nie jemand geklingelt. Ich öffne sowieso ungerne die Tür, ich will auch keine Nachbarn sehen oder gar kennen! Am schönsten wäre ein Mietshaus ohne andere Mieter. Dann könnte ich einfach so durch den Hausflur schlurfen, ohne Menschen treffen zu müssen. Ich schweife ab.
Was hat denn Netflix im Angebot? Oha, welch eine Freude! Addams Family ist jetzt genau das richtige. Den Film liebe ich. Besonders Anjelica Houston ist als Morticia toll. Und da ich mich gerade meiner gepflegten Misanthropie hingebe, ist der Film perfekt. Dann endet der Tag ja doch noch gut, und außerdem gibt´s von der Addams Family auch noch einen zweiten Teil – der übrigens ausnahmsweise auch toll ist. So mache ich mein eigenes kleines Halloween, der Hund schnarcht mir ins Ohr. Kommt gut in den November!
Jurassica Parka
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