Margarete Stokowski über Feminismus: „Am Ende kommt mehr Freiheit für alle raus“
Aktuelle feministische Diskurse hat Margarete Stokowski entscheidend mitgeprägt. Wir baten sie zum Gespräch über ihr neues Buch „Das Ende des Patriarchats“ und das subversive Potential von Queerness
Margarete Stokowski ist derzeit eine der gefragtesten Autorinnen überhaupt. Mit ihren viel beachteten Kolumnen zum Thema Feminismus auf Spiegel Online und für die taz trifft sie den Nerv der Zeit. Ihr neues Buch „Die letzten Tage des Patriarchats“ vereint 75 dieser kleinen wie markanten Streitschriften.
Autorin Anja Kümmel sprach mit Stokowski über ihr neues Buch, Queerness und einen modernen Feminismus
Schon vor einigen Jahren postulierte Hanna Rosin „das Ende der Männer“. Andere Autorinnen sprechen vom Ende des Patriarchats. Ist dein Titel „Die letzten Tage des Patriarchats“ auch eine Art Antwort auf solche Behauptungen? Ist er ironisch gemeint – oder als Wunschdenken? Weder noch, um ehrlich zu sein. Eher als Zustandsbeschreibung mit zwei Gefühlen gleichzeitig: feierlich und erschaudernd. Den Titel „Die letzten Tage des Patriachats“ habe ich mir am Anfang eher als Witz ausgedacht, es gibt ja viele Werke, die „Die letzten Tage von irgendwas“ heißen. Dann, beim Durchsehen der Texte aus 8 Jahren, fiel mir auf, dass das doch ganz gut passt. Es geht immer wieder um ein System, das langsam zerfällt. Mächtige Männer, die sich nicht mehr alles erlauben dürfen. Ein Ministerium, das sich lächerlich macht, wenn es alle Stellen mit Männern besetzt. Aber gleichzeitig auch: Die Angst und Wut und Gewaltbereitschaft derer, die die alten Strukturen erhalten wollen und Frauen oder Minderheiten weiter unterdrückt sehen wollen.
Wie gehst du damit um, wenn du Gegenwind nicht nur von männlichen Kollegen, sondern auch von Frauen bekommst? Es wäre mir sehr suspekt, wenn alle Frauen mir zustimmen würden. Es gab zu jedem Zeitpunkt in den vergangenen Jahrhunderten immer auch Frauen – und Männer, weniger überraschend –, die fanden, es sei eigentlich schon alles okay in Sachen Gleichberechtigung. Das ist natürlich umso leichter zu sagen, desto mehr wir Frauen auf den höchsten Posten in Politik und Wirtschaft sehen, aber es ist leider immer noch falsch. Wenn eine Frau sagt, sie werde nie diskriminiert und könne sich immer alles vom Leben nehmen und so weiter, dann mag das sein, dass sich das für sie so anfühlt. Dann ist es aber entweder Dummheit, Naivität oder Ignoranz, wenn sie glaubt, das würde für alle anderen Frauen auch gelten.
Die Diskussion scheint sich aktuell vor allem an der #metoo-Debatte zu entzünden. Auf der einen Seite stehen Forderungen nach persönlichem Empowerment, auf der anderen der Blick auf strukturelle Machtverhältnisse. Glaubst du, das lässt sich irgendwie zusammendenken? Ich finde die Gegenüberstellung nicht ganz stimmig – auf der einen Seite individuelle Frauen, die potentielle Opfer sind, und auf der anderen Seite die Machtstrukturen. Da fehlt ja dann die Seite mit den individuellen Tätern. Leider sehen Debatten über sexualisierte Gewalt häufig immer noch so aus. Man stellt fest, dass Frauen immer wieder Übergriffe erleben, also fragt man: Was können Frauen tun, um sich davor zu schützen? Anstatt zu fragen: Was können denn potentielle Täter oder Mitwissende tun, damit es gar nicht erst so weit kommt, dass irgendwer sich wehren muss? Wenn man sich die #metoo-Erzählungen anhört, dann sieht man ja oft sich wiederholende Muster. Vorgesetzte, die bereits als übergriffig bekannt sind, denen sich aber nicht genug Leute zu widersprechen trauen. Oder Frauen, die für verrückt oder aufmerksamkeitsgeil erklärt werden, wenn sie sich beschweren. Dass die Gewalt „strukturell“ ist, heißt, dass sie sich immer wieder nach ähnlichen Mechanismen abspielt. An diesen Mechanismen sind nicht bloß diejenigen beteiligt, denen etwas passiert, und die, die übergriffig werden, sondern auch die, die danebenstehen – egal ob tatsächlich oder im übertragenen Sinne.
