Erneuter Szenekonflikt

„Schwule vs. Lesben?” – Streit um Gedenkkugel für lesbische NS-Opfer geht weiter

12. Okt. 2018 Franziska Schulteß
Bild: Ina Rosenthal
Gedenkveranstaltung für lesbische Frauen am Mahnmal im Berliner Tiergarten am 9. September © Ina Rosenthal

Jahrelang wird schon um ein Zeichen für lesbische KZ-Häftlinge in Ravensbrück diskutiert. Seinen Antrag für eine Gedenkkugel mit einer sehr kurzen Inschrift hat der LSVD heute wieder zurückgezogen

Beim Streit um ein Gedenken an lesbische KZ-Häftlinge im ehemaligen Konzentrationslager Ravensbrück scheint doch noch kein Ende in Sicht. Die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten teilte gestern mit, sie sehe „angesichts nach wie vor andauernder Kontroversen” keine Möglichkeit, zum jetzigen Zeitpunkt ein Gedenkzeichen für lesbische Frauen auf dem Gedenkstätten-Gelände zu errichten.

Jahrelanger Streit

Der Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg (LSVD) hatte in einer Pressemitteilung vom Dienstag noch nahegelegt, die Gremien der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten hätten sich, nach jahrelanger Debatte, auf eine Gedenkkugel mit der Inschrift „Den lesbischen Frauen unter den Häftlingen der verschiedenen Verfolgtengruppen” einigen können. Den Antrag für die Kugel mit dieser Inschrift hatte der LSVD eingebracht, der Beirat der Stiftung stimmte dem Vorschlag am Dienstag mit knapper Mehrheit zu. Wie der LSVD betonte, sei er in seinem Entwurf für die Kugel der „inhaltlichen Empfehlung der Fachkommission” gefolgt. Diese ist neben dem Beirat das zweite wichtige Beratungsgremium der Stiftung.

Der Darstellung des LSVD widersprachen am Donnerstag der Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Dr. Axel Drecoll und die Leiterin der Mahn- und Gedenkstätte, Dr. Insa Eschenbach, in einer eigenen Pressemitteilung. Die Fachkommission habe einen anders lautenden Textvorschlag für die Inschrift unterstützt. Die Mitteilung des LSVD vom Dienstag gebe „weder die Beschlusslage noch die Abläufe innerhalb der Stiftung korrekt wieder” und sei daher „kontraproduktiv.” Der LSVD reagierte am Donnerstag mit einer weiteren Pressemitteilung, in der er Drecoll und Eschenbach vorwarf, den Mehrheitsbeschluss des Beirats zu „ignorieren” – und zog am Freitag seinen Antrag dann „im Interesse eines baldigen Gedenkzeichens” ganz zurück.

Empörung über „Krawallesben“-Leak

Die Mitteilungen des LSVD sorgten in sozialen Medien für einige empörte Reaktionen. Besonders da am Mittwoch eine interne E-Mail des LSVD-Vorstandsmitglieds Ulrich Keßler von 2017 geleakt und im Netz veröffentlicht wurde, in der er Aktivistinnen, die sich seit Jahren für ein Gedenken in Ravensbrück engagieren, als „Krawalllesben” bezeichnete. „Männerbünde raus aus Ravensbrück!” twitterte daraufhin etwa die Autorin und Aktivistin Stephanie Kuhnen.

Wörtlich hieß es in Keßlers Mail: „In der aktuellen Diskussionslage erschien es uns jedoch erstmal besser, kein Öl ins Feuer zu gießen und damit den Krawalllesben weiteres Futter zu liefern.“ Gegenüber dem Online-Newsportal queer.de sagte Jörg Steinert, Geschäftsführer des LSVD Berlin-Brandenburg am Mittwoch, die Äußerung sei aus „akuter Verärgerung über das Verhalten einzelner Personen” erfolgt. Die Wortwahl habe Keßler bereits vor über einem Jahr bedauert.

Was heißt eigentlich Verfolgung?

