Geschichte

„Würde man 'Schwulensau-Straße' akzeptieren?“ – Über Spuren des Kolonialismus in Berlin

25. Okt. 2018 Michaela Dudley
Performance-Tour "Wo wir durchgehen – Dauerkolonie Berlin" © J. Zeller

Die Folgen des deutschen Kolonialismus sind heute immer noch in Berlin sichtbar und werden etwa an den Konflikten um die M-Straße deutlich. Michaela Dudley hat sich auf Suche in der Stadt begeben

„Nun gehen wir in die M-Straße“, kündigt Joshua Kwesi Aikens an. Rund 20 Gäste und ich folgen ihm. Joshua, ein deutsch-ghanaischer Politikwissenschaftler, leitet die Stadtführung „Wo wir durchgehen: Dauerkolonie Berlin“ – eine Exkursion, die uns, 100 Jahre nach dem Ende des ersten Weltkrieges und mit ihm dem Zusammenbruch des deutschen Kolonialreiches, mit der Kolonialgeschichte Deutschlands konfrontiert. Sinn der Sache: sich der Vergangenheit zu stellen, selbst wenn es wehtut.

Angekommen am U-Bahnhof M*****straße erklärt Joshua, warum er und die Berliner Black Community das „M-Wort“ anprangern. Als Bezeichnung für Menschen mit dunkler Hautfarbe sei es nicht nur eine Beleidigung, sondern auch Ausdruck einer mangelnden Aufarbeitung des europäischen Rassismus. Ein Sturm politisch korrekter Entrüstung im Wasserglas, wie nun manche vielleicht einwenden möchten? Würde man beispielsweise den Namen „U-Bahnhof Schwulensau-Straße“ akzeptieren? Die Frage bleibt nicht rein rhetorisch. Denn ein Schild mit ebendiesem Schriftzug prangt am Ausgang der Station an der Linie U2. Die homophobe Umbenennung stößt zwei zufällig anwesenden Polizisten übel auf – bis sie begreifen, dass Joshua, im Rahmen der Führung und für die kurze Dauer unseres Aufenthaltes an der Station, das Schild anbringen ließ. Aktionskunst zu didaktischen Zwecken.

Start der mehrstündigen Tour ist im so genannten „Afrikanischen Viertel“ Berlins im Wedding, und zwar in der Togo-Straße. Dort ist das wilhelminische Weltmachtstreben noch anhand einiger Straßen zu erahnen, die nach ehemaligen deutschen Kolonialherren benannt wurden. Dabei handelt es sich um Persönlichkeiten, die durch ihre gewalttätigen und brutalen Vorgehensweisen in die Geschichte eingegangen sind. AktivistInnen setzen sich seit langem für eine Umbenennung der Straßen ein, die Stadt kommt diesem Anliegen aber nur sehr schleppend nach. 

Als Person of Color bestieg ich den Tourbus mit einer gewissen Süffisanz. Denn ich wusste schon viel über die Kriegsverbrechen deutscher „Schutztruppen“ auf dem Schwarzen Kontinent. So war ich zunächst darauf bedacht, die Reaktionen der überwiegend weißen TeilnehmerInnen zu beobachten. Die vielen historischen Fakten, die im Laufe der Tour zur Sprache kamen, zogen mich aber mehr und mehr in ihren Bann. Etwa der gegen die Herero und Nama gerichtete Genozid von 1904 bis 1908, ausgeführt durch deutsche „Schutztruppen“ auf dem Gebiet des heutigen Namibia, mit zehntausenden Opfern. Bis heute kämpfen VertreterInnen der Herero und Nama um eine offizielle Anerkennung dieses Verbrechens. Noch weniger bekannt dürfte der Widerstand afrikanischstämmiger Menschen in Berlin zu Zeiten des deutschen Kolonialreiches sein – unterstützt zum Teil durch weiße Deutsche, die sich erkühnten, ihre Stimmen gegen die Versklavungs- und Kolonialpolitik zu erheben, dem Zeitgeist trotzend.

Joshua wird auf der Tour durch die SchauspielerInnen Thandi Sebe, Lara-Sophie Milagro und Jean-Philippe Adabra begleitet. Mittels musikalisch untermalter Darbietungen zeigen die PerformerInnen, wie der zu Kaiserzeiten ersehnte „Platz an der Sonne“ immer noch Schatten entlang der Spree wirft – wo geraubte Kunstschätze und Menschenschädel weiterhin als „Kulturbesitz“ angesehen werden. „Kolonialismus? Was habe ich damit zu tun?“, mag man sich fragen. Die entscheidende Frage lautet jedoch: „Was kann ich heute tun?“ Denn die lange gepflegte Romantisierung und Verharmlosung des Kolonialismus wirkt leider in Berlin noch fort – ob im Plenarsaal, in Gartenlauben, in Billigläden, in den Namen von Straßen oder U-Bahnstationen oder im Alltag des Lebens in der Stadt.

Michaela Dudley vor der Schautafel am May-Ayim-Ufer

Die Stadtführung „Wo wir durchgehen: Dauerkolonie Berlin“ wurde realisiert vom Ballhaus Naunynstraße im Zusammenarbeit mit dem Verein Each one teach one - Eoto e. V.

Andere aktuelle Projekte zum Thema:

Studientag „Shared history? Tansanisch-deutsche Kolonialgeschichte und Erinnerungskultur“, 26.–28.10., Centre Français de Berlin, organisiert vom Tanzania Network

Projekt „Decolonize Mitte“ zur Umbenennung von Straßennamen

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