Wut und Streit beim Themenabend „Lesben gegen Schwule?!“
Ein Diskussionsabend im Ludwig am Mittwoch über die aktuellen Konfliktpunkte zwischen Schwulen und Lesben in der Community war von einer konfrontativen Stimmung geprägt. Ein Nachbericht
Einen „Super-Gau für die queere Szene“. So bezeichnete der Moderator Johannes Kram den Streit zwischen der Schwulenberatung Berlin und der lesbischen Initiative Rad und Tat (RuT), der die Diskussion am Mittwochabend im Ludwig dominierte.
Angekündigt war die Veranstaltung unter der Überschrift: „Wir müssen reden: Lesben gegen Schwule?! Schwule gegen Lesben?! Homos vs. Homos?!“ Diskutiert werden sollten die Konflikte zwischen Lesben und Schwulen, die seit Jahrzehnten immer wieder aufbrechen und den Eindruck vermitteln, dass sich beide Gruppen in erbitterter Feindschaft gegenüberstünden.
Neben Autor und Nollendorfblogger Johannes Kram saßen auf dem Podium Autorin und Journalistin Stephanie Kuhnen und die Künstlerin Sigrid Grajek sowie Marcel de Groot, Geschäftsführer der Schwulenberatung. Drei Themenkomplexe waren besonders präsent: Der Streit um die Gedenkkugel für lesbische NS-Opfer in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück und die geleakte Email eines LSVD-Vorstandsmitglieds, der darin Aktivistinnen, die sich für ein Gedenken engagieren, als „Krawalllesben“ diffamierte; die Kritik der Schwulenberatung am Preis für lesbische* Sichtbarkeit, mit dem Lesben angeblich auf Kosten der Sichtbarkeit von trans* und inter* Menschen ausgezeichnet würden; und schließlich der Streit zwischen Schwulenberatung und RuT um ein Baugrundstück am Südkreuz, der den meisten Raum an diesem Abend einnahm.
Während die Schwulenberatung auf dem Grundstück ihren dritten „Lebensort Vielfalt“ errichten will, fordern RuT den Ort für ihr Wohnprojekt für lesbische Frauen. RuT hatte ein vom Land Berlin ausgeschriebenes Konzeptverfahren um das Grundstück bereits im Herbst letzten Jahres gewonnen. Die Schwulenberatung ließ das Verfahren jedoch juristisch prüfen, woraufhin es im September erneut, diesmal zugunsten der Schwulenberatung, entschieden wurde. RuT haben nun ihrerseits angekündigt, juristisch gegen die Entscheidung vorgehen zu wollen.
Die Geschichte sorgte innerhalb der LGBTI-Community im letzten Jahr für einigen Unmut und Kritik am Vorgehen der Schwulenberatung. Entsprechend emotional gestaltete sich auch gestern Abend die Debatte. PodiumsteilnehmerInnen und Personen aus dem Publikum warfen der Schwulenberatung fehlende Solidarität vor. „Wir haben hier Frauen, die unter den erbärmlichsten Bedingungen leben“, sagte die RuT-Geschäftsführerin, Jutta Brambach. Allerdings fehle es RuT an Geld und Ressourcen, um etwas zu ändern. Vor allem deshalb habe man auf eine andere Lösung in diesem Konflikt gehofft. „Wir Frauen und Lesben werden immer noch keinen Ort haben, an dem wir einen adäquaten Lebensabend verbringen können – und das ist bitter!“
Sigrid Grajek zeigte, auch anhand ihrer eigenen Lebensgeschichte und der vielen Hürden, die sie nehmen musste, eindrücklich, was Ungleichheit und Diskriminierung persönlich bedeuten können. Stephanie Kuhnen stellte es als ein strukturelles Problem dar, dass es in einigen wichtigen LGBTI-Organisationen Sexismus gegen Lesben gebe, während eine RuT-Unterstützerin sogar den Rücktritt von Marcel de Groot und dem Vorstand der Schwulenberatung forderte. Auch die Ansicht, dass die Schwulenberatung wegen der mangelnden Solidarität nicht mehr Teil der LGBTI-Community sein könne, wurde geäußert.
Marcel de Groot entgegnete, die Schwulenberatung habe sich von Anfang an gegen das staatliche Konzeptverfahren ausgesprochen, da es soziale Träger in eine Konkurrenz zwingen würde. Dieser Einwand stieß im Publikum nicht ganz auf Ablehnung. Ein Konzeptverfahren aufzustellen sei in der Tat ein Fehler der Politik gewesen. Angesichts der strukturellen Diskriminierung von Frauen und Lesben hätte RuT das Grundstück einfach so, ohne Vergabeverfahren, bekommen sollen, sagte etwa ein Mitarbeiter der Schwulenberatung. Zugleich sei es nicht gerechtfertigt, dass es im Zuge des Konfliktes auch zu Anfeindungen gegen Mitarbeiter und Bewohner der Schwulenberatung gekommen sei: „Es war niemals unsere Intention, RuT etwas wegzunehmen, wir haben uns lediglich an das Verfahren gehalten. Jetzt werden Vorortarbeiter der HIV-Prävention angesprochen und beleidigt – das kann nicht die Konsequenz dieser Geschichte sein“.
Die Frage, ob sich die Schwulenberatung unsolidarisch gegenüber RuT verhalten habe, ließ Marcel de Groot indes unbeantwortet. Bezüglich seiner Kritik am Preis für lesbische Sichtbarkeit räumte er ein, über das Ziel hinausgeschossen zu sein. Seine Erklärung dazu erschien recht lapidar: Er habe sich mit dem Preis nicht eingehend genug auseinandergesetzt, wofür er sich am Ende der Diskussion dann aber auch entschuldigte.
Eine ältere Frau kritisierte den Lebensort Vielfalt, da dort unter dem Label „Vielfalt“ nur 3 Plätze für Lesben zu finden seien. Rund um die Frage, wie viele Plätze der neue Lebensort Vielfalt am Südkreuz plane, kippte die Stimmung daraufhin für einen Moment. Ein älterer Mann rief, an die anwesenden Lesben gewandt: „Ihr könnt doch ins Frauenhaus gehen!“
Die Atmosphäre, auch zwischen TeilnehmerInnen im Publikum, war an diesem Abend insgesamt konfrontativ. Wobei die Fronten nicht „zwischen den Geschlechtern“ verliefen: So forderte etwa Heiko Großer von der Berliner Aidshilfe Solidarität mit Lesben – schließlich hätten diese auch ihre „schwulen Freunde“ in vielen Kämpfen, wie der Arbeit im Bereich HIV/AIDS, begleitet. Ein anderer Zuschauer stellte in den Raum, ob es sich bei dem aktuellen Streit in der Community „zwischen Schwulen und Lesben“ nicht um einen Konflikt älterer Generationen handle. In seiner Arbeit mit jungen Menschen seien solche Grabenkämpfe nicht mehr zu erkennen.
Judith Sevinç Basad, fs, as, Dana Müller
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