Um die Art und Weise, wie lesbischen NS-Opfern gedacht werden soll, wird schon seit den 80er Jahren gestritten. Dabei geht es im Kern um die Frage, wie Verfolgung definiert werden soll. Auf Grundlage des Strafrechtsparagraphen 175 des NS-Staates, der homosexuelle Handlungen zwischen Männern kriminalisierte, wurden ab 1933 Männer verurteilt und in KZs gebracht. Eine vergleichbare systematische Verfolgung nach dem Strafrecht gab es für lesbische Frauen nicht. Einige VetreterInnen von LGBTI-Organisationen sind deshalb der Meinung, dass man bei lesbischen Frauen nicht von einer „Verfolgung“ durch das NS-Regime sprechen könne. So warnte Alexander Zinn, ehemaliger Sprecher des LSVD und seit 2008 als Vertreter der Opfergruppe der Homosexuellen im Beirat der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten davor, mit einem Gedenkzeichen in Ravensbrück die „Legende einer Lesbenverfolgung“ zu schaffen. Feministische und lesbische Initiativen fordern dagegen seit den 80er-Jahren immer wieder, beim Gedenken an lesbische NS-Opfer auch Formen von Repression abseits des Strafrechts zu berücksichtigen.

„Auch weibliche Homosexualität war im NS-Staat nicht erwünscht.“

Wie die Historikerin Claudia Schoppman im Interview mit Siegessäule ausführte, war auch weibliche Homosexualität im NS-Staat nicht erwünscht. Lesbische Infrastruktur wurde zerstört und lesbische Handlungen wurden auf unterschiedliche Weise sanktioniert. Frauen, die als lesbisch galten, konnten denunziert werden, wenn sie in der Nachbarschaft oder am Arbeitsplatz auffielen – „und dann auch in die Mühlen der Verfolgungsbehörden geraten“.

Ravensbrück fungierte ab 1939 als größtes Frauen-Konzentrationslager im NS-Staat, mit etwa 130.000 internierten Frauen.

Leiden sichtbar machen

Erleichtert über die Stellungnahme von Stiftungsvorstand Axel Drecoll und Insa Eschebach zeigte sich gegenüber Siegessäule Irmes Schwager von der Initiative „Autonome feministische FrauenLesben aus Deutschland und Österreich“. Die Initiative setzt sich bereits seit 2014 für ein Gedenkzeichen in Ravensbrück ein. Sie hatte als erstes die Idee für eine „Gedenkkugel” und stellte 2016 einen entsprechenden eigenen Antrag.

„Es geht nicht darum, eine neue Opfergruppe kreieren zu wollen.”

Laut Schwager spiegele der Beschluss des Beirats vom Dienstag die Auseinandersetzungen der letzten Jahre, in Form von Forschungsprojekten, Podiumsdiskussionen und Symposien zum Thema auch direkt in der Gedenkstätte Ravensbrück, nicht wieder. In diesen Debatten sei deutlich geworden, dass „ein Verfolgungsbegriff in Bezug auf die Situation lesbischer Frauen im NS-Faschismus intersektional gedacht” werden müsse – das heißt, dass es eine Rolle in der Verfolgung neben anderen Kriterien spielte, wenn man im NS-Staat als lesbisch galt. Dabei gehe es nicht darum, eine „neue Opfergruppe kreieren” zu wollen. Die Inschrift auf dem Gedenkzeichen müsse aber, um der spezifischen Situation und dem Leiden lesbischer Frauen, die in Ravensbrück inhaftiert waren, gerecht zu werden, auch auf die „unterschiedlichen Unterdrückungs- und Verfolgungsstrukturen” hinweisen. Der vom LSVD vorgeschlagene Text leiste dies nicht.

Wie die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten betonte, halte man trotz der Kontroversen daran fest, ein Gedenkzeichen in Ravensbrück zu ermöglichen. Die beteiligten Initiativen seien nun aufgefordert, sich auf einen gemeinsamen Antrag zu verständigen, „der den bisherigen Diskussionsverlauf berücksichtigt.” Perspektivisch plane die Gedenkstätte auch eine eigene Ausstellung über die Situation lesbischer Häftlinge.

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