Für einen freien und selbstbestimmten Geschlechtseintrag!
Bei der Diskussion um einen dritten Geschlechtseintrag hinkt die Politik der Gesellschaft hinterher, findet Heinz-Jürgen Voß, Professor*in für Sexualwissenschaft und Sexuelle Bildung
Nach der beim Bundesverfassungsgericht erfolgreichen Klage einer Einzelperson, unterstützt von der Kampagne „Dritte Option“, ist die Bundesregierung zum Handeln gezwungen. Das höchste Gericht hat einen respektvollen Umgang mit intergeschlechtlichen Menschen angemahnt. Eine Möglichkeit hierfür könne ein würdigender dritter Geschlechtseintrag sein, ein anderer dessen gänzlicher Wegfall.
Gesellschaftlich interessant war, dass bis hin zu den großen Kirchen alle vom Verfassungsgericht hinzugezogenen Akteur*innen das Urteil befürworteten. Auch der Sprecher der katholischen deutschen Bischofskonferenz, Matthias Kopp, hatte gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) erklärt: „Wenn bei einem Menschen eine eindeutige Zuordnung zu der binären Einteilung als Frau oder Mann nicht möglich ist, darf er nicht durch rechtliche Vorschriften oder gesellschaftliche Gewohnheiten dazu gezwungen werden, sich entgegen seinen eigenen Empfindungen einem Geschlecht zuzuordnen, das nicht zu ihm passt.“
Dieser breite gesellschaftliche Konsens und der Druck durch das Urteil sollten die Bundesregierung dazu veranlassen, die „trotz großer Reformversuche hoffnungslos veraltet[en]“ Regelungen im Personenstandsrecht und im Bürgerlichen Gesetzbuch an die gesellschaftlichen Entwicklungen anzupassen, dieauf Anerkennung und Akzeptanz marginalisierter geschlechtlicher und sexueller Gruppen zielen. Das bedeutet auch, dass nun endlich eine Regelung wie etwa in Australien, Argentinien, Kuba, Malta und Pakistan getroffen werden muss, die einen freien eigenen Geschlechtseintrag für jeden Menschen, bei zumindest drei anerkannten Geschlechtskategorien, vorsieht. Oder aber der Eintrag wird eben gar nicht mehr vorgenommen, was allerdings die gesetzgebende Gewalt und die ausführenden staatlichen Behörden nicht davon freispricht, die gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber geschlechtlichen Minderheiten weiterhin zu fördern.
Dass die Akzeptanzförderung gelingt, zeigt nicht zuletzt die große positive Resonanz, die die in Magdeburg entwickelten und von einem CDU-geführten Ministerium verantworteten Medienkoffer für Geschlechtervielfalt und Vielfalt der Familienformen aktuell in Sachsen-Anhalt erfahren. Und selbst in der Katholischen Kirche, die gesellschaftlichen Veränderungen traditionell eher zögerlich folgt, denkt man bereits über die Auswirkungen des dritten Geschlechtseintrags für Ehe und Priesterweihe nach.
Die Gesellschaft ist also bezogen auf die Anerkennung der tatsächlich vorhandenen geschlechtlichen Vielfalt bereits auf dem Weg. Die Bundesregierung – und die Fraktionen gerade von SPD und Union – sollten die Zeichen der Zeit erkennen und sich bei einem solchen, für die Gesellschaft so wichtigen Gesetz nicht auf den CSU-Chef und (Noch-)Innenminister Horst Seehofer verlassen, dessen Weg, Anführer der Rechten sein zu wollen, gerade in der Bayern-Wahl einen deutlichen Denkzettel erhalten hat.
So brauchen wir statt der von Seehofer verantworteten dürftigen Regelung ein Gesetz, das für alle Menschen einen freien und selbstbestimmten Geschlechtseintrag ermöglicht (oder aber ihn ganz entfallen lässt) – ohne medizinische Begutachtung. Eine solche Eintragung und Umtragung könnte einfach auf dem Standesamt oder auf dem Bürger*innenamt erfolgen.
Eine umfassende Kritik am Entwurf aus dem Hause Seehofer hat wiederum die Kampagne „Dritte Option“ vorgelegt, unter dem treffenden Titel: „Gesetzesentwurf widerspricht in fast allen Punkten den Bedarfen der Betroffenen“. Die aktuelle #AktionStandesamt2018 verleiht diesen Forderungen real in Standesämtern (mit knapp 100 Anträgen auf Eintrag eines dritten Geschlechts, zwölf davon in Berlin) und digital Nachdruck.
Heinz-Jürgen Voß
Termine:
3. Option und jetzt!? Was kann Berlin für mehr geschlechtliche Selbstbestimmung tun?, von den Grünen initiiertes Fachgespräch mit u. a. Senator Dirk Behrendt und René_ Hornstein von der Aktion Standesamt, 17.10., 18:30–20:30, Abgeordnetenhaus von Berlin, Raum 107
Plenarsitzung im Bundesrat am 19.10. ab 09:30: Als Tagesordnungspunkt 28 wird der „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben“ verhandelt
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