In deiner Kolumne „Der Abgrenzungs-Fetisch“ schreibst du, dass viele Frauen sich (noch immer) vom Feminismus abgrenzen wollen, weil er unsexy erscheint. In anderen Texten kritisierst du zugleich auch einen weichgespülten Feminismus, der sich mit Slogans schmückt, aber recht inhaltsleer daherkommt. Gibt es eine Art „Lifestyle-Feminismus“, der inzwischen salonfähig geworden ist? Es gibt heute beides: Leute, die Feminismus total selbstverständlich als vorgestrig und übertrieben ablehnen, und Leute, für die Feminismus genauso selbstverständlich zu ihren Grundwerten gehört. Die ersten gab es immer schon, die letzteren sind mehr geworden, eindeutig. „Lifestyle-Feminismus“ finde ich als Begriff nicht so gelungen, weil die Abwertung, die da mitschwingt, mir zu viel gleichzeitig diskreditiert. Wer feministisch lebt und es dann auch mag, sich die entsprechenden T-Shirts zu kaufen – dann aber in Fair Trade, wenn es geht – bitte, warum nicht. Wer nur die Produkte kauft oder bewirbt, aber im echten Leben dann andere Frauen aufgrund ihres Äußeren abwertet oder patriarchale Strukturen mitträgt – das ist dann vielleicht ein Lifestyle, aber kein Feminismus. Dass feministische Themen in den letzten Jahren in Popkultur, Mode und Werbekampagnen häufiger auftauchen, heißt erst mal nur, dass Feminismus für mehr Leute cool geworden ist. Das ist bei manchen Leuten glaubwürdig und folgerichtig, und in anderen Fällen einfach der Versuch, Geld zu machen. Wenn eine Firma zum Beispiel T-Shirts druckt mit dem Zitat von Chimamanda Ngozi Adichie, „We should all be feminist“, und diese T-Shirts aber nur in der Frauenabteilung hängen, muss man schon sagen, die haben es nicht geschnallt.
Der Erfolg des Feminismus scheint häufig an der Anzahl weiblicher Führungskräfte und Politikerinnen gemessen zu werden. Heißt das, wenn sich in Leitungspositionen 50% Frauen befinden, ist die Gleichberechtigung erreicht und wir können uns entspannt zurücklehnen? Ja – wenn das Ziel des Feminismus nur war, reichen Frauen mehr Macht zu geben. Führungskräfte lassen sich leicht abzählen, das ist praktisch, aber da hört es auch schon auf. Solange Frauen immer noch weniger Geld besitzen, mehr unbezahlte Arbeit leisten, öfter von Altersarmut bedroht sind, Opfer von sexualisierter Gewalt werden, solange die Frauenhäuser hoffnungslos überfüllt sind und solange irgendeine Religion Frauen in ihre Familienplanung reinlabert, solange sind wir nicht fertig.
Wie beurteilst du das subversive Potential von Queerness? Alles Queere ist anstrengend für autoritäre Regime. Das kann man ja gerade in Ungarn beobachten, wo Viktor Orbán die Gender Studies abgeschafft hat. Ich glaube aber, das subversive Potential von Queerness setzt schon viel früher an. Ziemlich viele Leute sind sehr, ich sage mal, herausgefordert, wenn sie Leute nicht in „weiblich/männlich“- oder „hetero/homo“-Kategorien eintüten können, und es wird immer interessant, wenn man dann weiterfragt: Wozu genau brauchst du diese Schubladen? Welche Infos hast du über jemanden, wenn du die geschlechtliche Identität oder die sexuelle Orientierung festnageln kannst? Ich freue mich über alle, die daran arbeiten, diese Grenzen aufzulösen, weil am Ende mehr Freiheit für alle rauskommt.
Inerview: Anja Kümmel
Margarete Stokowski:
„Die letzten Tage des Patriarchats“,
Rowohlt, 318 Seiten, 20 Euro
Folge uns auf Instagram