Telefonsexwerbung und das Ende von Magnus

40 Jahre SIEGESSÄULE: Der Boom von Sex-Hotlines in den 90er-Jahren

12. Aug. 2024 Paula Balov
Bild: SIEGESSÄULE
Heiße Telefonerotik – so sahen viele Anzeigen von Sex-Hotlines in den 90er-Jahren aus.

Wer Anfang der 90er-Jahre SIEGESSÄULE gelesen hat, wird sich an die prominenten Telefonsexanzeigen erinnern. Sie markieren ein Kapitel in der SIEGESSÄULE-Geschichte, das eng mit (dem Ende) der Zeitschrift Magnus verwoben ist. Warum erklären wir hier

Muskulöse Männer, die lustvoll mit der Telefonschnur posieren – mal als sexy Cowboy, mal als Nerd mit Hornbrille. Eingerahmt werden sie von Telefonnummern, die mit „Stöhn-Hotlines“ oder „Telefon-Orgien“ verbunden sind. Wer Anfang der 90er-Jahre SIEGESSÄULE gelesen hat, wird sich an die Telefonsexanzeigen erinnern – sie waren schließlich kaum zu übersehen und oft prominent auf den Umschlagseiten platziert.

Diese nostalgischen Relikte markieren ein Kapitel in der SIEGESSÄULE-Geschichte, das eng mit der überregionalen Kaufzeitschrift Magnus verwoben ist: Diese entstand aus der Vereinigung der Nürnberger Schwulenzeitschrift Rosa Flieder und SIEGESSÄULE heraus. Daraufhin erschien das schwule Stadtmagazin einige Jahre als kostenlose Berlin-Beilage von Magnus. In dieser Zeit wurden schwule Zeitschriften maßgeblich von Telefonsexwerbung finanziert.

Der damalige Anzeigenleiter Bernd Offermann schätzt, dass sogar ein Drittel der Anzeigeneinnahmen aus Telefonsexwerbung stammte. Sexhotlines waren ein boomender Markt und vor allem Magnus war darauf angewiesen. Der Jackwerth Verlag, der damals Magnus herausgab, stand dieser Entwicklung ambivalent gegenüber. Das Lifestylemagazin wollte sich von „Schmuddelheftchen“ abgrenzen und war besorgt, potenzielle andere Anzeigenkund*innen zu vergraulen.

Dennoch setzte der Verlag auf das lukrative Geschäft, nicht ahnend, dass der Telefonerotik-Boom bald vorbei sein würde: 1995 häuften sich Fälle, bei denen betrügerische Bastler*innen ungeschützte Verteilerkästen mit Sexhotlines verbanden, um die Gebühren in die Höhe zu treiben.

Bild: SIEGESSÄULE
Anzeigen wie diese waren oft prominent auf den Umschlagsseiten platziert

Um dagegen vorzugehen, vermittelte die Telekom daraufhin die Anrufe manuell, sprich: Der Telefonsex wurde weniger anonym und schreckte viele Anrufer ab. Nach horrenden Umsatzverlusten ruderte die Telekom zurück, kürzte aber nun die Gewinne der Telefonsexanbieter, um den „kriminellen Anreiz“ zu reduzieren. Als wäre das für die Branche nicht fatal genug gewesen, kam noch ein Gerichtsverfahren hinzu, das Sexhotlines für „sittenwidrig“ befand – Moralpanik um Jugendschutz inklusive.

„Wir hätten uns breiter aufstellen und nicht so sehr auf diese Branche verlassen sollen.“

Mittendrin war Magnus, eine Zeitschrift, die schon länger finanzielle Probleme hatte und nun auf essenzielle Anzeigenkund*innen verzichten musste. „Wir hätten uns breiter aufstellen und nicht so sehr auf diese Branche verlassen sollen“, fasst Bernd Offermann zusammen.

Nach 1998 entstanden durch die Liberalisierung des Telekommunikationsmarkts, aber auch dank der wachsenden Popularität des Internets neue Nischen für sexuelle Dienstleistungen, doch so lange hielt Magnus nicht durch: Das letzte Heft erschien im Juni 1996 – und SIEGESSÄULE überlebte, dank und trotz (fehlender) Telefonsexwerbung.

Bild: SIEGESSÄULE
Eine typische Telefonsexanzeige aus den 90er-Jahren

Die erste von Magnus unabhängige SIEGESSÄULE-Ausgabe (Juni 1996) findet ihr hier zum Download als E-Paper (PDF):

*In der Printversion dieses Artikels (SIEGESSÄULE 08/2024) steht, dass die erste von Magnus unabhängige SIEGESSÄULE im Juli 1996 erschien. Das ist nicht korrekt, sie erschien bereits einen Monat vorher. Wir haben die Online-Version des Artikels korrigiert und bitten um Entschuldigung.

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