Johnny Hooker: „Wir sind in einer ultrakonservativen Gesellschaft“
Mit seiner Beschreibung von Jesus als „Transvestit“ sorgte er weltweit für Schlagzeilen, morgen tritt Johnny in Berlin auf. Mit uns sprach er über Geschlechterrollen, Provokation und Utopien
„Jesus is a transvestite“ rief Johnny Hooker, während eines Auftritts in Brasilien im letzten Juli, ins Mikrofon. Das Publikum applaudierte, kirchliche Gruppen reagierten entsetzt. Der „Skandal“ erregte weltweit Aufsehen. Dabei wollte Johnny nur anregen, wir seien alle Jesus und sollten alle gleichwertig behandelt werden – ob queer oder nicht.
Der in der brasilianischen Küstenstadt Recife aufgewachsene Sänger, Schauspieler und Drehbuchautor thematisiert in seiner Kunst immer wieder auch Homo- und Transphobie. Am 13.09. präsentiert Johnny sein zweites Album „Coração“ (deutsch: Herz) im Berliner Festsaal Kreuzberg.
Johnny, mit deinem „Jesus is a transvestite“ - Sager warst du überall in den Medien. Dich selbst beschreibst du als „wilde Frau im Körper eines Mannes, mit Tränen in den Augen“. Was bedeutet das für dich? Die androgyne Metaphorik, die in meiner Arbeit zum Ausdruck kommt, ist auf meine Mutter zurückzuführen. Sie war eine starke Frau und eine aktive Künstlerin, die sich in den 1980er Jahren in unser zutiefst konservativen Stadt im Nordosten Brasiliens den geschlechtlichen Rollenbildern widersetzte. Ich denke, dass die Selbstbeschreibung „wilde Frau“ ein performativer Ausdruck meiner Mutter ist. „Mann mit tränenreichen Augen“ soll dagegen ausdrücken, wie zerbrechlich Männlichkeit sein kann. In Brasilien gibt es eine große Szene von MusikerInnen, die sich den Geschlechtergrenzen widersetzen.
Bist du privat genauso extravagant wie auf der Bühne? Der Johnny, den du bei meinen Auftritten siehst, ist eine sexuell zweideutige Erscheinung, die über Freiheit und Verlangen spricht. Das muss in den Kostümen, Licht und Make-Up zum Ausdruck kommen – eine Menge Arbeit, aber auch eine Art Therapie (lacht). Privat bin ich eine erstaunlich ruhige Person.
Deine Musik hat starke Samba-Einschläge. Siehst du dich überhaupt als Popmusiker? Ich denke schon, dass mein Format poporientiert ist, ein Spektakel voller Farben und Dramatik. Meine Kunst sehe ich als eine Hommage an meine Vorbilder – Madonna, David Bowie und das brasilianische Genie Caetano Velosoan – und an ihre provokante Haltung gegenüber gesellschaftlichen Tabus und Dogmen. Sie gaben mir das Gefühl, dass es toll ist, schwul zu sein und frei zu sein, ohne die Angst, die man hat, wenn man innerhalb starrer Normen lebt.
Welche Erinnerungen hast du an deine Jugend in Recife? Recife war damals eine der gewalttätigsten Städte der Welt. Obwohl ich als eine relativ privilegierte Person in einer mittelständischen KünstlerInnenfamilie aufwuchs, nahm ich stets wahr, wie ernst es zuging. Ich erinnere mich auch an LGBTI-FreundInnen meiner Mutter, die von der HIV-Epidemie schwer betroffen waren. Die Regierung und Medien behandelten sie, als wären sie Müll. Man ließ sie einfach sterben.
LGBTI-feindliche Gewalt ist auch heute noch ein großes Thema in Brasilien... Brasilien verkauft dieses internationale Image von „Karneval und Sex“ – ein Hochglanzbild, das nicht die Realität zeigt. Eigentlich sind wir in einer ultrakonservativen, religiösen und autoritären Gesellschaft.
Kann Musik deiner Meinung nach helfen? Musik diente in Brasilien schon immer dem Widerstand. Sie fordert uns auf, menschlicher zu sein.
Und welche Botschaft hast du, vor dem Hintergrund der wachsenden fremdenfeindlichen Stimmungsmache in Europa, an das deutsche Publikum? Europa muss sich mit seiner historischen Schuld gegenüber der Welt auseinandersetzen. Die Förderung endloser Gewalt hat ihren Preis, daher wünsche ich den Geflüchteten und ImmigrantInnen alle Kraft und Liebe, die sie verdienen. In Brasilien haben wir diese fremdenfeindliche Welle auch. Ich wünsche mir für die ganze Welt mehr Einfühlungsvermögen. Gerade in Deutschland müssen wir uns immer daran erinnern, was uns die Geschichte lehren kann.
Zum Abschluss noch eine Wohlfühl-Frage: Warst du jemals verliebt? Ja, leider! Ich war ein paar Jahre mit einem Mann verheiratet, das war die schrecklichste Erfahrung meines Lebens. Ich glaube, dass diese normative Art, Beziehungen zu führen, momentan auf der ganzen Welt zusammenbricht, weil sie so unterdrückend ist. Ich bin aber optimistisch, dass wir neue Wege für Liebe und Zuneigung finden werden.
Interview: Michaela Dudley
Konzert: Johnny Hooker, "Europa Tour", 13.09., 20:00, Festsaal Kreuzberg
Folge uns auf Instagram